Blickpunkt Schule 1/2023

was dies alles mit den MINT-Fächern zu tun habe. Thematisiert wurden in all diesen Studien nur Mathematik und Deutsch, in den TIMS-Studien teilweise noch Naturwissenschaften, die aber nur peripher berücksichtigt wurden. Von einem generellen Bil dungsmonitoring in den Studien kann daher kaum die Rede sein, da die meisten der für eine grundlegende Bildung verantwortlichen Fächer überhaupt nicht überprüft wurden: Geschichte, Geografie, Sprachen, Mu sik, Kunst und andere geisteswissen schaftliche und sozialwissenschaftli che Fächer. Betrachten wir aber nun unter der The menstellung die MINT-Fächer im Spe ziellen. Nur die TIMS -Studien enthiel ten in kleineren Untersuchungsteilen einige wenige Fragen zur Physik, Che mie oder den Biowissenschaften. Von Kritikern wurde sogar deren Aussage kraft generell ii Zweifel gezogen. (16) Letztendlich geht es in den Studien nur umMathematik, Fragen zur Anwen dung und demVerständnis von Spra che. Nicht überraschend ist, dass eine Korrelation in den erzielten Kompeten zen zwischen dem Sprachverständnis und der Mathematik in allen Studien geradezu auffällt. Das mag für Prakti ker vor Ort in den Schulen erst einmal wenig nachvollziehbar sein, denn viele der Schülerinnen und Schüler, die in Mathematik, Chemie und Physik sehr gute Leistungen erzielen, sind im Fach Deutsch nicht gerade als Überflieger bekannt (und umgekehrt). Bei näherem Hinsehen lässt sich dieser Widerspruch zur gängigen Stu dienlange aber leicht erklären. Alle mathematischen Aufgabenstellungen in den einschlägigen Studien sind kompetenzorientiert formuliert. Auch die Abituraufgaben wurden bereits in den Nullerjahren entsprechend umge stellt. In der Praxis bedeutet dies, dass es weniger auf die Beherrschung zu grunde liegender Fakten und Techni Die MINT-Fächer und ihre Entwicklung seit Einführung der Bildungsstandards

ken des Rechnens ankommt – die übernimmt selbst im Abitur der meist im Einsatz befindliche grafikfähige Ta schenrechner –, sondern auf die Ent kleidung eines teilweise schwer ver ständlichen Textes auf seine grundle gende mathematische Anforderung. Wenn selbst leistungsstarke Schüle rinnen und Schüler in Leistungskursen Probleme mit dem Sinn und Zweck der teilweise mehrere Seiten umfassen den, teilweise verschwurbelten Texte haben, ist Vorsicht geboten. Mittler weile werden die Abiturienten auf der artige Aufgabenstellungen allerdings in der Abiturvorbereitung dressiert. Teaching to the test ist angesagt. Viele Schülerinnen und Schüler beschweren sich in den einschlägigen internetba sierten Foren über den dahinter sich verbergenden minimalen mathemati schen Anspruch. Nun hätte niemand etwas gegen die Vermittlung eines mathematischen Verständnisses. Kompetenzorientierte Schulmathematik auf Abwegen Davon kann aber ganz offensichtlich keine Rede sein. Denn die Hochschu len müssten ja frohlocken, derart gut ausgebildete Studienanfänger zu be kommen. Das Gegenteil ist der Fall. Es betrifft längst nicht nur die Mathema tik: Ingenieurwissenschaften, Natur wissenschaften, Volks- und Betrieb wirtschaft, Teile der Sozial- und Poli tikwissenschaften oder die vielfältigen Business-Studiengänge an Fachhoch schulen sind von dieser negativen Ent wicklung massiv betroffen. Nicht ein mal die mathematischen Kenntnisse der Mittelstufe seien vorhanden. Ex trem hohe Durchfall- und Abbrecher quoten zwangen dann auch die Politik dazu, mit viel Geld die Hochschulen auszurüsten, um in einer Art Nachhil fekurse die Mathematik zu vermitteln, die für die erfolgreiche Absolvierung eines Studiengangs nun einmal nötig ist. Dabei sei nicht unerwähnt, dass es in den Schulen nach wie vor Mathema tiklehrerinnen und -lehrer gibt, die weiterhin entgegen den Vorgaben ih ren Schülerinnen und Schülern die

Der Autor

Mathematik vermitteln, die einst in den Schulbüchern der Siebziger- und Achtzigerjahre noch thematisiert wur den. Fragt man bei derart unterrichte ten Abiturientinnen und Abiturienten nach, sind die voll des Lobes über ihren ’althergebrachten’ Mathematikunter richt und berichten nur selten über mathematische Schwierigkeiten in den gewählten Studiengängen. Ge schätzte neunzig Prozent der Schüle rinnen und Schüler sind aber darauf angewiesen, den fehlenden mathe matischen Schulstoff im Schnell durchgang vor der Aufnahme des Stu diums vermittelt zu bekommen. Ganz offensichtlich ist die Kohärenz zwi schen Schule und Hochschule weitge hend abhandengekommen, obwohl das Abitur nach wie vor die Studienbe rechtigung darstellt. Trotz der Nachhilfekurse an den Hochschulen sind die immer noch ho hen Durchfall- und Abbrecherquoten in den MINT-Fächern der Politik ein Dorn im Auge. Und es geht keineswegs nur um sie. Warum gibt es so wenig Grundschullehrerinnen und -lehrer? Selbst Studiengängen, in denen man es nicht vermuten sollte, fehlen als Vo raussetzung für ein erfolgreiches Stu dium die grundlegenden Rechenarten aus der Unter- und Mittelstufe. Die Prof. Dr. Hans Peter Klein ist Präsident der Gesellschaft für Didaktik der Biowissenschaften, hatte bis 2018 den gleichnami gen Lehrstuhl an der Goethe Universität Frankfurt inne, ist Mitbegründer der Gesellschaft für Bildung und Wissen und war in den 80er- und 90er-Jahren Gymnasiallehrer am Städti schen Gymnasium in Rhein bach/Nordrhein-Westfalen.

MINT – Ideal und Wirklichkeit

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