forumpoenale_2_2008

RECHTSPRECHUNG

115

schweizerischem Strafrecht grundsätzlich strafbar wäre (in­ kriminiertes Tötungsdelikt vom 30. April 1994). Eine allfäl­ lige Ausdehnung des Anklagesachverhaltes wäre nur mit ausdrücklicher Zustimmung der schweizerischen Behörden zulässig (Art. 14 Ziff. 1 lit. a EAUe; vgl. BGE 131 II 235 E. 2.14 S. 243 f.). […] Bemerkungen: I. In Erw. 2 kommt das BGer zum Schluss, dass die Sachver­ haltsdarstellung betreffend den Vorwurf, der Beschwerde­ führer sei am 30.2.1994 als Mittäter oder Anstifter an ei­ nem Tötungsdelikt beteiligt gewesen, (im Unterschied zu anderen Vorhalten) den Anforderungen von Art. 12 EAUe genügen würde. Die entsprechende Prüfung, ob die im Aus­ lieferungsersuchen angegebenen Sachverhaltselemente eine Subsumtion unter einen Straftatbestand nach schweizeri­ schem Recht ermöglicht, erfolgt nach den üblichen forma­ len Grundsätzen, die eine Prüfung der Täterschaft grund­ sätzlich nicht zulässt. Die entsprechenden Ausführungen überzeugen und geben zu keinem Kommentar Anlass. II. Bemerkenswert sind die (teilweise nicht in der Ent­ scheidsammlung publizierten) Ausführungen zum Einwand, bei den inkriminierten Taten handle es sich um politische De- likte (Erw. 3). Der Prüfung dieser Einrede wird die Unter­ scheidung des absolut und des relativ politischen Delikts vo­ rangestellt. Nachdem die erste Kategorie in casu bereits aufgrund der Definition «Straftaten, die sich ausschliesslich gegen die soziale und politische Staatsordnung richten» von vorherein ausser Betracht fällt, wird der unbestimmte Rechts­ begriff des relativ politischen Delikts zunächst abstrakt – im Sinne der sich über Jahrzehnte entwickelten Rechtsprechung – ausgelegt. Nach der sog. Prädominanztheorie muss der Tat vorwiegend politischer Charakter zukommen.Vereinfachend ausgedrückt setzt dies voraus, dass Tatmotive, Ziele und Um­ stände vorherrschend politisch erscheinen (enger Zusammen­ hang mit einem Machtkampf im Staat). Zudem müssen die Rechtsgüterverletzungen im Hinblick auf die angestrebten legitimen Ziele verhältnismässig sein und Letztere müssen dergestalt sein, dass die Tat einigermassen verständlich er­ scheint (Erw. 3.2). Danach wird diese abstrakte Auslegung unter anderem mit der aus dem Europäischen Terrorismus­ übereinkommen (EÜBT) entnommenen Regel konkretisiert, dass bei schweren Gewaltverbrechen in der Regel der politi­ sche Charakter verneint wird (Art. 2 Ziff. 1 EÜBT). Als Aus­ nahmen werden Bürgerkriegsverhältnisse und der sog. Ty­ rannenmord als ultima ratio für die Erreichung humanitärer Ziele erwähnt (Erw. 3.3). Anzumerken ist, dass die sich über Jahrzehnte entwickelte bundesgerichtliche Praxis zum poli­ tischen Delikt auch international grosse Beachtung in Lehre und Rechtsprechung gefunden hat (vgl. Gilbert, Aspects of Extradition Law, Dordrecht 1991, 149 mit zahlreichen Hin­ weisen). Dass das Bundesgericht in den jüngsten Entschei­ den seine Praxis in Bezug auf die Abgrenzung des interna­

tionalen Terrorismus vom legitimen Freiheitskampf differenzierend weiter entwickelt hat, wird ihm in diesem Be­ reich weiterhin Anerkennung bringen. In der (vorstehend abgedruckten) Erw. 3.8 folgt die im Ergebnis überzeugende Subsumtion. Demnach bestehen in casu angesichts des inkriminierten Tötungsdelikts als schwe­ res Gewaltverbrechen keine Gründe, um von der genannten Regel abzuweichen. Angeführt wird zum einen, dass die fragliche Tat «aus Vergeltung» erfolgt sei, weil der «Dorf­ wächter» PKK-Angehörige angezeigt habe. Zum anderen wird dem Umstand Gewicht zugemessen, dass sich der Be­ schwerdeführer über mehrere Jahre an Verbrechen beteiligt habe, an denen zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer gefal­ len sein sollen. Es erscheint indessen problematisch, auf Delikte zu verweisen, die bereits verjährt sind oder mangels genügend konkreter Sachverhaltsangaben nicht ausliefe­ rungsfähig sind. Da es sich bei den bereits verjährten Delik­ ten angesichts des fraglichen Zeitraums um weniger schwer­ wiegende Delikte gehandelt haben muss, wäre diesbezüglich die Verhältnismässigkeit anders zu beurteilen. Hinsichtlich der zweitgenannten Delikte ist zu beachten, dass Angaben, die nicht genügend konkret sind, um die beidseitige Straf­ barkeit zu prüfen, auch keine Schlüsse auf das übrige krimi­ nelle Verhalten eines Verfolgten zulassen. Anders verhält es sich, soweit sich die Erwägungen auf die gesamten Aktivitäten der PKK im Umfeld des Verfolg­ ten beziehen. Es ist nämlich unbestritten, dass der Beschwer­ deführer für diese Organisation tätig gewesen ist. Zum da­ maligen Zeitpunkt war zwar der Tatbestand der kriminellen Organisation (260 ter StGB) noch nicht in Kraft, sodass dies­ bezüglich keine beidseitige Strafbarkeit vorlag, wie sie die Auslieferung voraussetzt. Dies ändert indessen nichts dar­ an, dass die inkriminierte Tat im Kontext der übrigen Akti­ vitäten zu werten ist. Das BGer verweist auch auf den Um­ stand, dass in gewissen Staaten die PKK als terroristische Vereinigung verboten sei. Es schliesst, dass der fragliche An­ schlag als solches auch als Terrorakt zu werten sei (Erw. 3.8). Anzufügen bleibt, dass diese Bewertung materiell der Pra­ xis der ehemaligen Asylrekurskommission (die im Bundes­ verwaltungsgericht aufgegangen ist) entspricht, welche bei einer PKK-Mitgliedschaft unter gewissen Umständen von Asylunwürdigkeit ausgeht (vgl. EMARK 2002/9, 74 ff.). III. In Erw. 4 wird geprüft, ob dem Beschwerdeführer als Kurde in der Türkei eine unmenschliche Behandlung im Sin­ ne von Art. 3 EMRK droht, was einer Auslieferung entge­ genstünde (sog. nonrefoulement) . Das BGer weist die theo­ retische Möglichkeit vonMenschenrechtsverletzungen gegen kurdische Aktivisten, angesichts der u.a. vom europäischen Folterausschuss dokumentierten Folterfälle in gewissen Ge­ bieten, nicht von der Hand. Im vorliegenden Fall erachtet es indessen aus grundsätzlichen Erwägungen die Gewäh­ rung von Rechtshilfe nicht für ausgeschlossen (vgl. Erw. 4.4). Soweit der Verfolgte nicht Tatsachen glaubhaft machen konnte, die auf eine konkrete Gefährdung seiner Person hin

forum poenale

2/2008

Made with