Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 3/2015 (November 2015)

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 3/2015 (November 2015)

FORTBILDUNG aktuell DAS JOURNAL

Verhütungs-Update, die neuen Arzneimittel 2014 und Neuroenhancement

5/2015 Das Journal: November 2015 Seite 5

Ring, Pflaster, Pille und Pille danach

Seite 14 Ein pharmazeutischer Jahresrückblick Seite 23 Arzneimittel als Neuroenhancement

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EDITORIAL

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor Ihnen liegt nun die diesjährige dritte Ausgabe unseres Fortbildungsjournals, die erneut ein sehr breites Themenspektrum abdeckt:

Für nahezu jede Frau, jedes Paar und jede individuelle gesundheitliche Situation gibt es heutzutage die passende Verhütungsmethode. Doch so variantenreich diese unterschiedlichen Methoden sind, so bedeutsam ist auch das fundierte Fachwissen rund um die Indikation Verhütung, welches Dr. Miriam Ude, Dr. Chris- tian Ude und Laura Vey (Darmstadt) in Ihrem kompakten und klar strukturierten Aufsatz auf den Punkt bringen. Dabei thematisieren sie die Basis-Informationen zum weiblichen Zyklus ebenso wie die unterschiedlichen hormonellen Kontra- zeptiva oder das Vorgehen in der Beratung bei Überschreitung der Pillen-Einnah- mezeit. Einen wichtigen pharmazeutischen Rundumschlag über die neuen Arzneimittel des Jahres 2014 liefert Dr. Henrik Müller (Bottrop). In seinem Aufsatz spannt er einen Bogen vom neuen Tuberkulose-Wirkstoff Bedaquilin und seinem Wirkme- chanismus über das vieldiskutierte da teure Sofosbuvir gegen Hepatitis C bis hin zu Dimethylfumerat, der dritten oral verfügbaren Therapieoption bei Multipler Sklerose. Den zentralen Informationen über die biochemischen Wirkmechanis- men fügt Müller grundsätzlich beratungsrelevante Hinweise an und liefert damit wertvolle Fakten zu den neuen Arzneistoffen im Apothekenalltag. Mit der Verwendung von Arzneimitteln zum Neuroenhancement beschäftigt sich Dr. Helga Blasius (Remagen) in Ihrem Aufsatz und geht darin den am häufigsten zu diesem Zweck eingesetzten Wirkstoffen auf den Grund. Dabei geht Sie auf aktuelle Studien ein und erklärt, wie beispielsweise Antidepressiva, Nootropika, Betablocker oder auch Koffein eingesetzt werden. Zudem fasst Sie übersichtlich zusammen, wie sich die unterschiedlichen Arzneimittel nach Einnahme auf die Aufmerksamkeitsspanne, Reaktionszeit, Müdigkeit, Stimmung, Gedächtnis und die subjektive Selbsteinschätzung der Konsumenten auswirken. Nach der Lektüre können Sie sich wie immer den Lernerfolgskontrollen zu den Artikeln im internen Bereich unter www.akwl.de stellen und sich damit Fortbil- dungspunkte sichern. Dort finden Sie übrigens auch die Lernerfolgskontrollen zu den Ausgaben des Journals der vergangenen zwölf Monate.

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

René Graf Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Impressum: „Fortbildung aktuell“

der Apothekerkammer Westfalen-Lippe erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und dreimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“. Herausgeber: Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Bismarckallee 25, 48151 Münster, Tel: 0251/520050, Fax: 0251/52005-69, E-Mail: info@akwl.de, Internet: www.akwl.de Redaktion/Grafiken: Dr. Sylvia Prinz Layout: Sebastian Sokolowski Autoren dieser Ausgabe: Dr. Miriam Ude, Dr. Christian Ude, Laura Vey

Dr. Henrik Müller Dr. Helga Blasius

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!

Titelfoto: www.fotolia.com – igradesign

Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell“ und „Fort- bildung aktuell – Das Journal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammer- beitrag enthalten. Auflage: 7.600 Exemplare Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Gabriele Regina Overwiening René Graf

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2010 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3 Fortbi dung aktuell – Das Journal der Apothe erkammer Westfalen-Lippe

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Dr. Miriam Ude / Dr. Christian Ude / Laura Vey

Ring, Pflaster, Pille und Pille danach Verhütungs-Update in Fallbeispielen

In unserer heutigen Zeit gibt es nahe- zu für jede Frau, jedes Paar und jede ge- sundheitliche Situation die passende Ver- hütungsmethode. Zahlreiche Varianten basieren auf hormoneller Verhütung, an- dere auf Barrieremethoden, und auch be- reits erste Versuche, mit Apps und Smart- phones zu verhüten, sind zu erkennen. Auswahlkriterien für das eigene Verhü- tungsmittel sind unter anderem Sicher- heit und Verträglichkeit, Zuverlässigkeit, die wiedereinsetzende Fruchtbarkeit nach Absetzen der entsprechenden Me- thode, eine leichte Handhabbarkeit, die Auswirkung auf das Sexualleben, ein et- waiger Schutz vor Infektionen und auch der Preis. Verhütung wird in großen Tei- len unserer Bevölkerung aktiv genutzt. Nach Zahlen der Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung wenden in Deutschland ca. 76 Prozent der Bevölke- rung aktiv Verhütungsmaßnahmen an, 16 Prozent verhüten nicht – die Hälfte davon aufgrund eines Kinderwunsches. Mittel der Wahl sind wie in Abbildung 1 ersicht- lich orale Kontrazeptiva („die Pille“) und das Kondom. Für die Beratungspraxis in der Apotheke ein klarer Hinweis, sich in

Dr. Miriam Ude (links) und Dr. Christian Ude , beide Fachapotheker für Arzneimittel- information, haben in Frankfurt Pharmazie studiert und an der dortigen Goethe- Universität promoviert, an der sie heute als Lehrbeauftragte tätig sind. Seit 2013 betreiben sie die Stern Apotheke in Darmstadt, eine akkreditierte Ausbildungsa- potheke der LAK Hessen. Dort hat Laura Vey eine Hälfte ihres 3. Prüfungsabschnit- tes absolviert, bevor Sie im Sommer 2015 ihre Approbation erhalten hat. Aktuell arbeitet sie in der Apotheke des Klinikums Darmstadt. Miriam Ude ist zudem lei- tende Redakteurin der Zeitschrift PZ-Prisma, deren Redaktion auch Christian Ude angehört. Sie leiten darüber hinaus die zentrale Beschaffungsstelle der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Frankfurt (a. M.).

Der weibliche Zyklus

diesem Bereich der Verhütung ein umfas- sendes Wissen anzueignen.

Für den Beratungsalltag im Kontext mit Verhütungsmitteln ist ein Grundwissen rund um den weiblichen Zyklus und die damit verbundenen Hormone wichtig. Der weibliche Zyklus verläuft in drei bzw. vier Phasen. Per Definition ist Tag 1 des Zyklus‘ der Tag der einsetzenden Mens- truationsblutung. Betrachtet werden die periodischen Veränderungen der Gebär- mutterschleimhaut und die synchron ver- laufende Heranreifung einer Eizelle im Ovar in Abhängigkeit verschiedener Hor- monkonzentrationen.

Unter der Desquamations- bzw. Regene- rationsphase versteht man Tag 1 bis 4 des

Abbildung 1: Beliebtheit unterschiedlicher Verhütungsmethoden (nach BZgA).

