Blickpunkt Schule 5 2025
Debatte oft um kulturelle Hegemonie und den Versuch, dem Gegenüber die eigene Norm aufzuzwingen. Sprache war nie einheitlich. Regio nale Dialekte, Fachsprachen oder Jugendsprache existieren selbstver ständlich nebeneinander, und auch im amtlichen Kontext können Variation und Vielfalt ausgehalten werden. Der Glottisschlag ist dabei ein sprach- liches Mittel, um geschlechtliche Vielfalt hörbar zu machen und ein Zeichen für Inklusion zu setzen. Wer dieses Signal geben möchte, sollte es dürfen; wer es nicht nutzt, sollte ebenfalls nicht sanktioniert werden. Darüber hinaus sprechen empirische Befunde aus der Psycholinguistik dafür, gendersensible Sprachformen ernst zu nehmen. Studien zeigen, dass sie die mentale Repräsentation von Frauen und Minderheiten erhöhen und somit über bloße Symbolik hinausgehen. Eine pragmatische Lösung könnte darin bestehen, dass der Staat Emp fehlungen ausspricht – etwa für neu trale Formen wie ‘Lehrkräfte’ oder ‘Studierende’ – anstatt verbindliche Vorschriften oder Verbote zu erlassen. ? Antisemitische Vorfälle an hessischen Schulen gibt es immer wieder. Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang von Lehrerinnen und Lehrern? Was von der Politik? Antisemitische Vorfälle an Schulen sind leider kein Randphänomen, sondern ein Spiegel gesamtgesellschaftlicher Probleme. Deshalb ist es entscheidend, dass wir sie nicht einseitig deuten. Zwar spielt islamistisch geprägter An tisemitismus in Deutschland eine Rolle, doch ebenso tief verwurzelt ist der klassische, in der sogenannten Mehr heitsgesellschaft entstandene Anti semitismus, wie auch rechte und zu nehmend verschwörungsideologische Ausprägungen. Ein überzeugendes Konzept muss deshalb alle Erschei nungsformen gleichermaßen ernst nehmen, anstatt Verantwortung auf einzelne Gruppen zu verschieben. Von Lehrkräften wünsche ich mir eine klare Haltung: Antisemitismus darf nicht relativiert oder übersehen
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mittelbar erfahren, wie demokratische Prozesse und gesellschaftliche Aus handlungen funktionieren. Ein Verbot hingegen wirkt bevormundend und engt die Sprachfreiheit von Lehrkräf ten und Lernenden unnötig ein, da ein substanzielles Verständnisproblem durch Gendersensible Sprache viel leicht konservative Sprachästheten stört, jedoch keine nennenswerten Verständnisprobleme aus wissen schaftlich-empirischer Sicht erzeugt. Statt also auf starre Verbote zu set zen, sollte man die Entwicklung der Sprache als Chance begreifen – als einen dynamischen Prozess, der Teil habe ermöglicht und gesellschaft- liche Vielfalt sichtbar macht. ? Diese Debatte weitet sich nun auf das gesprochene Wort aus. Müssen wir – die Befürworter und Gegner des Genderns mithilfe des sogenannten Glottisschlages – zweierlei Sprache aushalten? Oder sollte der Gesetzgeber für Beamtin nen und Beamte eine verbindliche Form vorgeben? Auch Beamtinnen und Beamte sind Bürgerinnen und Bürger mit Grund rechten, weshalb der Staat keine sprachpolizeiliche Kontrolle ausüben sollte, solange Verständlichkeit und Neutralität gewahrt bleiben. Alles an dere ist populistische, wissenschaft lich unbegründete, zudem sehr billige Symbolpolitik. In etwa so wie Medien verbote, die kosten auch nix, aber man bedient die Interessen der »Früher war es besser«-Fraktion. Die Verwendung oder Nichtverwendung des Glottis schlages stellt in der Praxis empirisch gesichert keine erhebliche Einschrän kung dar; vielmehr geht es bei dieser
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werden, sondern muss im schulischen Alltag konsequent benannt und zu rückgewiesen werden. Doch Sank- tionen allein reichen nicht. Schulen brauchen präventive Ansätze – Pro jekte zur Demokratiebildung, Begeg nungen mit jüdischem Leben, kriti sche Medienkompetenz und Peer Learning. Solche Zugänge sind empi risch nachweisbar wirksam. Der barbarisch-feige Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober und als dessen Folgen der grausame Gaza krieg, haben uns, wieder mal, schmerzhaft vor Augen geführt, wie weit wir von einer wirklich humanen Gesellschaft entfernt sind. Gleichwohl zeigen viele objektive Indikatoren – etwa gestiegene Lebenserwartung, gesunkene Müttersterblichkeit oder verbesserte Ernährungssituation –, dass global betrachtet die Menschheit im historischen Längsschnitt Fort schritte gemacht hat. Antisemitismus aber bleibt ein Störfeuer auf diesem Weg: Er ist ein sicherer Indikator für gesellschaftliche Fehlentwicklungen und Ausdruck eines Weltbildes, das auf Ausgrenzung, Ressentiment und die Verweigerung von Empathie gründet. schäftsführender Direktor der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung sowie seit 2011 Leiter des Interdisziplinären Kol legs für Hochschuldidaktik. Prof. Dr. Holger Horz ist deut scher Psychologe und Professor für Pädagogische Psychologie (Arbeitseinheit ‘Lehren und Ler nen im Erwachsenenalter’) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Darüber hinaus ist er an der Goethe-Universität seit 2015 ge
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