Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 4/2018

ARZNEIMITTELTHERAPIE IN DER SCHWANGERSCHAFT

Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft

Arzneimitteltherapie in der Schwan- gerschaft nimmt nach wie vor einen hohen Stellenwert ein. Mit neun Mo- naten ist der Zeitraum einer Schwan- gerschaft so lang, dass die Einnahme von Medikamenten nicht unwahr- scheinlich ist, außerdem ist bekannt, dass 80 bis 90 Prozent aller Schwan- geren Medikamente einnehmen. Häufig sind dies Arzneistoffe in der Selbstmedikation, aber auch chro- nisch kranke Schwangere mit bei- spielsweise neurologischen und psy- chischen Erkrankungen, mit Diabetes, Bluthochdruck oder Asthma sowie Patientinnen mit bakteriellen Infekti- onen sind auf die Einnahme von Me- dikamenten angewiesen. 1977 hat James Wilson sechs Grundprinzi- pien der Teratologie formuliert, die immer noch gelten: 1. Die Empfindlichkeit des Embryos gegenüber teratogenen Einflüssen hängt von seinem Genotyp ab. 2. Das Entwicklungsstadium des Emb- ryos zum Zeitpunkt des Einflusses ist für die Empfindlichkeit entscheidend. 3. Teratogene Noxen wirken in spezifi- scher Weise auf Zellen und Gewebe und führen zu einer abnormalen Entwicklung. 4. Physikalische und chemische Eigen- schaften des Wirkstoffs sind von Bedeutung. 5. Nach einer Schädigung sind Tod des Embryos, Fehlbildungen, Wachstums- retardierungs- und Funktionsstörun- gen möglich. 6. Es gelten Dosis-Wirkungs- Beziehungen. Für die Praxis in der Apotheke von Bedeu- tung sind hier vor allem die Eigenschaften des betroffenen Arzneistoffes, die Dosis- Wirkungs-Beziehungen und der Zeitpunkt der Exposition. In den ersten zwei Wochen nach der Befruchtung gilt das sogenannte Grundprinzipien der Teratologie

Dörte Schröder-Dumke (Wedel) ist Apothekerin in der öf- fentlichen Apotheke, Referentin für verschiedene Apothe- kerkammern und hat neun Jahre lang den Qualitätszirkel der Apothekerkammer Hamburg Arzneimittel in Schwan- gerschaft und Stillzeit moderiert.

Dörte Schröder-Dumke

begrenzten Abgabe auf 30 Tage Vorrat diesem Umstand Folge geleistet. Gleich- zeitig muss bei beiden Stoffgruppen eine sichere Kontrazeption erfolgen, die durch ärztlich überwachte Schwangerschafts- tests kontrolliert werden muss. Sicher- lich immer wieder zu berücksichtigen sind „ältere“ Antiepileptika, wie z. B. Val- proinsäure, Phenytoin, Primidon, Carba- mazepin oder auch Topiramat als neuere Substanz. Auch von Cumarin-Derivaten, ACE-Hemmern und AT-1-Antagonisten, Mycophenolat, verschiedenen Zytostati- ka, Androgenen und Antiandrogenen in hohen Dosierungen kennt man das tera- togene und fetotoxische Risiko. Bei psych- iatrischen Patientinnen müssen vor allem Kombinationstherapien und Therapien mit Lithium sowie Fluoxetin sehr kritisch hinterfragt und evtl. umgestellt werden.

„Alles- oder Nichts-Prinzip“. Da die Zellen noch omnipotent sind, können geschädig- te Zellen ersetzt oder die Frucht abgesto- ßen werden. Schwierig wird es allerdings, wenn in dieser Zeit Arzneimittel mit ei- ner langen Halbwertszeit eingenommen werden. Ab dem ca. 15. Tag nach der Be- fruchtung beginnt die Embryonalphase, die bis zum ca. 60. Tag die Ausbildung der Organanlagen und danach eine besonders sensible Zeit kennzeichnet. In der sich an- schließenden Fetalphase folgt die Reifung der Organe und Ausbildung der Gewebe. Obwohl hier die generelle Empfindlichkeit etwas abnimmt, kann es zu schwerwie- genden Funktionsstörungen und Defek- ten kommen. Bis heute kennen wir nicht viele wirk- lich teratogene und fetotoxische Arznei- stoffe (Tab. 1). Der nach wie vor bekannteste terato- gene Arzneistoff ist das Thalidomid, das vor mehr als 50 Jahren zur sogenannten „Contergan-Katastrophe“ führte, inzwi- schen aber wieder in der Therapie des multiplen Myeloms eine Renaissance er- lebt und demmit der Verordnung auf dem T-Rezept auch vom Gesetzgeber besonde- re Beachtung zukommt. Isotretinoin und seine Derivate, wie Acitretin, Tretinoin und Alitretinoin wer- den als am zweitstärkste teratogene am Markt befindliche Substanzen eingestuft. Dies konnte anhand von Tierversuchen gezeigt werden. Auch hier hat der Ge- setzgeber bei Frauen mit einer Gültigkeit der Verordnung von sieben Tagen und der

Überwindung der Plazenta

Die meisten Arzneistoffe haben eine Mo- lekularmasse von 600 bis 800 und können somit die Plazenta leicht überwinden, bei z. B. Insulin und Heparin ist dies nicht der Fall.

Veränderte Pharmakokinetik

Die Pharmakokinetik der Mutter in der Schwangerschaft ändert sich. So wird die Magenentleerung verzögert und die Darmmotilität heruntergefahren, das Gesamtkörperwasser und der Fettanteil nehmen zu, die renale Clearance erhöht

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