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 5

Verhütungs-Update

Tabelle 1: Wirkungen von Östrogen und Gestagen

Zyklus‘. Als Desquamation wird die Loslö- sung von Zellen beschrieben, also in die- sem Fall die Ausstoßung von Schleimhaut- fetzen der Gebärmutter, die mit Blut ver- mengt sind. Die Regenerationsphase am Ende meint die beginnende Erholung von Epithel und Bindegewebe sowie das Schließen der Wunde. Von Tag 5 bis 14 folgt die Proliferations- phase und damit der Wiederaufbau der Uterusschleimhaut. Durch die anstei- gende Östrogenkonzentration (Östro- genwirkungen s. Tab. 1) kommt es zur vollständigen Regeneration der wäh- rend der Menstruation abgestoßenen Gebärmutterschleimhautzellen sowie zur Sprossung neuer Gefäße im Endo- metrium und damit einer Auflockerung des Gewebes. Nach einem Östrogenma- ximum fällt die Konzentration zwischen dem 12. und 14. Tag wieder ab, während FSH-(Follikelstimulierendes Hormon) und LH-(Luteinisierendes Hormon) Spiegel stark ansteigen, so dass es zum Eisprung kommt. Findet innerhalb von 24 Stunden keine Befruchtung statt, stirbt die Eizelle ab. Spermien sind in der Regel fünf Tage befruchtungsfähig, woraus sich in Kombi- nation mit dem Zeitpunkt des Eisprungs und der Überlebensfähigkeit der Eizelle das sogenannte „fertile Fenster“ ergibt. Wann genau dieses „fertile Fenster“ bei einer Frau während eines Zyklus‘ „auf“ und wieder „zu“ geht, kann nicht mit ab- schließender Sicherheit gesagt werden. In der Sekretionsphase von Tag 15 bis 24 kommt es durch Ansteigen des Progeste- ronspiegels zur Umwandlung der Uterus- schleimhaut und somit zu einem sekre- tionsfähigen, für die Einbettung des Keims geeigneten Epithels. Aus der ehe- maligen Hülle der Eizelle entsteht das Corpus luteum (Gelbkörper), welcher für den Progesteronanstieg (Gestagenwir- kungen s. Tab. 1) verantwortlich ist. Die Gebärmutterschleimhaut verdickt sich

Östrogenwirkungen

Gestagenwirkungen

durch wachsende Drüsen (starke Durch- blutung und Einlagerung von Glykogen) weiter. Ab dem 25. Tag beginnt die Ischämische Phase, die durch die Rückbildung des Gelbkörpers gekennzeichnet ist. Dies führt zu einem Mangel an Progesteron und einer Rückbildung der Gebärmutter- schleimhaut. Die vermehrte Prostaglan- dinbildung am 26. und 27. Zyklustag be- wirkt eine Kontraktion der spiralig ver- laufenden Arterien in der Gebärmutter- schleimhaut. Diese Verengung der Ge- fäße führt zu einer mangelhaften Durch- blutung und damit einer ischämischen Schädigung. Strömt nun wieder reichlich Blut in die Schleimhaut ein, so kommt es im Bereich der Arterien zu Blutaustritten. Die Schädigung der Schleimhaut führt zur Ausstoßung von Blut, vermengt mit Schleimhautfetzen – der Menstruation. Die Ischämische Phase kann auch als Teil der Sekretionsphase gesehen werden. Fall 1 – Patientin: „Ich möchte meine Blu- tung verschieben. Können Sie mir sagen, wie dies möglich ist?“ Der Wunsch, die Blutung zu verschieben, oder gar einen „Langzyklus“ zu gene- rieren, ist weit verbreitet. Auf diese Art und Weise können beispielsweise Urlaub, Sport oder auch berufliche Ereignisse „blutungsfrei“ erlebt werden. Quälende • Wachstum weiblicher Geschlechts- organe Ç • subcutane Fettdepots Ç • Zahl der Progesteronrezeptoren Ç • zyklische Veränderung der Uterus- schleimhaut; des Zervixschleims • Beeinflussung der Stoffwechselvor- gänge in Leber, Darm und Knochen • Talgproduktion È • peripherer Gefäßwiderstand È • Retention von Wasser und NaCl Ç • Bildung von Serotoninrezeptoren Ç • stimmungsaufhellend

• Zahl der Östrogenrezeptoren È • Viskosität des Zervixschleims Ç • Proliferation der Uterusschleim- haut È • LH-Ausschüttung È • Drüsenbildung in Brüsten Ç • Ruhetemperatur steigt um ca 0,5 °C • Östrogenwirkung auf Skelett Ç • Aufrechterhaltung einer Schwan- gerschaft

und störende menstruelle Begleiterschei- nungen bleiben somit aus und führen zu mehr Lebensqualität. Um der Kundin diese Frage beantworten zu können, müssen jedoch Rückfragen zur aktuellen Verhütungsmethode gestellt werden, da sich zahlreiche hormonel- le Verhütungsmethoden auf dem Markt befinden. In Bezug auf die verfügbaren Pillen unterscheidet man in Einphasen-, Zweiphasen- und Sequenzpräparate, so- wie Drei- und Vierphasen-Präparate; zu- sätzlich finden sich reine Gestagenpillen. Eine fixe Östrogen-Gestagen-Kombina- tion ist für die Einphasenpräparate cha- rakteristisch. Als Östrogen ist in fast al- len Präparaten Ethinylestradiol zu finden, während als Gestagenkomponente eines der zahlreichen synthetischen Gestage- ne enthalten ist. Eine möglichst niedrige Östrogendosis wird mit möglichst ge- ringen unerwünschten Arzneimittelwir- kungen (UAW) verbunden. Die Gestage- ne unterscheiden sich hinsichtlich ihres Wirkungsspektrums und ihrer Wirkungs- stärke, so dass ihre Tagesdosen stark vari- ieren und nicht untereinander vergleich- bar sind. Kombinierte orale Kontrazepti- va (KOK) werden 21 Tage lang eingenom- men, gefolgt von einem siebentägigen Kombinierte orale Kontrazeptiva – Einphasenpräparate

6 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe de Apothek kammer Westfalen-Lippe

Dr. Miriam Ude / Dr. Christian Ude / Laura Vey

Einphasenpräparate: Östrogene und Gestagene sind über den gesamten Einnahme- zeitraum kombiniert Æ Ovulationshemmung, Nidationshemmung, Viskositätserhöhung des Zervixschleims.

