GOLF TIME 2/2024
KOLUMNE
SCHIFFBRUCH MIT TIGER Willkommen in der Tiger-Bubble – der gigantischen Publikumsmasse, die versuchte, beim Masters die Sonntagsrunde an der Seite von Tiger Woods mitzulaufen.
Weimarer Land
B
isher hielt ich dieses Vorhaben für kompletten Irrsinn. Denn im Fern sehen bekommt man doch eher den Eindruck, da walzt eine regel
te die erste Panne – vorerst. Ich rang um ein winziges Sichtfenster am Rande des Fairways. Sobald Woods seinen Putt bei Totenstille ver senkt hatte, brandete unbändiger Jubel auf und sämtliche Zuschauer auf den Tribünen hinter dem Grün erhoben sich. Einerseits für Standing Ovations, aber auch, um sich zu der Tigerblase zu gesellen, die wie eine gigantische Prozession dahinschritt und fortwährend anschwoll. Die Teeboxen waren besondere Ballungsräu me, hier war schon vor Stunden Position bezogen worden, um dem Superstar aus nächster Nähe huldigen zu können. Sollte Corona wieder etwas anderes sein als eine Bier marke, dann haben wir es jetzt alle wieder. An Bahn 5, an der Tiger seinen Abschlag ins Aus bolzte und einen Dreiputt zum Triplebogey spielte, stand ich etwa 40 Meter vor dem Grün auf einer kleinen Erhebung und bemerke plötz lich ein bekanntes Gesicht direkt neben mir. Charlie Woods bemühte sich an der Seite von Tigers Manager Mark Steinberg sowie anderen Mitgliedern der Woods-Entourage um halb wegs freie Sicht auf Papas Tageswerk. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es nicht geglaubt. Dies passt aber nur zu gut zur konsequenten Grundhaltung des Augusta Nationals als Aus richter des Masters. Man brät hier keine Extra würste, für niemanden. Weder für Superstars noch für die eigenen Mitglieder. Am gleichen Morgen hatte ich noch meinen Stuhl in der drit ten Reihe des 18. Grüns aufgestellt, während ein Herr im grünen Augusta-National-Jackett mit Reihe 4 vorliebnehmen musste. Im Verlauf der vierstündigen Golfrunde, die gut und gerne Tiger Woods‘ Augusta-Schwanengesang hätte gewesen sein können, sah ich 62 der 77 Schlä ge, die Tiger ausführen musste, mit eigenen Augen. Ich benötigte vier Liter Wasser, bevor ich müde, aber glücklich, auf meinem Stuhl an Grün 18 fallen und die fast schon mit Händen greif bare Wehmut spüren konnte. Zum ersten und vielleicht letzten Mal durfte ich Tiger beim Masters erleben. Der Jubel nach dem finalen Putt an der 18 war ohrenbetäubend und Woods nahm sich Zeit, um dem Publikum zuzuwinken, und Erleichterung spiegelte sich in seinem Mie nenspiel wider. Ob er heute wirklich Abschied vom Masters genommen hat? Das weiß er wahrscheinlich selbst noch nicht … GT
rechte Völkerwanderung über den Golfplatz, die in hypnotisierter Fixierung auf die Lichtgestalt des Golfsports zu einem gigantischen Gaffer stau mutiert. Bei 31° Celsius Außentemperatur? Nein, danke! Kaum vorstellbar, wie es möglich sein soll, in diesem Chaos mehr als einen wagen Blick auf das Objekt der Begierde zu erhaschen. Beim 88. Masters startete Tiger Woods einen weiteren seiner unzähligen Verletzungs-Come back-Versuche. Und als Woods am Samstag anlässlich seiner 99. Masters-Turnierrunde 82 schmerzhafte Schläge benötigte (sein höchstes Tagesergebnis beim Masters), fing ich an, mir Sorgen zu machen. War dies doch erst mein zweites Masters vor Ort und ich hatte bislang noch nicht gewagt, bei Tiger mitzulaufen. Sollte dieser Sonntag vielleicht meine letzte Chance sein, das Phänomen Tiger Woods am Ort seiner größten Triumphe live zu erleben? So viele Faktoren sprechen für einen abrupten Schluss strich anstatt eines entspannten Auslaufens, wie es so viele Masters-Champions der Vergan genheit Jahr für Jahr zelebrieren. Bevor sie – wie Bernhard Langer im kommenden Jahr – ihren verdienten Abschied vom Masters verkünden. „Ich habe Schmerzen. Jeden Tag. Immer“, ließ Woods während einer Pressekonferenz verlau ten. Und wenn man dem 15-fachen Majorsieger im Interview-Raum in die Augen blickte, bedurfte es eigentlicher keiner weiteren Worte. Dieser Sportler hat alles gewonnen, aber letzt lich den Kampf gegen seinen geschundenen Körper verloren. Erst wenn man die extrem hügelige Topographie des Augusta Nationals selbst beschreitet, weiß man, wie ungemein tapfer dieser einzigartige Golfer gegen die Realität anzukämpfen versuchte. Schon auf der ersten Bahn muss er einen steilen Hügel hinun ter- und wieder hinaufhumpeln. Sein Mitspie ler, der als letzter Amateur im Feld verbliebene Neal Shipley, erlebte unter Garantie die unver gesslichsten vier Stunden seiner jungen Golf karriere. Tiger Woods hingegen litt unter den gebannten Blicken der zahllosen Patrons wie ein Hund still in sich hinein. Sofort kämpfte Woods um das Par, und nur sein außergewöhnliches Kurzspiel verhinder
GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN Ambitionierter Hobbygolfer mit variablem Handicap
„Ob er heute wirklich Abschied vom Masters genommen hat? Das weiß er wahrscheinlich selbst noch nicht.“
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56 GOLF TIME | 2-2024
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