Blickpunkt Schule 3/2020

de schreibt. Hier lag für mich und da- mit auch für die Lernenden das größte Problem: die fehlende Ausstattung bei den Schülerinnen und Schülern! Was im Präsenzunterricht ganz ein- fach an der Tafel vor aller Augen ge- lingt, wird im Onlineunterricht zur Zerreißprobe, denn man kann nur sehr schwer auf Schülerlösungen zurück- greifen. Hier wäre eine flächende- ckende Ausstattung von Geräten mit Stifteingabe vonnöten. Unter diesen Umständen ist hauptsächlich Unter- richt durch Instruktion möglich. In vielen Stunden hatte ich das Ge- fühl, dass ich nicht dreißig Schülerin- nen und Schüler in meinen Videokon- ferenzen sitzen hatte, sondern noch mindestens ebenso viele Personen im Hintergrund — sei es a)wegen notwendiger Hilfestellung im Umgang mit den Geräten, b)um die Kinder zu gezielten Nach- fragen anzuregen oder c) einfach aus reinem Interesse. Sicherlich findet das Arbeiten in man- chen Haushalten in nur einem Zimmer statt, Geschwisterkinder sind eben- falls parallel im Onlineunterricht oder die Eltern arbeiten von zu Hause aus, doch die Anwesenheit zusätzlicher Personen führt unweigerlich bei allen Beteiligten zu Zurückhaltung: Erstens fällt es manchen Lernenden schwerer, ihre Ideen und Antworten vor einem umso größeren Publikum auszuspre- Unterhaltung für die ganze Familie

chen und zweitens fühlte ich mich als Lehrkraft unter der Kontrolle von Au- ßenstehenden. Transparenz Auch wenn ich eine Vielzahl positiver Rückmeldungen von Eltern erhielt, blieben Ratschläge, Aufforderungen zu Fortbildungen oder schlichtweg Anweisungen der Eltern in einem amüsanten Befehlston – noch dazu über die Schüleraccounts (!) – nicht aus. Zugegebenermaßen arbeiten si- cherlich viele Elternteile beruflich mit dieser Plattform und fühlen sich da- her imstande, Ratschläge zu erteilen. Offensichtlich ist ihnen die äußere Struktur der Plattform dann aber wichtiger als das, wofür sich die Lehr- kräfte einsetzen: fundierten, gut vor- bereiteten, anregenden Unterricht auch in dieser Situation anzubieten! Mehrwert Nach einigen Wochen Fernunterricht im Homeschooling lässt sich eine er- nüchternde Zwischenbilanz ziehen. Die Kluft zwischen hoch motivierten Schülerinnen und Schülern und de- nen, die sich zu gern ein zweites Mal zur Mitarbeit anregen lassen, klafft im Fernunterricht noch wesentlich weiter auseinander, als sie das ohnehin schon tut. Der Hinweis des Hessischen Kultusministeriums, dass der Fernun- terricht in Ermangelung einer rechtli- chen Grundlage keinerlei Relevanz für

die Bewertung haben darf, ist zwar gerechtfertigt, führt aber bei man- chen Schülerinnen und Schülern zu der Annahme, dass eine kontinuierli- che Mitarbeit nicht notwendig sei. Ausblick Unter der Annahme, dass ein regulä- rer Schulbetrieb im ’neuen Schuljahr’ immer noch nicht möglich sein wird, müssen sich aus meiner Sicht vier zentrale Dinge verändern, um die Un- gerechtigkeit in Ausstattung und Leh- re auszugleichen: • zentrale Bereitstellung adäquater, digitaler Unterrichtsmaterialien, sodass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, interaktiv zu lernen und nicht ausschließlich von den persönlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Ressurcen und nicht zuletzt der Volution der Lehrkräfte abhängig zu sein, • Bereitstellung von Geräten für alle Beteiligten (Lernende und Lehren- de) sowie Zugang zu einer Internet- verbindung mit hohem Daten- durchsatz für schulische Belange, • Betreuung der Lehrenden und Lernenden im Umgang mit den Geräten (Einweisung/technischer Support/IT-Administration etc.), • Klärung rechtlicher Belange wie Datenschutz, Dienstumfang für sowohl im Präsenzunterricht als auch im Fernunterricht eingesetzter Lehrkräfte, akzeptierte Grundlagen zur Beurteilung, Anwesenheits- pflicht u.v.m.

BLICKPUNKT Schule Lehren und Lernen in Zeiten von Corona 7

Der Hessische Philologenverband wünscht seinen Leserinnen und Lesern erholsame Sommerferien

Bild: Alexander Raths/AdobeStock

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