hormonfreien Intervall. Drei bis vier Tage nach Absetzen des Präparates tritt die Ab- bruchblutung (= Hormonentzugsblutung) ein. Die kontrazeptive Wirkung beruht primär auf der Unterdrückung der Ovu- lation, Hemmung der Nidation und Hem- mung des Penetrationsvermögens der Spermien durch Viskositätserhöhung des Zervixschleims. In der ersten Zyklushälfte werden nur Ös- trogen (= Sequenzpräparate) oder Östro- gene zusammen mit einem niedrig dosier- ten Gestagen (= Zweistufenpräparate), in der zweiten Zyklushälfte eine Östrogen- Gestagen-Kombination eingenommen. Sequenzpräparate wirken vorwiegend als Ovulationshemmer. Durch die fehlende Gestagenkomponente vor dem Eisprung sind sie nicht so zuverlässig wie die Kom- binationspräparate, da ein Effekt auf den Zervixschleim entfällt. Zweistufenpräpa- rate entsprechen in ihrer Sicherheit annä- hernd den Einphasenpräparaten. In den ersten sechs Tagen nach Beginn der Regelblutung wird eine niedrige Ös- trogen- und Gestagendosis verabreicht, in den anschließenden fünf Tagen eine erhöhte Östrogen- und Gestagenmenge und für die restlichen zehn Tage eine wie- der auf den ursprünglichen Wert ernied- rigte Östrogen- sowie eine nochmals ge- steigerte Gestagendosis. Hierauf folgt ein siebentägiges hormonfreies Intervall. Sie entsprechen in ihrer Zuverlässigkeit annä- hernd den Einphasenpräparaten. Kombinierte orale Kontrazeptiva – Sequenz-/Zweiphasenpräparate Kombinierte orale Kontrazeptiva – Dreiphasenpräparate

28

14

21

Zyklustage

7

Zweiphasenpräparate: Östrogene und Gestagene ahmen die physiologischen Freiset- zungsprofile nach Æ Ovulationshemmung, Nidationshemmung, Viskositätserhöhung des Zervixschleims.

28

14

21

Zyklustage

7

Dreiphasenpräparate: Verstärkte Nachahmung des physiologischen Zyklus‘, Ovulations- hemmung, Nidationshemmung, Viskositätserhöhung des Zervixschleims.

28

14

21

Zyklustage

7

Vierphasenpräparate: Gute Zyklusstabilität, Ovulationshemmung, Nidationshemmung, Viskositätserhöhung des Zervixschleims.

28

14

21

Zyklustage

7

Minipille: Nur Gestagen, keine Beeinflussung der Ovulation und Nidation, nur Viskosi- tätserhöhung des Zervixschleims.

28

14

21

Zyklustage

7

Abbildung 2: Einphasen-, Zweiphasen-, Drei- und Vierphasen-Präparate sowie Minipille im Vergleich. Östrogen-Komponente Gestagen-Komponente

mene Präparat Qlaira ® ist das erste orale Kontrazeptivum, welches Estradiolvalerat als Östrogenkomponente enthält. Estradi- olvalerat ist ein Ester des natürlich beim

Kombinierte orale Kontrazeptiva – Vierphasenpräparate

Menschen vorkommenden Estradiols. Frühere Bemühungen eine Pille mit dem „natürlichen“ Hormon Estradiol zu entwi- ckeln sind alle an einer mangelnden Zy-

Das im Mai 2009 auf den Markt gekom-

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 7

Verhütungs-Update

kluskontrolle gescheitert. Ob das Vierpha- senschema nun tatsächlich eine bessere Anpassung an den Zyklus bedeutet oder eher Anwendungsfehler begünstigt, muss sich in den nächsten Jahren herausstellen. Auch Daten zu Sicherheit und Nebenwir- kungen werden sich erst in einigen Jah- ren im Rahmen der Pharmakovigilanz mit den herkömmlichen kombinierten oralen Kontrazeptiva vergleichen lassen. Die Minipille ist ein niedrig dosiertes reines Gestagenpräparat ohne Östrogen- komponente. Die herkömmliche Minipil- le (Microlut ® , 28 mini ® ) enthält das Ge- stagen Levonorgestrel. Die Wirkung be- ruht auf der Erhöhung der Viskosität des Zervixschleims sowie der Nidationshem- mung. Da weiterhin ein Eisprung stattfin- det, beträgt der Pearl-Index nur 4,1 und liegt somit deutlich höher als bei kombi- nierten oralen Kontrazeptiva. „Neue“ Mi- nipillen (zum Beispiel Cerazette ® ) enthal- ten das Gestagen Desogestrel, welches zusätzlich zur Viskositätserhöhung des Zervixschleims und der Nidationshem- mung eine ovulationshemmende Wir- kung hat. Der Pearl-Index liegt bei 0,4. UAWs der Minipille sind häufig Zwischen- blutungen und das Ausbleiben der Mens- truation. Die Minipille kommt daher vor- wiegend für Frauen in Betracht, bei de- nen östrogenhaltige Präparate kontra- indiziert sind, insbesondere bei Rauche- rinnen, Bluthochdruckpatientinnen, bei bekannter Thromboseneigung und ös- trogenabhängigen Tumoren in der Vor- geschichte. Ein Einsatz in der Stillzeit ist möglich. Zur Verdeutlichung der Einnahme-Modi stellt Abbildung 2 nochmals alle Varian- ten gegenüber. Tabelle 2 bietet darüber hinaus eine Übersicht zur Zusammenset- zung der einzelnen Pillen-Varianten. Minipille

Transdermale Systeme (Hormonpflaster)

werden kann. Die lokale Anwendung er- laubt eine deutlich geringere Hormondo- sis. Der Ring eignet sich unter anderem für Frauen mit Compliance-Problemen bei der Pilleneinnahme. Durch die lokale An- wendung können außerdem chronische Magen-Darm-Probleme im Vergleich zur oralen Hormoneinnahme umgangen wer- den. Die Haltbarkeit beträgt nach Abgabe in der Apotheke vier Monate bei Raum- temperatur. In der Apotheke erfolgt die Lagerung im Kühlschrank. Bei der Abga- be sollte ein Datumsvermerk auf der Ver- packung platziert werden! Der Ring kann bis zu drei Stunden täglich entfernt wer- den, ohne dass die kontrazeptive Sicher- heit gefährdet ist. Nun findet man in verschiedenen Fachin- formationen Hinweise zur Möglichkeit, die Blutung zu verschieben. Beispielswei- se verweist der Text zum Nuvaring ® da- rauf, die ringfreie Zeit auszulassen und di- rekt nach drei Wochen einen neuen Ring einzusetzen. Auch verschiedene Pillen be- schreiben in ihren Packungsbeilagen und Fachinformationen, dass durch Auslassen des pillenfreien Intervalls die Blutung un- terdrückt werden kann. Zusätzlich kann durch ein Verkürzen (niemals Verlängern) des pillenfreien Intervalls die nächste Blu- tung um wenige Tage verschoben wer- den. Im Beratungsgespräch kann man dies den Kundinnen entsprechend mitteilen. Besonders wichtig ist dabei jedoch abzu- klären, ob es sich um ein Einphasenpräpa- rat handelt. Nur bei diesen ist dieses Vor- gehen „einfach“ möglich. Bei Mehrpha- senpräparaten sollte genau in die Fachin- formation geschaut werden, da ggf. die einzelnen Phasen verkürzt werden müs- sen. Außerdem könnte es sich um Pillen handeln, die zusätzlich 7 Placebo-Pillen für eine bessere Compliance beinhalten. Diese müssten dann ausgelassen werden.

