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Die Suche nach der guten Form

Eine einzig gültige Definition der „guten Form“ gibt es nicht, sie könnte aber folgendermaßen umschrieben werden - „Gute Form ist eine einfache funktionale und materialgerechte Form von zeit- loser Gültigkeit mit hohem Gebrauchswert, langer Lebensdauer, guter Verständlichkeit, Verarbeitung und Technologie, ergonomi- scher Anpassung und ökologischer Nachhaltigkeit“ [1,6] Der Goldene Schnitt Im 6. Jhdt.v.Chr. unternahmen die Phytagoreer den Versuch, das Gesetz der Harmonie zu er-messen. Sie kamen auf eine gewisse Regel „von Maß und Zahl“ und waren überzeugt davon, dass der Kosmos eine nach bestimmten Zahlenverhältnissen aufge- baute harmonische Einheit bildete, deren einzelne Bestandteile ebenfalls harmonisch zueinander stehen. [4] Über die folgenden Jahrhunderte waren Künstler und Wissenschaftler immer wieder fasziniert von dieser Idee und ihrer harmonisierenden Wirkung auf den Menschen. Seine Studien zur Anatomie, zur Optik und Mechanik brachten Leonardo da Vinci den Ruf „des ersten Desig- ners“ ein. Die Kathedralen-Erbauer des Mittelalters sprachen vom „Goldenen Schnitt“ oder der „Göttlichen Proportion“, auch vom „Schlüssel zur Schönheit“. Die Regel lautete: „Der Minor verhält sich zum Major wie der Major zum Ganzen“. Doch genau dort liegt offenbar eine geheimnisvolle Wirkung verborgen, die auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Bis heute ist es, trotz aller Re- cherchen, nicht gelungen, die Gründe für diese Faszination und Anziehung zu entschlüsseln. Der französische Bildhauer Auguste Rodin schrieb über die Bezie- hung der Natur zur Kunst:“.... und die Blumen haben die Kathe- dralen geschaffen...die Kathedrale ist im Ebenbild der lebenden Körper erbaut. Ihre Proportion, ihre Gleichgewichtsbeziehungen entsprechen genau der Ordnung der Natur.“[5] Die Natur als Meister der Formenvielfalt Wer also die Natur studiert und ihr mit offenem Herzen begeg- net, wer das „liebende Auge“ in sich zu erwecken und zu pfle- gen vermag, wird auch in den Pflanzen den ihm zukommenden Anteil an ihren Formenwahrheiten entlocken können. Und genau darum geht es. [4] „Die Natur allein ist unendlich reich, und sie al-

Peggy Guggenheim (1898-1779, Sammlerin und Galeristin) stellt 1986 fest: „Nicht jede Dekade bringt Genies hervor. Das zwanzigste Jahrhundert sah von ihnen schon ausreichend viele. Erwarten wir nicht mehr. Jedes Feld muss ab und zu brachliegen. Bis auf weiteres sollten wir uns mit dem begnügen, was das 20. Jahrhundert gebracht hat. Heute ist die Zeit des Sammelns, nicht der Schöpfung. Bewahren wir wenigstens die großen Schätze, die wir haben, und vermitteln sie den Massen.“ [2] Dieter Rams (geb.1932, Architekt und gelernter Tischler, Präsident des Rates für Formgebung 1987-1992) beschreibt zehn Thesen für gutes Design, das er im Laufe der Zeit immer weiterentwickel- te. Er begreift diese Thesen als „nützlich zur Orientierung und zum Verständnis“. Zugleich betont Rams: „Gutes Design befindet sich in ständiger Weiterentwicklung – genau wie Technik und Kul- tur“. „Gutes Design ist: innovativ, macht ein Produkt brauchbar, ist ästhetisch, macht ein Produkt verständlich, ist unaufdringlich, ist ehrlich, ist langlebig, ist konsequent bis ins letzte Detail, ist umwelt- freundlich, ist so wenig Design wie möglich.“ [1,2,3] Die Ulmer Schule Die wichtigste Design-Institution nach dem Zweiten Weltkrieg, die Hochschule für Gestaltung in Ulm, war ursprünglich ein Versuch kultureller Umerziehung und funktionierte nur mittels jener Million, die der amerikanische Hauptkommissar John McCloy in neuer deutscher Währung dafür zur Verfügung stellte. Max Bill, ihr Ar- chitekt und erster Direktor, hatte es im Jahr 1949 fertiggebracht, eine Ausstellung für Ulm und den Schweizerischen Werkbund zum Thema „gute Form“ auf die Beine zu stellen. Zu einer Zeit, als deutsche Städte noch in Trümmern lagen und die Gedanken sich darum drehten, ob man am nächsten Tag etwas zu essen hat – ein erstaunlicher Grad an Idealismus ! Diese Ausstellung ließ er durch Europa touren, um ab 1952 mit Prämierungen von formschönen Bedarfsgütern die Leitlinien guter Gestaltung zu unterstützen. Das Projekt von Max Bill lief immerhin über 16 Jahre, erst in den radikalen späten Sechziger Jahren war eine vorgeschriebene genormte Ästhetik nicht mehr gefragt und man befreite sich von Bills Moral der Produktgestaltung. [1]

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