GOLF TIME 2/2018

Szenario gäbe, in dem er nie wieder Profigolf spielen könne und werde. Auf Basis der jüngsten Entwicklungen schienen die Chancen also gut zu stehen, dass sich Woods’ Spiel bei seinem Comeback in zumindest vernünftiger Verfassung präsen- tieren würde. Nicht zuletzt nach der öffent- lichen Demütigung aufgrund der Festnahme wegen Fahrens unter Drogeneinfluss, würde es Tiger wohl kaum riskieren wollen, sich auch noch golferisch erneut bloßzustellen. Bei der Hero Challenge auf den Bahamas schlug also die Stunde der Wahrheit. Oder war es eher eine Sekunde? Schon als Woods’ erster Drive fast 290 Meter vom Abschlag ent- fernt und deutlich länger als der Ball seines Spielpartners Justin Thomas auf dem Fair- way zum Liegen kam, wurde offensichtlich, dass Tiger mit mehr flüssiger Beweglichkeit schwingen konnte als noch ein Jahr zuvor. Der Dank dafür gilt seinem (im Januar über- raschend entlassenen) Schwungtrainer Chris Como und seinem Chirurgen Dr. Richard Guyer. Beins zu irreparablen Schäden in Knie und Rücken. Butch Harmon und Hank Haney nahmen diese Eigenheiten in ihre Version des Tiger-Schwungs auf, doch Como, der einen Universitätsabschluss in Biomechanik besitzt, wusste, dass er aufgrund der körperlichenVer- fassung seines Schülers ein etwas konventio- nelleres Bewegungsmuster entwickeln muss- te, um Tigers zusammengeflickten unteren Rücken und das stark lädierte Knie zu entlasten. Obwohl die extreme Beschleunigung im Treffmoment auf ein erträgliches Maß zu- rückgeschraubt wurde, ist es eine Wohltat zu sehen, dass Woods mit dem Driver rich- tig hinlangen kann und einen hohen Draw zustande bekommt. Zuletzt war er mit einem unkontrollierbaren Fade geschlagen gewesen, der einer Vermeidungsbewegung gegen seine Rückenkrämpfe geschuldet war. Technisch gesehen ist seine Schwungbewegung derzeit sogar besser als je zuvor. Aber wir alle wissen, dass großartige Golf- schwünge allein keine Turniere gewinnen. Wäre dies so, müsste Adam Scott der beste Golfer aller Zeiten sein, der Jack Nicklaus’ Major-Rekord hinterherjagt. Zu seinen bes- ten Zeiten spielte Tiger mit einem furcht- einflößenden Flackern in den Augen und Während seiner Karriere hat Woods trotz einiger sichtbarer Schwung- fehleräußersterfolgreichGolfgespielt. Doch diese führten im Zusammen- spiel mit seinen Markenzeichen, der blitzartigen Hüftdrehung und der kraftvollen Streckung seines linken

TIGER BENÖTIGTE EINEN KONVENTIONELLEREN SCHWUNG, UM SEINEN ZUSAMMENGEFLICKTEN UNTEREN RÜCKEN ZU ENTLASTEN

Fit, gesund und wettbewerbsfähig – so und nicht anders wollen wir Tiger Woods erleben

meldete überraschend für die Valspar Cham- pionship sowie für das in der Folgewoche stattfindende Arnold Palmer Invitational. Vier Turniere in fünf Wochen, wann hatte es so etwas zuletzt gegeben? Schon nach der Valspar Championship wurde Tiger Woods bei den Buchmachern als Top-Kandidat für den Sieg beim Masters geführt. Im Oktober lag seine Quote noch bei 500 zu 1. Denn nur ein mittelmäßiger Final- tag in Palm Harbor trennte Tiger von seinem 80. PGA Tour-Erfolg. Doch der geteilte zweite Rang reichte völlig aus, um die Tigermania zu befeuern. Beim Arnold Palmer Invitational kam Woods als geteiler Fünfter ins Ziel und übersprang zwischen Dezember und März satte 1.075 Weltranglistenplätze. Keine Frage, sein Comeback darf diesmal ganz offiziell das Anhängsel „erfolgreich“ tragen. Befreit von den körperlichen Einschränkun- gen, der Schmerzmittelsucht und dem Zwang, Rekorde brechen zu müssen, könnte Tiger Woods nun seine Rolle als Elder Statesman des Profigolf genießen. Doch unter den neuen Gegebenheiten wird Tiger wohl eher ver- suchen, da weiterzumachen, wo er im Juni 2008 aufgehört hat. GT

besaß die Superheldenfähigkeit, sich das Golf- universum mit seinem bloßen Willen gefügig zu machen. Die Hero World Challenge, die mit nur 17 Teilnehmern auf einem entspann- ten Resortplatz ausgetragen wurde, konnte diesen Killerinstinkt noch nicht aus dem Winterschlaf wecken. Aber es gab schon einige „Tiger-Momente“ zu sehen, die hoffen ließen, dass in dem 43-jährigen Woods noch immer ein heißes Feuer lodert. Bei seinem ersten Auftritt nach der langen Verletzungspause wirkte Tiger verständ- licherweise wie jemand, der in jedemMoment erwartet, vom Blitz in Form einer Schmerz- welle getroffen zu werden. Doch mit jedem schmerzfreien Schritt oder Schlag schüttelte Woods dieses Joch sukzessive ab. Phase zwei sollte bei der Farmers Insurance Open im Januar über die Bühne gehen. Der achtbare 23. Platz geriet zur Nebensache, viel wichtiger war, dass Tiger bei seinem PGA Tour-Comeback ohne zu hinken, zu zucken oder zu stöhnen spielte. Im Februar verpasste Woods bei der Genesis Open noch den Cut, dann jedoch nahmen erstaunliche Dinge ihren Lauf. Bei der Honda Classic landete der „neue Tiger Woods“ auf Rang zwölf und

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