Auf dem Markt ist ein ethinylestradi- ol- und norelgestrominhaltiges Pflaster. In Kürze folgt ein weiteres Hormonpfla- ster, das neben Ethinylestradiol Gestoden beinhaltet. Die Wirkstoffe werden dabei über die Haut aufgenommen. Die täg- liche Freisetzungsrate erfolgt konstant (keine Blutspiegelspitzen) und die abge- gebene Hormonmenge entspricht der ei- ner Minipille. Durch Umgehung des First- Pass-Effektes kann die Dosis gesenkt, so- wie die Wirksamkeit bei Magen-Darm-Er- krankungen (auch nach Durchfall oder Er- brechen) aufrecht erhalten werden. Die Wirkweise ist vergleichbar mit der Mikro- pille. Das Pflaster wird drei Wochen lang getragen und dabei einmal wöchentlich erneuert. Anschließend folgt eine Woche Pause ohne Pflaster, in der es in der Re- gel zur Hormonentzugsblutung kommt. Das Hormonpflaster eignet sich unter an- derem für Frauen, die an chronischen Ma- gen-Darm-Problemen leiden. Nachteile können Hautirritationen sein, weswegen sich ein Aufkleben stets an eine andere Hautstelle empfiehlt. Außerdem muss die Anwenderin ein hohes Augenmerk da- rauf verwenden, ob das Pflaster gut klebt oder sich ablöst und damit der Empfäng- nisschutz gefährdet ist. Der mit Ethinylestradiol und Etonogestrel beladene Ring (NuvaRing ® , Circlet ® ) wird bis zum fünften Zyklustag in die Vagina eingeführt, am oberen Ende platziert und dort für 21 Tage belassen. Anschließend folgt eine siebentägige Pause, während der die Hormonentzugsblutung eintritt. Die große, gut durchblutete Epithelober- fläche der Vagina stellt einen gut resorp- tionsfähigen Applikationsort dar, so dass täglich eine konstante Menge an Hor- monen freigesetzt wird, die direkt von der Vaginalschleimhaut aufgenommen Vaginalring

Unserer Kundin, die ein Einphasen-Präpa- rat mit 21 Pillen einnimmt, erklären wir,

8 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Dr. Miriam Ude / Dr. Christian Ude / Laura Vey

Tabelle 2: Hormonelle Kontrazeptiva (Auswahl nach Roter Liste) Östrogen- Komponente Gestagen- Komponente

Fertigarzneimittel

0,03 mg

Levonor- gestrel

0,15 mg

Microgynon ® 21, Femranette ® , Junonia ® , Gloriana ® , Levi- na ® , Ovoptex ® , Luisa ® , Stediril ® , Femigoa ® , Asumate ® 30, Erlibelle ® , Evaluna ® , Femigyne ® , Femikadin ® , Levomin ® , Maexeni ® 30, Swingo ® 30 Lamuna ® 20, Desmin ® 20, Desofemine ® 20, Munalea ® 20 Lamuna ® 30, Desofemine ® 30, Marvelon ® , Munalea ® , Novial ® Valette ® , Amelie ® , Aristelle ® , BonaDea ® , Dienogenance ® , Dienovel ® , Issoria ® , Ladonna ® , LaViola ® , Luvyna ® , Maxim ® , Mayra ® , Sibilla ® , Starletta ® , Stella ® , Susette ® , Vatrice ® , Velafee ® , Velvet ® , Violette ® Drospifem ® 30, LaYanina ® , Maitalon ® , Petibelle ® , Sidretel- la ® , Veya ® , Yara ® , Yasmin ® , Yiznell ® , Velmari ® Langzyklus Angiletta ® , Balance ® , Beatrice ® , Belara ® (21+7), Bellissima ® (21+7), Bilmon ® , Bonita ® , Chantal ® , Chariva ® (21+7), Chlo- ee ® , Enriqa ® , Eufem ® , Helen ® , Lilia ® , Lisette ® , Madinance ® , Madinette ® 30, Minette ® , Mona ® , Pink Luna ® , Solera ® , Verana ® Aida ®

Ethinyl- estradiol (EE)

EE

0,02 mg

Desoges- trel Desoges- trel

0,15 mg

EE

0,03 mg

0,15 mg

EE

0,03 mg

Dienogest 2 mg

Einphasen- präparate

EE

0,03 mg

Drospire- non Drospire- non Chlorma- dinonace- tat Nomeges- trol Desoges- trel Chlorma- dinonace- tat Norgestri- mat

2 mg

EE

0,03 mg

3 mg

2 mg

EE

0,03 mg

Estradiol 1,5 mg

2,5 mg

Zoely ®

EE

7 d: 0,04 mg 15 d: 0,03mg

7 d: 0,025 mg 15 d: 0,125mg 11 d: 0,05 mg 11 d: 0,05 mg

Gracial ® , Biviol ®

Zweiphasen- präparate

Neo-Eunomin ®

EE

11 d: 1 mg 11 d: 2 mg

Pramino ®

7 d: 0,18 mg 7 d: 0,215 mg 7 d: 0,25 mg

Dreiphasen- präparate

EE

7 d: 0,035mg 7 d: 0,035mg 7 d: 0,035mg

Qlaira ®

Dienogest 2 d: 0 mg 5 d: 2 mg 17 d: 3 mg 2 d: 0 mg

Vierphasen- präparate

Estradi- olvalerat

2 d: 3 mg 5 d: 2 mg 17 d: 2 mg 2 d: 1 mg

-

-

Levonor- gestrel Desoges- trel

0,03 mg

Microlut ® , 28 mini ®

-

-

0,075 mg

Cerazette ® , Tevanette ® , Desogestrel Aristo ® , Melinagyn ® , Yvette ® , Jubrele ® , Damara ® , Evakadin ® , Desirett ® , Desofe- mono ® , Solgest ® , Seculact ® , Chalant ® , Onefra ® , Diamilla ® , Simonette ® , Feanolla ®

Minipille

Vaginalring

EE

2,7 mg

Etonoges- trel Norelges- tromin Medro- xyproge- steronace- tat Medro- xyproge- steronace- tat Norethi- steronace- tat Etonoges- trel

11,7 mg

NuvaRing ® , Circlet ®

Verhütungs- pflaster

EE

0,6 mg

6 mg

Evra ®

EE

0,55 mg

Gestoden 2,1 mg

Lisvy ® (in Kürze)

150 mg

DepoClinovir ® , DepoProvera ®

3-Monats- spritze

-

-

104 mg

Sayana ®

-

-

200 mg

Noristerat ®

-

-

Implantat

-

-

68 mg

Implanon ® , Nexplanon ®

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 9

Verhütungs-Update

dass grundsätzlich durch Auslassen des pillenfreien Intervalls die Blutung ver- schoben werden kann. Schlussendlich ist jedoch in einem solchen Fall auch die Mei- nung des behandelnden Gynäkologen zu- sätzlich einzuholen.

oralen Kontrazeptiva auch beim Vaginal- ring oder Verhütungspflaster durchge- führt werden.

gleichbaren Situationen führen kann. Be- trachten wir zunächst Tabelle 3. Alle in dieser Tabelle aufgeführten Arzneimit- tel haben die gleiche Zusammensetzung: 20 μg Ethinylestradiol und 3 mg Drospire- non. Die ABDA-Datenbank erkennt diese

Fall 2 – Kundin: „Bitte schön. Hier ist mein Rezept über die Dreimonatspa- ckung“!

