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THEMA

Der Patient steht an erster Stelle

Auf der Intensivstation werden ethische Fragen individuell betrachtet und beantwortet.

M ittwoch, 13:00 Uhr – ‚Ethikvisite‘ auf der Intensivstation im Wuppertaler Petrus-Krankenhaus: Als Mitglied des Ethikteams höre ich als Krankenhaus- seelsorgerin einmal wöchentlich der Pflege- übergabe zu und spitze die Ohren für poten- ziell ethisch relevante Themen wie ‚Zustand nach Reanimation‘, ‚vermuteter hypoxischer Hirnschaden‘, ‚invasive Beatmung‘, Fixie- rung und andere Stichworte. Später, am Patientenbett und im Gespräch mit den Pflegenden, ordnet sich für mich das, was in der Übergabe nur kurz ange- rissen wurde. Denn inmitten der bestmög- lichen medizinischen und pflegerischen Versorgung der schwerkranken Patienten laufen parallel auch die existenziellen und oftmals ethischen Fragen mit: Ist etwas über den Patientenwillen bekannt? Lässt sich ein Behandlungsziel für die nächsten 14 Tage formulieren? Dienen die lebens- erhaltenden Maßnahmen dem Patienten oder beginnen sie ihm möglicherweise zu schaden? Wie kann Leid vermieden wer- den? Welche Erwartungen äußern die Angehörigen? Naturgemäß berühren ethische Fragen auf der Intensivstation immer eine Ent- scheidung, bei der um das Wohl des Pa-

tienten gerungen wird. Weil oft so wenig darüber bekannt ist, welche Entschei- dung der Patient für sich selbst in die- ser schwierigen Situation getroffen hät- te, liegt die Last auf den Schultern der Angehörigen, der Pflegenden und der verantwortlichen Ärzte. Für die Angehö- rigen ist es eine Ausnahme- und Extrem- situation, in der sie vielleicht zum ersten Mal mit dem drohenden Tod eines ihnen nahestehenden Menschen konfrontiert werden. Dabei ist kaum einer von ihnen in der Lage, den Wunsch nach einer The- rapiebegrenzung zu äußern, mag der Zu- stand des Schwersterkrankten noch so ausweglos sein. Zu der Belastung, eine lebenserhaltende Therapie infrage zu stellen, gesellen sich auch wichtige juristische Fragen. Insbe- sondere im Fall einer Therapiebegren- zung, wie etwa der Verzicht auf Katechola- mine (Medikamente zur Wiederbelebung) oder der Dialyse, muss diese Entschei- dung medizinisch einwandfrei begründbar sein. So sehr dies für Ärzte der Intensiv- station zu ihrem täglichen medizinischen Handeln und Versorgen gehört, gibt es doch immer wieder einzelne Patienten, die ethisch besonders herausfordernd sind.

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CellitinnenForum 01 | 2022

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