CellitinnenForum 4_2019_

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ten trotz aller religiösen Unterschie- de spirituelle Christen, Juden und Muslime unterschreiben. Sie suchen innerhalb ihres Glaubens die indivi- duelle Erfahrbarkeit Gottes und sind dabei eingebettet in ihre jeweilige Religion, also in ihre Institutionen, Glaubensgrundsätze, Moralvorstel- lungen, Liturgien und Riten. Ihre Er- lebnisse und religiösen Traditionen beeinflussen ihre Orientierung im Leben und ihre Haltung gegenüber ihren Mitmenschen. Wie weit dieses In-Kontakt-Tre- ten, das ‚Versinken in Gott‘ gehen kann, beschreiben beispielsweise aus christlicher Perspektive Bern- hard von Clairvaux, Teresa von Ávila oder Karl Rahner sehr anschaulich. Sie legen dar, wie sie sich in den Austausch mit Gott vertiefen, bis sie, meist in aller Stille, selbst ganz in Ihm und seiner Liebe aufgehen. Entscheidend dabei ist, dass sie nicht um ihre Person und ihr eigenes Wohlbefinden kreisten. Ihre Erfah- rungen auf der Suche nach dem ‚Wer bist DU‘ gaben ihnen Kraft für ihre Handlungen: Der hl. Bern- hard gründete außer in Clairvaux 65 weitere Klöster. Die hl. Teresa reformierte den Karmeliterorden und gründete rund 18 neue Klöster, sie schrieb Glaubensbücher in der Lan- dessprache (spanisch) und tauschte sich mit gelehrten Ordensleuten ihrer Zeit aus. Im 20. Jahrhundert unter- nahm es der Jesuit Karl Rahner, aus seiner Spiritualität heraus für eine of- fene, auf die Welt zugehende Kirche zu plädieren und drückte damit als theologischer Berater dem 2. Vati- kanischen Konzil seinen Stempel auf. Auf evangelischer Seite sind in diesem Zusammenhang der inneren

Suche nach Gott neben Martin Lu- ther unter anderen der Begründer von Taizé, Frère Roger, oder Jörg Zink zu nennen, der den Protes- tanten den Weg zur Mystik neu er- schloss. Innerhalb des Judentums bilden die Chassiden mit ihrer le- bensfrohen Frömmigkeit eine eigene spirituelle Richtung, wenn auch ihre Regeln und Gemeinschaften heu- te viel Diskussionsstoff bieten. Als Pendant im Islam ist der Sufismus zu nennen, bei uns vor allen Dingen bekannt wegen seiner Friedfertigkeit und der sich drehenden Derwische, die in tänzerischer Trance Gott nahe kommen wollen. Die aus dem Buddhismus bekann- ten Meditationsformen lassen sich mit ihren Techniken als Mittel zum Zweck gut in die christliche Spiri- tualität integrieren. Um als Christ Gott zu erfahren, ist das ‚Nirwana‘, der Bewusstseinszustand völliger innerer Ruhe und inneren Friedens, ein durchaus geeigneter „Ort“.

diese Menschen, die sich der ulti- mativen und erlebbaren Wahrheit nähern möchten, denen religiöse Traditionen oder Gott aber nichts bedeuten? Auf ihrem spirituellen Weg suchen sie ein höheres Selbst, eine Art innere Erleuchtung oder eine Wirklichkeit jenseits der materiellen Welt, die ihnen ihr Dasein und die Welt erklären. Oft kommen diese Sinnsuchenden ohne die feste Zu- gehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus. Sie sind auch nicht unterein- ander organisiert. Ihre Spiritualität ist rein privat und kann sich aus sehr unterschiedlichen Strömungen – Humanismus, Schamanismus, Esoterik, fernöstliche Mystik – zu- sammensetzen und immer wieder neu erfinden. Um also die Spiritualitäten von Elke, Cem, Miriam, Kai, Amelie und Marc schlussendlich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen: Spiritualität ist die persön- liche Annäherung an das, „was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Das kann Gott, das Unerklärliche mit Jenseitsbezug oder neuerdings auch eine ethische Grundeinstel- lung sein. Wichtig ist: Spiritualität ist erfahrbar und gibt dem Leben Orientierung.

Spiritualität außerhalb der Religion

Dass Spiritualität nicht nur im re- ligiösen Kontext möglich ist, ist mittlerweile unter Wissenschaftlern allgemeiner Konsens. Was erfahren

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