BEISPIELE: • Daylette ®:

Exkurs: Langzeitzyklus

Sie erhalten ein Kassenrezept über ei- ne Pille von einer jungen Kundin: Maita- lon 20, 3x21 Stück (Techniker Krankenkas- se). Aufgrund eines vorliegenden Rabatt- vertrages bekommen Sie nun die MYWY ® als Austausch angezeigt. Dürfen und sol- len Sie nun einfach die Pillen gegeneinan- der austauschen? Natürlich ist eine Ver- ordnung einer Pille zu Lasten der GKV ei- ne durchaus seltene Situation, die norma- lerweise nur bei (sehr) jungen Kundinnen vorkommt. Alltäglich ist jedoch die Frage nach einem identischen, aber preisgünsti- geren Präparat. In diesem Fall nutzen wir eine Aut-idem-Suche, die uns ggf. zu ver-

Vereinfacht dargestellt, lässt sich durch die kontinuierliche Einnahme der Tablet- ten mehrerer aufeinanderfolgender Bli- ster die Hormonentzugsblutung für einen bestimmten Zeitraum unterdrücken. Die Dauer der kontinuierlichen Einnahme ist daher meist ein Vielfaches von 21. Bei der Anwendung von oralen Kontrazeptiva spielt häufig auch der Wunsch, die Regel- blutung den Aktivitäten anzupassen, eine große Rolle. Durch Anwendung des Lang- zeitzyklus ist es möglich, die Abbruchblu- tung für einen längeren Zeitraum zu ver- schieben, um zyklusabhängige Beschwer- den (Zyklusstörungen, Hypermenorrhoe, Dysmenorrhoe) zu umgehen. Während diese Methode in Deutschland bisher in der Regel nur im off-label-use angewandt werden konnte, sind in den USA bereits spezielle Präparate zugelassen, die über mehrere Monate durchgängig ohne „Pil- lenpause“ angewandt werden. Seit ei- niger Zeit gibt es jedoch auch in Deutsch- land Arzneimittel (zum Beispiel Velmari ® ), die für die Langzykluseinnahme zuge- lassen und vorgesehen sind. Dabei ist zu beachten, dass immer mindestens 21 Pil- len kontinuierlich eingenommen werden, um den kontrazeptiven Schutz aufzubau- en. Das bereits genannte Präparat Velma- ri ® zeichnet sich durch eine „Pflichtpha- se“ von 24 Tabletten und einer anschlie- ßenden „variablen Phase“ ab Tag 25 (bis maximal 120) aus. In der Literatur wird der Langzyklus auch mit einer steigenden Sicherheit mit zunehmender Einnahme- dauer in Verbindung gebracht. Wie be- reits oben aufgeführt, kann eine Langzy- kluseinnahme neben den aufgeführten

- 24 weiße Verum-Tabletten - 4 grüne Placebo-Tabletten

• MYWY ® :

- 24 rosa Verum-Tabletten - 4 weiße Placebo-Tabletten

• Maitalon ® :

- 21 weiße Verum-Tabletten - 7 grüne Placebo-Tabletten

Betrachtet man diese Farbkodie- rungen, wird umso klarer, dass ein leichtfertiger Austausch in der Apo- theke nicht erfolgen darf. Compliance- Probleme bei der Einnahme wären vor- programmiert!

Tabelle 3: Übersicht vermeintlich „gleicher“ Pillen

Fertigarzneimittel

Hersteller

Östrogen Ethinylestradiol (EE)

Gestagen Drospirenon (DRSP)

Aida ®

Jenapharm

20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg 20 μg

3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg 3 mg

Daylette ® 24+4

Gedeon Richter

Drosfemine ® 24+4

Mibe Mibe Hexal Hexal

Drospifem ® 20

Eliza ® Hexal

Eliza ® Hexal 24+4

LaYaisa ®

Teva

Maitalon ® 20

Gedeon Richter Gedeon Richter

Maitalon ® 20 21+7

MYWY ®

Zentiva Zentiva

Sidretella ® 20

Veya ® 20 Veyanne ® Xellia ® 20

Ratiopharm Ratiopharm

Aristo Pharma

Yara ® Hexal 20 0,02/3 Yara ® Hexal 20 3/0,02

Hexal Hexal

Yasminelle ® YAZ ® 24+4

Jenapharm Jenapharm

Velmari ® Langzyklus

Exeltis Pharma

10 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe – l de Apothek kammer Westfalen-Lippe

Dr. Miriam Ude / Dr. Christian Ude / Laura Vey

Tabelle 4: Vorgehen bei einmaliger Überschreitung der Einnahmezeit um mehr als 12 Stunden

als „gleich“ und „austauschbar“. Auch et- waige Krankenkassenrabattverträge un- terscheiden hier nicht. In Wahrheit han- delt es sich jedoch um unterschiedliche Therapieschemata: • 21 Pillen – 7 Tage pillenfreies Intervall • 21 Pillen + 7 Placebo-Pillen • 24 Pillen + 4 Placebo-Pillen • zusätzlich: Velmari ® mit bis zu 120 Pillen für einen Langzyklus Würde man jetzt ohne kritisches Hinter- fragen eine 21 + 7-Pille an die Kundin aus- tauschend abgeben, die üblicherwei- se nach 21 Pillen 7 pillenfreie Tage an- schließt, würde eine Falscheinnahme dro- hen. Es wäre nicht auszuschließen, dass nun die Pillenpause nach 28 Pillen (21 Verum- und 7 Placebo-Pillen) folgen wür- de. In Wahrheit würden damit 2 Wochen Pillenpause entstehen und der Kontra- zeptionsschutz wäre verloren. Auch ist ein 24 + 4-Einnahmeschema nicht gegen ein 21 + 7-Schema in der Apotheke aus- tauschbar. „24 + 4“ dient der Reduktion von Nebenwirkungen und Problemen im Kontext mit der Menstruation und wird zweifelsfrei vom behandelnden Arzt fest- gelegt. Zusätzlich zeigt der neben ste- hende Infokasten 1 eine Gefahr der Com- pliance aufgrund von unterschiedlichen Farbkodierungen der verschiedenen Prä- parate. Betrachtet man diese Farbkodie- rungen, wird umso klarer, dass ein leicht- fertiger Austausch in der Apotheke nicht erfolgen darf. Compliance-Probleme bei der Einnahme wären vorprogrammiert! Für die Praxis bedeuten diese Fakten, dass bei automatisiertem Austausch entweder durch Rabattverträge oder die Aut-idem- Suche immer höchste Vorsicht geboten ist. Wenn das Verständnis für die unter- schiedlichen Einnahmeschemata vorhan- den ist, fällt eine Beurteilung der unter- schiedlichen Präparate leichter; ein Aus- tausch kann im Einzelfall geprüft werden.

Nur 1 Tablette in Woche 1 vergessen Die Einnahme sollte so schnell wie möglich nachgeholt werden (auch wenn dies bedeutet, dass zwei Tabletten zur gleichen Zeit einge- nommen werden). Die Tabletteneinnah- me wird danach wie gewohnt fortgesetzt. Es sind jedoch in den nächsten sieben Tagen weitere Ver- hütungsmaßnahmen anzuwenden. Fand in der Woche vor der vergessenen Pille Geschlechtsverkehr statt, so besteht das Risiko einer Schwan- gerschaft.

Nur 1 Tablette in Woche 2 vergessen Die Einnahme sollte so schnell wie möglich nachgeholt werden (auch wenn dies bedeutet, dass zwei Tabletten zur gleichen Zeit einge- nommen werden). Wenn die Pille in den vorausgegan- genen 7 Tagen kor- rekt eingenommen wurde, ist die emp- fängnisverhütende Wirkung gewährleis- tet und es müssen keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen angewandt werden.

