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JURISPRUDENCE

deuteten, entspricht dieses Vorgehen der konstanten Recht­ sprechung des Bundesgerichts (vgl. Heimgartner, Auslie­ ferungsrecht, Zürich 2002, 131). Obschon Gerichte in anderen Staaten in Einzelfällen auch schon wegen drohen­ der Folter Auslieferungen an die Türkei abgelehnt haben (vgl. den Hinweis in Erw. 4), hält diese Praxis vor dem EGMR stand (vgl. Meyer-Ladewig, Europäische Men­ schenrechtskonvention, 2. Aufl., Baden-Baden 2006, Art. 3 N 21 mit Hinweisen). Weiter führt das BGer aus, dass in solchen Konstellatio­ nen die Auslieferung nur unter der Bedingung zu gewähren sei, dass der ersuchte Staat gewisse Verfahrensgarantien ab­ gebe. Dabei verweist es auf verschiedene jüngere und ältere Fälle, die teilweise den Auslieferungsverkehr mit der Türkei aber auch mit Balkan- und osteuropäischen Staaten betra­ fen. Dabei wird klargestellt, dass das vom BJ angegebene Präjudiz – wonach von der Türkei grundsätzlich keine der­ artigen Garantien einzuholen seien – nicht einschlägig ist, weil es Taten betraf, die in überhaupt keinem politischen Zusammenhang standen (Erw. 4.6). Das BGer schliesst, dass die vom BJ eingeholten Garantien ungenügend seien und die Auslieferung von der Zusicherung abhängig zu machen sei, dass Botschaftsvertreter den Auszuliefernden jederzeit be­ suchen können; zudemmüssen sich diese stets über den Ver­ fahrensstand informieren und an Gerichtsverhandlungen

teilnehmen dürfen. Hinsichtlich des Ausgelieferten ist dem­ gegenüber das Recht zuzusichern, dass er sich jederzeit an die Schweizer Vertreter wenden könne. IV. Schliesslich wird in Erw. 4.9 festgehalten, dass der Ent­ scheid zusätzlich unter dem Vorbehalt eines rechtskräftigen ablehnenden Asylentscheids stehe. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf das Verhältnis zwischen Asyl- und Aus­ lieferungsverfahren einzugehen (vgl. dazu Vena, Parallele Asyl und Auslieferungsverfahren, ASYL 2/07, 3 ff.). V. Der Entscheid steht in der schweizerischen Tradition, den völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und gleichzeitig dem Schutz der Menschenrechte Nachachtung zu verschaffen. Soweit die diplomatische Vertretung die Kontrollpflicht wahrnimmt, die sich die Schweiz mit der Übergabe eines Individuums an eine fremde Staatsgewalt auferlegt hat, kann auf effiziente und pragmatische Weise der Menschenrechtsschutz im Einzelfall gewährleistet wer­ den. Allerdings sollte im Falle einer Verletzung der einge­ gangen Bedingungen oder der Menschenrechte auch die richtige Konsequenz – diplomatische Intervention und Ver­ weigerung künftiger Rechtshilfe – gezogen werden.

Dr. Stefan Heimgartner, Rechtsanwalt, Oberassistent an der Universität Zürich n

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