Blickpunkt Schule 5 2025

Heterogenität und Pluralisierung Chance und Herausforderung für unsere Schulen

Teil 2

? Lehrerinnen mit Kopftuch sind bisher eher die Ausnahme. Wie sehen Sie die aktuelle Regelung, dass die Schulen selbst entscheiden sollen, ob das Tragen eines Kopf- tuches durch eine Lehrkraft den Schulfrieden stört oder nicht? Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2015 eindeutig entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen verfassungswidrig ist. Eingriffe sind nur dann zulässig, wenn eine konkrete Gefährdung des Schul friedens nachweisbar ist. Wichtig ist, das staatliche Neutralitätsgebot rich tig zu verstehen. Neutralität bedeutet nicht die völlige Unsichtbarkeit von Religion, sondern vielmehr die Gleich behandlung unterschiedlicher Glau bensrichtungen. So wie eine Lehrerin mit Kreuzkette oder ein Lehrer mit Kippa nicht automatisch als missio narisch gelten, so ist auch das Kopf tuch nicht per se ein Problem für die schulische Neutralität. Darüber hinaus können Lehrerinnen mit Kopf tuch geradezu positive Integrations figuren sein. Sie zeigen, dass religiöse Identität mit beruflicher Professiona lität und der Repräsentation des Staates sehr wohl vereinbar ist. Das sehe ich so, obwohl ich selbst eher zum Laizismus tendiere. Auch das häufig vorgebrachte Argument einer angeblichen ‘impliziten Normativität’ überzeugt kaum. Die Dynamiken in einer Großstadt mit hoher religiöser Vielfalt unterscheiden sich erheblich von denen im ländlichen Raum. ? Viele Schülerinnen und Schüler sowie auch Lehrkräfte sprechen vom ‘N-Wort’ oder verzichten gar in Gänze – auch zum Beispiel beim Rezitieren historischer Quellen oder Texte – darauf, das Wort »Neger« auszusprechen. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Umgang mit die sem Begriff, den wir heute als rassis tisch einordnen? Polemisch gefragt: »Was tun mit dem N-Wort?«

Titelthema

Zum gleichen Themenkomplex wie mit Professor Dr. Susanne Schröter führte der stellvertre tende hphv-Landesvorsitzende Thorsten Rohde auch ein Inter view mit Prof. Dr. Holger Horz. ? In hessischen Schulen sehen wir viele Mädchen mit Kopftuch. Ist das Ihrer Meinung nach ein positives Abbild unserer vielfältigen Gesell schaft? Oder mehr ein Zeichen für den politischen Islam im Aufwind? Zunächst ist auf die im Grundgesetz verankerte Religionsfreiheit (Artikel 4 Grundgesetz) hinzuweisen, die selbst verständlich auch die Wahl religiös motivierter Kleidung umfasst. Eine pauschale Problematisierung des Kopftuchs würde die individuelle Selbstbestimmung untergraben und birgt die Gefahr, Frauen mit Kopftuch kollektiv zu verdächtigen. Wissen schaftlich und empirisch zeigt sich viel mehr ein vielfältiges, unbedingt diffe renziert zu betrachtendes Bild. Richtig ist, dass das Kopftuch in bestimmten Kontexten Ausdruck religiöser Identität innerhalb konservativer oder auch isla mistisch-patriarchaler Milieus sein kann. Empirische Studien, etwa der Bundeszentrale für politische Bildung, belegen, dass die Motive für das Tragen des Kopftuchs sehr unterschiedlich sind. Manche Frauen deuten es sogar bewusst emanzipativ: Sie verstehen das Kopftuch als Ausdruck von Selbstbe stimmung und als Schutz vor Sexuali sierung. Gerade an diesem Punkt sehe ich als Psychologe jedoch ein Dilemma, da eher die Ursache solch übergriffiger Sexualisierungen reduziert werden sollten, statt solche sexistischen Miss stände bestehen zu lassen. Interpreta tionen, die das Kopftuch primär als »Zeichen des Islamismus« deuten, sind deshalb in negativer Weise verkürzend. Sie ignorieren die existierende Motiv vielfalt und stigmatisieren eine ganze Gruppe von Frauen.

Wer, wie ich selbst auch erst im Er wachsenenalter, gelernt hat, dass es sich bei dem fraglichen Begriff um ein schmerzhaftes Symbol kolonialer und rassistischer Gewalt handelt, ver steht, weshalb viele Menschen die Be zeichnung konsequent meiden. Ras sismus lässt sich didaktisch sehr wohl analysieren, ohne dass Lehrkräfte den Begriff selbst aussprechen müssen. Durch Kontextualisierung, die Arbeit mit Quellen, in denen der Ausdruck ersetzt oder markiert ist, oder durch die Einbettung in eine kritische Sprachreflexion können historische Zusammenhänge erschlossen wer den, ohne die diskriminierende Sprachpraxis zu reproduzieren. Be sonders im schulischen Kontext ist auch die Machtasymmetrie im Klas senzimmer zu bedenken. Lehrkräfte verfügen über Deutungsautorität; wenn sie das Wort verwenden, wirkt dies leicht wie eine Legitimierung oder gar Normalisierung, auch wenn es im historischen Kontext zitiert wird. ? Das HMKB hat den Gebrauch des Genderns in Form von Sonderzeichen untersagt. Wie stehen Sie hierzu? Sprache befindet sich stets im Wan del, und gendersensible Formen wie ‘StudentInnen’ oder ‘Lehrer*innen’ sind Teil dieses Prozesses. Niemand ist gezwungen, solche Schreibweisen zu verwenden, aber sie eröffnen die Möglichkeit, Differenzierungen sicht bar zu machen und Sprache nicht als uniformes, sondern als individuelles Ausdrucksmittel zu begreifen. Gen dergerechte Sprache hat zudem eine wichtige inklusive Funktion. Sie macht deutlich, dass Frauen, Männer und nicht binäre Personen gleichermaßen adressiert sind und kann so Zugehörig keit und Chancengleichheit fördern. Im Bildungskontext eröffnet gender sensible Sprache eine besondere Chance: Schülerinnen und Schüler können an sprachlicher Vielfalt un

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SCHULE 5|2025

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