Nur 1 Tablette in Woche 3 vergessen

Zeitverschiebung Für die Urlaubsreise bieten sich daher fol- gende zwei Varianten an: die „eigene Uhr“ oder eine „Zwischenpille“. Die ei- gene Uhr für die Pilleneinnahme führt zu festen, absoluten Zeitfenstern zwischen den Pilleneinnahmen. Nachteil hieran ist bei größeren Zeitverschiebungen, dass die Pilleneinnahme zu unpassenden Ta- geszeiten in der dort gültigen Zeitrech- nung durchgeführt wird. Wählt man die „Zwischenpille“, erfolgt zum Beispiel be- reits 12 Stunden nach der letzten Einnah- me die nächste Pille. Anschließend folgen alle weiteren Pillen in der neuen Zeitrech- nung zur gewohnten Tageszeit. Zusammenfassend kann man festhalten, dass Kombinationspräparate bei Zeitver- schiebungen von unter 12 Stunden zur gewohnten Zeit genommen werden. Mi- nipillen werden bei Zeitverschiebungen unter 3 Stunden zur gewohnten Zeit ein- genommen. Bei Zeitverschiebungen von mehr als 3 Stunden wird eine Zwischen- pille nach 12 Stunden eingenommen. Bei Wenn die Tabletten an den voraus- gegangenen sieben Tagen korrekt eingenommen wurden, gibt es zwei Möglichkeiten vorzugehen: Zum Einen kann die Einnahme so schnell wie möglich nachgeholt werden (auch wenn dies bedeutet, dass zwei Tabletten zur gleichen Zeit einge- nommen werden). Die folgenden Tabletten werden wie gewohnt eingenommen, die einnahmefreie Pause wird ausgelassen und es wird direkt mit der Einnahme der Tablet- ten aus der nächsten Zykluspackung begonnen. Alternativ kann die Einnahme aus der aktuellen Packung sofort abge- brochen werden und nach einer ein- nahmefreien Pause von nicht mehr als sieben Tagen mit der Einnahme aus der nächsten Zykluspackung begonnen werden.

Fall 3 – Kundin: „Ich reise für längere Zeit ins Ausland. Was muss ich bei meiner Pil- leneinnahme und der Zeitverschiebung beachten?“ Entscheidend für die Beantwortung die- ser praxisnahen Frage sind die absolu- ten Zeiträume zwischen den Einnahmen zweier Pillen. Die Beurteilung, ob der Ver- hütungsschutz noch vorhanden ist oder nicht bzw. wie sich korrekt zu verhalten ist, leitet sich vom Szenario einer verges- senen Pille ab. Tabelle 5 führt die Zeitfen- ster bis zum Verlust des Kontrazeptions- schutzes auf. Das Schwangerschaftsrisiko ist am höch- sten, wenn Tabletten zu Beginn der ers- ten oder am Ende der letzten Einnah- mewoche vergessen wurden. Geeignete Maßnahmen zur Verhinderung einer Schwangerschaft nach Einnahmefehlern sind in Tabelle 4 beschrieben. Vergessene Pille

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 11 Fortbildung ktuell – Das Journal

Verhütungs-Update

Tabelle 5: Übersicht „Zeitfenster bis zur Gefährdung des Verhütungsschutzes“

werden, dass die Indikation „Notfallver- hütung“ überhaupt gegeben ist; zum Bei- spiel darf nicht jede vergessene Pille auto- matisch zur Abgabe der Pille danach füh- ren. 3. Ansprechen der Frage „Schwanger?“ Aufgrund der Aussagen in den Fachinfor- mationen aller zugelassenen Präparate ist bei dem Verdacht auf eine bestehen- de Schwangerschaft ein Arztbesuch anzu- raten, auch wenn Schwangerschaft keine absolute Kontraindikation mehr ist. Hinweise auf eine mögliche Schwanger- schaft könnten sein: • Erkennt die Apotheke bei der Kun- din Anhaltspunkte auf Gewalt oder erzwungene sexuelle Handlungen, sollten in Absprache mit der Betrof- fenen die Polizei und etwaige wei- tere Beratungsstellen eingeschaltet werden. DIE PILLE DANACH – EIN PAAR BERATUNGS-FAKTEN: • Die Abgabe soll gemäß EMA und AMK unabhängig vom Körperge- wicht erfolgen. • Auch aus Sicherheitsgründen ist eine Kombination von LNG und UPA nicht sinnvoll. • Die Kombination aus Notfallverhü- tung und „normaler“ Pille aus Si- cherheitsgründen ist nicht sinnvoll. • Der Notfallvercharakter und etwaige Vorratskäufe schließen sich aus. • Botenkäufe sind rechtlich nicht ver- boten. Die Grundlage der Abgabe muss aber aus Sicht der Autoren im- mer ein inhaltlich fundiertes Beant- worten der Beratungsfragen durch den Boten sein. • Die Abgabe an Minderjährige (un- ter 16 Jahren) ist eine schwierige Si- tuation. Eine sehr praxisnahe Auf- arbeitung der Thematik bietet hier- zu der Beitrag von P. Kühnel PZ Pris- ma 02/2015 und die BAK Handlungs- empfehlung

Östrogen (tägliche Abgabe)

Gestagen (tägliche Abgabe)

Häufigkeit der Anwendung (Compliance)

Gefährdung des kontrazeptiven Schutzes

täglich um 12 Stunden verspätete Einnahme

Levonorgestrel, Desogestrel, Dieno- gest, Drospirenon, Chlormadinonacetat u.a. Desogestrel, Chlor- madinonacetat u. a. Desogestrel, Chlor- madinonacetat u.a. Norethisteron, Dihy- drogesteron Norethisteron, Dihy- drogesteron Norethisteron, Dihy- drogesteron

KOK (1 Phase)

Ethinyl- estradiol: 0,02 - 0,03 mg

KOK (2 Phasen)

Ethinylestradi- ol: 0,04 - 1 mg

täglich um 12 Stunden verspätete Einnahme

Ethinylestradi- ol: 0,04 - 2 mg

KOK (3 Phasen)

Estradiol: 1 - 2 mg Estradiol: 1 - 2 mg Estradiol: 1 mg

täglich um 12 Stunden verspätete Einnahme

KOK (4-Phasen: Qlaira ® )

Estradiolvale- rat: 3 mg Estradiolvale- rat: 2 mg Estradiolvale- rat: 2 mg Estradiolvale- rat: 1 mg

Dienogest: 0 mg

Täglich um 12 Stunden verspätete Einnahme

Dienogest: 2 mg

Dienogest: 3 mg

Dienogest: 0 mg

Minipille

Levonorgestrel, Desogestrel

Täglich um zwei Stun- den verspätete Einnahme

-

Etonogestrel: 0,015 mg

monatlich

mehr als drei Stunden außerhalb der Scheide

Vaginal- ring

Ethinyl- estradiol: 0,12 mg

Norelgestromin: 0,203 mg

wöchentlich mehr als 24 Stunden nicht korrekt geklebt

Ethinylestra- diol: 0,034 mg

Verhü- tungspfla- ster

Reisen über die Datumsgrenze sollte die Minipille alle 24 Stunden unabhängig von der jeweiligen Zeitzone eingenommen werden.

