Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 4/2017

MOTIVIERENDE GESPRÄCHSFÜHRUNG

Im Ergebnis redet sich der Patient hier also selbst in die unerwünschte Form seiner Ambivalenz hinein: die Kontra-Position wird eingenommen bzw. verstärkt. Da Menschen dazu neigen, insbeson- dere dem Glauben zu schenken, was sie sich selbst sagen hören, möchten wir ver- meiden, dass der Patient die Argumente für sein therapiehemmendes Verhalten erneut ausspricht und somit verstärkt. Wie wäre es besser? Wir wollen, dass der Patient selbst positiv über eine Ver- haltensänderung spricht und die Absicht sich zu ändern in eigenen Worten zum Ausdruck bringt. Im MI wird von „ Change Talk “ gesprochen. Man könnte sagen, dass ein Teil der Zielsetzung des MI ist, Change Talk zu generieren (Comic C). Daher lautet die erste Botschaft an den Patienten, dass wir ihn so annehmen wie er ist, denn das ebnet den Weg für den Veränderungs- willen des Patienten. Es ist wichtig den Ist-Zustand zu würdigen, damit es für den Patienten – scheinbar paradoxerwei- se – einfacher wird einen Veränderungs- willen zu entwickeln (sogenannter parado- xer Veränderungswille). Einerseits sind die Gründe gegen eine Veränderung für uns wichtige Schlüssel zum Verständnis. Handelt es sich um ein schlichtes Missverständnis oder fehlen- des Problembewusstsein? Hat der Patient keine Zuversicht aufgrund von eigenen Erfahrungen oder ist er verunsichert von zu viel oder zu wenig Information? Wie stark ist die Ambivalenz zuungunsten der Therapie? Es kann viele Gründe geben, von denen manche gegebenenfalls schnell auszuräumen sind. An dieser Stelle ist be- reits Vorsicht geboten, um nicht in den traditionell verwendeten Blickwinkel der Insuffizienz, Fehlerhaftigkeit oder Schwä- che zu verfallen. Diese Perspektiven tra- gen unsere Patienten bereits zu Genüge in sich und hören sie permanent in den un- terschiedlichsten Zusammenhängen. Für die motivierende Gesprächsführung ist es noch wesentlich wichtiger, die Gründe für eine Veränderung zu finden. Und zwar solche, die für den Patienten für eine Än- derung sprechen, denn nicht unsere Argu- mente sondern seine eigenen werden ihn am besten überzeugen und motivieren können (vgl. Abb. 2). Understand – Was bewegt den Patienten?

Argumenten für die Therapie und erfor- derlichen Verhaltensänderungen oft nicht zum Erfolg. Warum ist das so? Unent- schlossen sitzt der Patient zwischen allen Stühlen, er ist ambivalent. Bei einer Kon- frontation mit Pro-Veränderungsargu- menten wird die Mehrheit der Menschen als Reaktion eine Rechtfertigung vorbrin- gen und darüber sprechen, warum das für ihn NICHT geht. Dieser „ja-aber-Reflex“ ist bei solcherlei als direkt empfundener Konfrontation fast unvermeidlich, wir ha- ben ihn in die Defensive gebracht und er verteidigt sich. Analog einem Pendel, das nach starker Auslenkung in die Gegenrich- tung schwingt (vgl. Abb. 1). Dabei helfen einige Aha-Affekte in Be- zug auf die Therapiewiderstände, die wir beim Patienten vorfinden: • Niemand ist im Veränderungsprozess gänzlich unmotiviert, jeder ist mitunter ambivalent. • Leugnen ist keineCharaktereigenschaft. • Widerstände sind keine Persönlich- keitsmerkmale, sondern Folge von Au- tonomieverletzungen, also eine Form des Selbstschutzes.

es weiter; wenn er annehmen kann und für die eigene Entwicklung bereit ist. Kann ich mich mit so einer Einstel- lung identifizieren? Sicherlich ist dies eine wichtige Eingangsvoraussetzung für die Anwendung des MI. Wir brauchen Selbstdisziplin (hier kann Zurückhaltung und Bescheidenheit gefragt sein), eine aufrichtige ruhige Einstellung und den entsprechenden offenen Geist (genannt „ MI-Spirit") dazu und natürlich das zu- grundeliegende aufrichtige Interesse am Patienten. Wenn ich in der Begegnung mit dem Pati- enten an den Punkt komme, dass ich ein Problem erkenne und der Patient dieses möglicherweise auch offen zum Ausdruck bringt und ich sehe, dass ich dem Patien- ten Lösungswege für sein Problem anbie- ten kann, dann beginnt die Arbeit des MI und der gesamte Ablauf lässt sich einfach zusammenfassen: RULE. Leider führt die – förderlich gemein- te – Äußerung guter und sachlich richtiger RULE yourself – not your client!

ABBILDUNG 2: Die Vier-Felder-Matrix verdeutlicht die Dynamik des ungelösten inneren Konfliktes des Patienten. Jede Veränderung erfordert Mut zum Aufbruch ins Unbekann- te und zum Loslassen von Gewohnheiten. Gesprächsführung im Stil des MI ermöglicht es dem Patienten, aufbauend auf seinen Wertvorstellungen, die vier Felder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Neue Aspekte können freigelegt werden, überholte Überzeugungen werden erkannt. In Analogie zu einer Waage hilft der Apotheker dabei, die Gewichte anders zu setzen, ohne dabei dieWaage mit eigenen Gewichten zu belegen.

Vier-Felder-Matrix (nach Petry)

Argumente, Gefühle, Einstellungen, Selbstbild, Fähigkeit

Nachteile

Vorteile

… wenn ich nichts verändere (an meinem schädlichen Verhalten)

Zustandsverschlechterung mit Atemnot, Verlust an Lebensqualität, Sport und andere Hobbies leiden, Klamotten stinken, Angehörige leiden, verkürzte Lebenserwartung und alles was auf der Packung steht… Gewohnheitsänderung, immer wieder ist die Anstrengung um einen Rückfall zu vermeiden, man wird sich möglicherweise selbst ekeln wenn andere rauchen, befürchtete Gewichtszunahme ... Nicht mehr „dazu“ gehören, aktive Anstrengung der

Gemeinschaft mit anderen Rauchern, ggf. Kick oder sogar Genussmomente, bestimmte Gewohnheiten können beibehalten werden …

… wenn ich mein Verhalten verändere

Es werden Dinge möglich, die bisher unmöglich waren: Geschmackssinn kehrt zurück, Gewinn an Lebenszeit und - qualität, Bestätigung für das eigene Durchhaltevermögen, gesteigerter Selbstwert, Anerkennung und Dankbarkeit von nichtrauchenden Mitmenschen, Geld sparen…

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