Blickpunkt Schule 5 2025

mentiert, dass dieses getrost abge schafft werden könne, der würde dem deutschen Bildungssystem die Leis tungsspitze abschlagen, wie die Er gebnisse der empirischen Bildungs forschung zeigen – hier am Beispiel PISA demonstriert: In Mathematik, den Naturwissenschaften und im Lesen erreichen Gymnasiasten in Deutschland im Schnitt 546, 570 bzw. 556 Punkte, während Schüler an nicht gymnasialen Schularten nur 438, 454 bzw. 442 Punkte erzielten. Damit landet das Gymnasium auch deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 472, 485 bzw. 476 Punkten und sogar in den weltweiten Spitzenrängen, angeführt von Singapur mit 575, 561 bzw. 543 Punkten. Jenseits des Vergleichs mittels internationaler Schulleistungsstudien ist ein weiteres empirisches Ergebnis beachtenswert: Die Studierfähigkeit von Abiturienten mit gymnasialem Hintergrund liegt nach wie vor deut lich über allen anderen. Während über achtzig Prozent der Abiturienten ein Studium erfolgreich abschließen, sind es bei anderen Schulformen mit Hochschulzugangsberechtigung nur gut sechzig Prozent. Wer das Gym nasium erfolgreich absolviert, ist studierfähiger und verfügt über wirk same wissenschaftspropädeutische Kompetenzen. Bildungsgerechtigkeit neu bewertet Und wie steht es mit der Bildungsge rechtigkeit? Diese wird seit jeher am Einfluss des Elternhauses gemessen, und immer wieder ist zu vernehmen, dass Deutschland zu den ungerech testen Bildungssystemen weltweit gehöre. Diese Aussage wird in der Debatte schon so oft wiederholt, dass jegliche Reflexion überflüssig scheint. Aber allein das Wiederholen einer Aussage macht sie nicht richtig, wie erneut die jüngsten PISA-Daten zei gen: Waren in früheren Studien die Leistungen der Schüler abhängig vom Elternhaus, gab es im Jahr 2022 eine Wende. Der Einfluss des Elternhauses auf die Leistung der Schüler in

Deutschland unterscheidet sich – allen Unkenrufen zum Trotz – nicht mehr vom Durchschnitt der OECD Länder. Damit ist das deutsche Schul system eben nicht ungerechter als die Schulsysteme anderer Länder. Die NEPS-Daten gehen sogar noch einen Schritt weiter: Je strikter die Länder beim Wechsel an die weiter führende Schule vorgingen, desto höher fielen die durchschnittlichen Leistungen aus, heißt es in einem entsprechenden Bericht. Die Glied rigkeit des Schulsystems führe nicht zu einer Verstärkung der Effekte so zialer Herkunft, vielmehr schwächten sich diese bei einer strikten Leis tungsdifferenzierung eher ab. Die Leistungen in der Sekundarstufe nähmen zu, insbesondere in der Kombination mit einer hinsichtlich der Lernvoraussetzungen homoge neren Zusammensetzung der Schul klassen nach kognitiven Fähigkeiten – wovon vor allem schwächere Schüler profitieren. Mit anderen Worten: Das Gymnasium und in der Folge eine entsprechende Leistungsdifferen zierung führt zu einem insgesamt besseren Bildungsniveau und fördert damit Bildungsgerechtigkeit. Reform statt Abschaffung Angesichts dieser Ergebnisse der em pirischen Bildungsforschung wird es höchste Zeit, die Polemik zu beenden, das Gymnasium als Grund für die der zeitige Bildungsmisere abzukanzeln. Stattdessen ist es angebracht, den Stellenwert des Gymnasiums wieder anzuerkennen, den es im deutschen Schulsystem hat: Es ist die humanis tische Kaderschmiede im Kontext einer Leistungsorientierung und da mit auch Garant für den Wohlstand einer Gesellschaft. Die Wirtschafts kraft eines Landes hängt vom Bildungs niveau ab. Wenn durch ideologische Reformvorschläge, wie die Abschaf fung des Gymnasiums, das Bildungs niveau noch weiter sinkt, dann werden auch die neuen Staatsverschuldungen den wirtschaftlichen und sozialen Abschwung auf Dauer nicht retten können.

DER AUTOR

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Foto: privat

Univ.-Prof. Dr. Klaus Zierer , Erziehungswissenschaftler und Universitätsprofessor für Schul pädagogik an der Universität Augsburg, studierte das Lehramt an Grundschulen an der LMU München, wo er auch promoviert und habilitiert wurde. Er ist Associated Research Fellow an der University of Oxford.

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Mit dieser Schlussfolgerung soll nicht verkannt werden, dass im Schul system allgemein und auch am Gym nasium Reformen nötig sind. Gerade die letzten Jahrzehnte waren in der Bildungspolitik davon gekennzeich net, in eine evidenzfreie ‘Reformeritis’ zu verfallen, die mehr Schaden als Nutzen brachte, Lehrer von ihrem Kerngeschäft abhielt, den Leistungs anspruch zusehends aufweichte und eine Bildungskultur, die von Anstren gungsbereitschaft und Einsatzwillen mehr denn je geprägt sein sollte, ab wrackte. An diesen Stellen ist anzu setzen, um das deutsche Schulsystem wieder nach vorne zu bringen und in der Folge auch eine Bildungsgerech tigkeit für alle zu ermöglichen. Diese folgt nicht dem ideologischen Diktum »Abitur für alle!«, sondern dem Grund satz »Jedem Kind seine beste Bil dung!«. Entscheidend ist und bleibt die Unterrichtsqualität – und nicht eine ideologisch geführte Struktur debatte. Mit freundlicher Genehmigung des Magazins ‘Cicero’, auf dessen Homepage der Artikel am 23. August 2025 erstmalig erschienen ist.

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