rakteristika. Die zehn anschließend auf- geführten Punkte sollten auf jeden Fall mit der Patientin im Gespräch besprochen werden. 1. Frage nach Zeitfenster Diese Ja-Nein-Frage muss zum Ergeb- nis haben, dass der ungeschützte Ge- schlechtsverkehr innerhalb der letzten 72-/120-Stunden lag, so dass je nach Prä- parat die Zulassung erfüllt ist. 2. Abklärung der aktuellen Verhütungssi- tuation Im Beratungsgespräch muss sichergestellt

Fall 4 – Kundin: „Ich brauche bitte einmal die Pille danach!“

Basis für das anschließende Beratungsge- spräches können die neue, aktualisierte Beratungsleitlinie der BAK zur Notfallver- hütung und das E-Book des Govi-Verlages von Ude und Kühnel sein. Tabelle 6 zeigt die in Deutschland am Markt befindlichen Notfallverhütungsmittel inkl. deren Cha-

12 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe F rtbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apoth kerkammer Westfalen-Lippe 12 – as r al de Apothek k mmer Westfalen-Lippe

Dr. Miriam Ude / Dr. Christian Ude / Laura Vey

Tabelle 6: Übersicht der in Deutschland am Markt befindlichen Notfallverhütungs- mittel

FAZIT Die aufgeführten Patientenfälle zei- gen nur exemplarisch, wie wichtig ein fundiertes Grundwissen rund um die Indikation Verhütung ist. Zahlreiche Aspekte werden für das Gespräch in der Apotheke benötigt. Eine hohe Pro- duktkenntnis in diesem dynamischen Markt ist unumgänglich. Gerade die Entlassung aus der Verschreibungs- pflicht der Notfallverhütung hat uns in der Offizin vor neue Herausfor- derungen gestellt, die aber flächen- deckend gut gelöst wurden. 9. Verschiebung der nächsten Menstru- ation ist möglich (Schwangerschaftstest nach 3 Wochen?) Die nächste Blutung kann früher oder auch später als erwartet eintreten. Das muss der Kundin mitgeteilt werden. 10. Hinweis auf fehlenden Schutz vor se- xuell-übertragbaren Krankheiten Für das pharmazeutische Personal selbst- verständlich, für die Anwender aber nicht zwingend: Die Pille danach wirkt nur in Bezug auf Schwangerschaften und schützt nicht vor der Übertragung von Infektionen.

PiDaNa 1,5 mg (Unofem ® , Postinor ® und entsprechende Generika) • Levonorgestrel (LNG) • Anwendung innerhalb von 72 Stun- den • synthetisches Gestagen (Nortesto- steron-Typ) • ebenfalls zugelassen in oralen Kon- trazeptiva, zur Hormonersatzthera- pie

ellaOne ® 30 mg

• Ulipristalacetat (UPA) • Anwendung innerhalb von 120 Stunden • selektiver Progesteronrezeptormo- dulator • ebenfalls zugelassen zur Behand- lung von Gebärmutter-Myomen • antagonistisch und partiell agonis- tisch • Verschiebung / ggf. Unterdrückung der Ovulation inkl. direkter Effekte auf

• verspätete letzte Monatsblutung • veränderte Stärke der letzten Monats- blutung • unübliche Dauer der letzten Monats- blutung Es empfiehlt sich die Frage, ob die letz- te Blutung wie „gewohnt“ zum „erwar- teten“ Zeitpunkt stattgefunden hat. 4. Chronische Krankheiten Für beide Wirkstoffe gibt es einige we- nige Kontraindikationen, die sich in den Fachinformationen finden. 5. weitere Medikation Im Beratungsgespräch muss nach wei- terer Medikation gefragt werden, die sich dann ebenfalls leicht mit der ABDA- Datenbank mit einem Interaktionscheck prüfen lässt. Besondere Beachtung müs- sen u. a. HIV-Therapeutika und Antikon-

vulsiva finden.

6. Einnahme so schnell wie möglich Die Einnahme sollte so schnell wie mög- lich erfolgen. Sie muss aber nicht „vor den Augen“ des pharmazeutischen Personals erfolgen. 7. „Notfallcharakter“ herausstellen und weitere Verhütung im Zyklus Es muss unbedingt auf eine weitere Ver- hütung mittels Barrieremethode hinge- wiesen werden. Außerdem muss der Not- fallcharakter herausgestellt werden. 8. Umgang mit Erbrechen/Stillen Bei Erbrechen innerhalb der ersten 3 Stun- den nach Einnahme muss die Einnahme wiederholt werden. Folgende Stillpausen sind zu beachten: bei Levonorgestrel 8 Stunden, bei Ulipri- stalacetat eine Woche.

13 Fortbildung aktuell – Das J urnal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lipp Fortbildung ktuell – D s Journal

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13

Die neuen Arzneimittel 2014

Die neuen Arzneimittel 2014 Ein pharmazeutischer Jahresrückblick

Auch Arzneimittel, die im Jahr 2014 neu auf den Markt gebracht wurden, müs- sen die frühe Nutzenbewertung für Arz- neimittelinnovationen gemäß des Arz- neimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) durchlaufen (siehe Journal 03/2014). Der Arzneimittelpreis ist somit nicht mehr frei kalkulierbar, sondern un- terliegt einem Bewertungsverfahren und richtet sich in indirekter Form nach dem Ausmaß des Zusatznutzens. Arzneimittel, für die der Zusatznutzen als „erheblich“, „beträchtlich“ oder „gering“ eingestuft wurde, weisen gegenüber der zweckmä- ßigen Vergleichstherapie einen Mehrwert auf. Ist der Zusatznutzen „nicht quantifi- zierbar“, „fehlt“ oder ist „geringer“ als bei der zweckmäßigen Vergleichsthera- pie führt diese Einschätzung dazu, dass das neue Arzneimittel auf Basis der ein- gereichten Daten keinerlei Mehrwert für die Therapie des Patienten beinhaltet und damit im Rahmen der frühen Nutzen- bewertung durchfällt. Neue Arzneimit- tel mit fehlendem Zusatznutzen werden in die Festbetragsgruppe einsortiert. Für den Fall, dass keine Festbetragsgruppe existieren sollte, wird ein Erstattungsbe- trag vereinbart, der nicht höhere Jahres- therapiekosten induziert, als die zweck- mäßige Vergleichstherapie. Für Arznei- mittel, die zur Behandlung eines seltenen Leidens zugelassen sind (Orphan Drugs), entfällt der notwendige Nachweis des Zusatznutzens. Diese Arzneimittel wer- den ebenso frei kalkuliert wie Arznei- mittel, die einen Zusatznutzen zugespro- chen bekommen. Erreicht ein pharmazeu- tisches Unternehmen mit einem Orphan Drug in der GKV allerdings einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro in den letzten zwölf Kalendermonaten, muss der Nachweis des Zusatznutzens erbracht und ein vollständiges Dossier zur Nutzen-

Im Jahr 2013 wurden dem Robert-Koch- Institut (RKI) 4.315 neue Tuberkulosefäl- le gemeldet, was 5,3 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner entspricht. Damit ist die Erkrankung in Deutschland eigent- lich rückläufig. Ein Blick über die Gren- zen hinaus zeigt allerdings einen „ganz anderen“ Trend. Weltweit stellt die Infek- tion mit dem Mykobakterium tuberculo- sis die häufigste tödliche Infektionskrank- heit dar. Die Ansteckung erfolgt mittels Tröpfcheninfektion. Die inhalierten Tu- berkuloseerreger dringen in das Lungen- gewebe ein und werden von den Makro- phagen im Rahmen der unspezifischen Immunabwehr aufgenommen. Innerhalb von zwei Monaten kommt es zur Ausbil- dung von Granulomen im Lungengewe- be. Unter einem Granulom versteht man eine entzündungsbedingte, knotenar- tige Gewebsneubildung. In diesem Stadi- um spricht man von einer latenten Infek- tion. Vor allem bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem überwin- den die Tuberkuloseerreger die körper- eigenen Abwehrmechanismen und kön- nen sich hemmungslos vermehren. Die Erkrankung ist nun aktiv, und beim Hus- ten treten erneut Bakterien aus, die an- dere Personen infizieren können (Tröpf- cheninfektion). In der Regel infiziert ein Patient mit einer aktiven Tuberkulose 15 weitere Menschen. Der Übergang von ei- ner passiven zu einer aktiven Tuberkulo- se erfolgt statistisch gesehen bei ca. 10 % der Erkrankten. Eine Immunschwäche, beispielsweise bedingt durch eine Infek- tion mit dem HI-Virus erhöht die Wahr- scheinlichkeit für einen Ausbruch der Er- krankung um ein Vielfaches. Gerade in är- meren Ländern gilt eine aktive Tuberku- lose als erstes Anzeichen für einen Aus- bruch von HIV und führt in den meisten Fällen schnell zum Tod. Problematisch ist

Dr. Henrik Müller (Haan), ist Herstel- lungsleiter und Head of Production bei Aesica Pharmaceuticals.

bewertung vorgelegt werden.

Im Rahmen des vorliegenden Artikels wird der Schwerpunkt auf bedeutende Innovationen des Jahres 2014 gelegt. Ins- gesamt wurden 43 neue Arzneistoffe auf dem deutschen Arzneimittelmarkt zuge- lassen. Der Schwerpunkt lag vor allem bei den Orphan Drugs, von denen 2014 mehr als fünfzehn neu auf den Markt kamen.

Bedaquilin (Sirturo ® ) – Hoffnung bei Tuberkulose

Bedaquilin ist zur Anwendung bei er- wachsenen Patienten als Teil einer Kombi- nationstherapie der multiresistenten pul- monalen Tuberkulose indiziert. Für den Einsatz wird vorausgesetzt, dass kein an- deres wirksames Behandlungsregime zur Verfügung steht. Gründe dafür können in einer möglichen Resistenz oder einer Un- verträglichkeitsreaktion liegen.

14 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Dr. Henrik Müller

Tabelle 1: Formen der Tuberkulose-Resistenz Medikamentenempfindliche Tuberkulose

in diesen Ländern vor allem, dass es häu- fig an den erforderlichen finanziellen Mitteln für eine Therapie fehlt. Eine Behandlung ist aber nicht nur erfor- derlich, wenn sich eine passive Tuberku- lose in eine aktive Form umwandelt. My- kobakterien teilen sich sehr langsam und besitzen die Eigenschaft, in tuberkulösen Granulomen ein Leben lang zu schlum- mern, bis die Immunabwehr scheitert und die Bakterien aktiv werden. Aus diesem Grund ist es essentiell, eine passive Tuber- kulose ebenfalls zu behandeln. Eine aktive Tuberkulose äußert sich für die Betroffenen mit zunächst unspezi- fischen Symptomen wie Husten, Nacht- schweiß und Fieber. Zur genauen Diag- nosestellung kommen der Tuberkulin Hauttest, Röntgenaufnahmen der Lun- ge, sowie Bluttests und der Nachweis von Erregern im Sputum, das heißt: in der ausgehusteten Absonderung der Atem- wegsschleimhaut, zum Einsatz. Eine In- fektion mit Mykobakterium tuberculosis ist meldepflichtig. Liegt eine akute Tuber- kulose vor, erfolgt die Behandlung für die Dauer der akuten Ansteckungsgefahr sta- tionär. Die Ansteckungsgefahr bleibt be- stehen, bis keine vermehrungsfähigen Er- reger mehr mit dem Husten ausgeschie- den werden. Eine Impfung gegen Tuber- kulose wird von der Ständigen Impfkom- mission am RKI seit 1998 nicht mehr emp- fohlen. Als Gründe werden neben der günstigen epidemiologischen Situation in Deutschland, eine nicht sicher belegbare Wirksamkeit sowie die nicht seltenen un- erwünschten Nebenwirkungen des BCG- Impfstoffes angeführt. Die Erstlinien-Me- dikamente im Kampf gegen die Tuberku- loseerreger stellen die Antibiotika Rifam- picin und Isoniazid dar. Das größte Pro- blem bei der Bekämpfung der Tuberkulo- se ist die Entwicklung von Resistenzen. Es existieren mehrere Resistenz-Formen der Tuberkulose, die aus der Sensitivität ge-

Keinerlei Resistenz gegenüber spezifischen Antituber- kulotika Resistenz gegenüber Isoniazid ODER Rifampicin Resistenz gegenüber Isoniazid UND Rifampicin Resistenz gegenüber Isoniazid UND Rifampicin UND Gyrasehemmern ODER anderen intravenös zu verab- reichenden Antibiotika Resistenz gegenüber Isoniazid UND Rifampicin UND Gyrasehemmern UND anderen intravenös zu verabrei- chende Antibiotika

Monoresistenz

Multiresistenz (MDR)

Prä-XDR

Extensive Resistenz (XDR)

genüber verschiedenen Arzneistoffen re- sultieren (siehe Tab. 1).

als Orphan Drug zur Behandlung der mul- tiresistenten Tuberkulose (MDR) in Kom- bination mit anderen Antituberkulotika beschleunigt auf der Basis von nur zwei Phase-II-Studien mit insgesamt 440 Pa- tienten zugelassen. In der EU hat Beda- quilin eine Zulassung unter Auflagen er- halten („conditional approval“), das be- deutet, dass weitere Studien die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bele- gen müssen. Als Grund für die beschleu- nigte Zulassung wird – neben dem posi- tiven Nutzen-Risiko-Verhältnis und der überzeugenden Wirksamkeit – angeführt, dass Wirkstoffe gegen multiresistente Tu- berkulose dringend benötigt werden. An der noch laufenden Studie C209 neh- men 233 Patienten mit MDR, präXDR und

Der Wirkmechanismus von Bedaquilin ist neuartig, da Bedaquilin direkt in den En- ergiehaushalt des Mykobakteriums ein- greift. Damit kann Bedaquilin zum Ein- satz kommen, wenn andere Antibiotika versagen. Abbildung 1 zeigt die Wirkprin- zipien der Tuberkulose-Medikamente in der Übersicht. Bedaquilin hemmt die mykobakterielle ATP-Synthase und damit die Energiege- winnung. Es wirkt somit bakterizid, und zwar sowohl auf sich teilende als auch auf ruhende Tuberkuloseerreger. Bedaquilin wurde im vergangenen Jahr von der FDA

Abbildung 1: Wirkprinzipien der Tuberkulose-Medikamente in der Übersicht, mit freundlicher Genehmigung des vfa, Stand Mai 2012

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