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JURISPRUDENCE

Absichten oder Zwecke eines staatlichen Eingriffs erst bei der Beurteilung der Legitimität einer existenten gesetzlichen Eingriffsermächtigung einzubeziehen sind, von deren Schaf­ fung der Staat jedoch nicht dispensiert wird. Diese gesetzli­ che Konzeption würde unterlaufen, wenn bereits die An­ wendbarkeit der Konventionsrechte an eine auf die Rolle von «Täter» und Opfer zugeschnittene Zurechnungsdog­ matik gebunden würde, die dem «Täter» den Schutz des Art. 8 EMRK zugunsten allfälliger Opferinteressen systema­ tisch vorenthält. Abgesehen davon, dass diese Rollenvertei­ lung mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK unvereinbar ist, würde die Grenze zwischen staatlichem Ein­ griff und privater Beeinträchtigung nicht mehr nach der In­ tensität der staatlichen Einflussnahme bestimmt, sondern danach, welchem Zweck die jeweilige Handlung dient. Der Staat wäre von den für hoheitliches Handeln geltenden Bin­ dungen durch die Qualifikation der Massnahme als «pri­ vat» a priori freigestellt, solange es «um eine gute Sache geht» und das unmittelbare Geschehen in den Händen ei­ ner Privatperson liegt. Ein solcher Zurechnungsansatz wi­ derspricht der Systematik des Art. 8 EMRK – und er steht darüber hinaus einer rechtsstaatswidrigen Aufgabe gesetz­ licher Eingriffsvoraussetzungen für ausgewählte Fallgestal­ tungen gleich. Klarzustellen bleibt noch, dass der hilfsbedürftige Bür­ ger, anders als es die niederländische Regierung glauben ma­ chen will (§ 47; vgl. Sondervotum von Judge Palm zu EGMR, M.M. v. the Netherlands ; Sondervotum von Judge Myjer, Ziff. 2), durch die Zurechnungsdogmatik des EGMR mitnichten schutzlos gestellt ist. Die Haltung des EGMR zwingt die Konventionsstaaten lediglich dazu, ihre Gesetz­ gebungsaufgaben im Interesse ihrer Bürger angemessen zu erfüllen. Ein Eingriff in Art. 8 EMRK ist einem Staat näm­ lich keineswegs per se untersagt, er muss nur durch das er­ forderliche Medium einer verhältnismässigen gesetzlichen Grundlage vermittelt sein (vgl. §§ 50 ff.). Wenn es also aus staatlicher Sicht geboten erscheint, dem schutzbedürftigen Bürger unter bestimmten Umständen staatliche Hilfe bei der Herstellung technischer Aufzeichnungen zu leisten, so steht der konventionskonformen Umsetzung dieses Anliegens nicht mehr und nicht weniger im Wege als die Untätigkeit der Legislative: Die Vertragsstaaten haben es – auch dies ver­ deutlicht dieser Entscheid – selbst in der Hand, unerträglich erscheinende Auswirkungen der Strassburger Rechtspre­ chung durch eine den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerecht werdende Erweiterung der innerstaatlichen Eingriffskompetenzen zu beseitigen.

2. Strafverfahrensrecht Procédure pénale

Nr. 17 Bundesgericht, I. öffentlich-rechtliche Abteilung, Urteil vom 24. September 2007 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Kantonsgericht Freiburg – 1P.51/2007

Art. 7 Abs. 4 BÜPF, Art. 73 StPO/FR: Beweisverwertungsverbot, GPS-Standortüberwachungen von Motorfahrzeugen. GPS-Standortüberwachungen von Motorfahrzeugen im öffentli­ chen Raum fallen nicht unter den limitierten Geltungsbereich des BÜPF, Art. 7 Abs. 4 BÜPF ist hier nicht anwendbar. (E.3.4 und 3.5). Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung und Be­ willigung einer solchen Überwachung durch den zuständigen Un­ tersuchungsrichter bzw. das Zwangsmassnahmengericht wären grundsätzlich erfüllt gewesen (E.3.5.1). Die Zulassung des formell gesetzwidrig erlangten Beweismittels bestimmt sich daher nach ei­ ner Interessenabwägung, die vorliegend zugunsten der Verwert­ barkeit des Beweismittels ausgeht (E.3.5). Allerdings werden sich die kantonalen Ermittlungsbehörden auch bei der GPS-Überwa­ chung von Fahrzeugen hinfort an die einschlägigen prozessualen Vorschriften halten müssen (E.3.5.6). (Regeste der Schriftlei­ tung) Art. 7 al. 4 LSCPT, art. 73 CPP/FR: interdiction d’utiliser une preu- ve obtenue illégalement, surveillances par GPS de la position de véhicules à moteur. Les surveillances par GPS de la position de véhicules à moteur sur le domaine public ne tombent pas dans le champ d’applica­ tion limité de la LSCPT; l’art. 7 al. 4 LSCPT n’est pas applicable (c.3.4 et 3.5). Les conditions matérielles pour ordonner et autori­ ser une telle surveillance par le juge d’instruction resp. le tribunal des mesures de contrainte auraient été remplies quant au princi­ pe (c.3.5.1). La recevabilité du moyen de preuve obtenu illégale­ ment d’un point de vue formel se détermine donc d’après une pe­ sée des intérêts qui, en l’espèce, penche en faveur de l’exploitation du moyen de preuve (c.3.5). Toutefois, les autorités cantonales de poursuite devront désormais s’en tenir aux prescriptions de pro­ cédure topiques également pour la surveillance par GPS de véhi­ cules à moteur (c.3.5.6). (Résumé de la rédaction) Art. 7 cpv. 4 LSCPT, art. 73 CPP/FR: divieto di utilizzare una pro- va acquisita illegittimamente, monitoraggi di veicoli a motore mediante GPS. I monitoraggi mediante GPS dei veicoli a motore su aree pubbli­ che non ricadono nel campo d’applicazione limitato della LSCPT; nella fattispecie, l’art. 7 cpv. 4 LSCPT non è applicabile (consid. 3.4 e 3.5). I requisiti materiali richiesti affinché il giudice istrut­ tore competente o il giudice dei provvedimenti coercitivi potesse ordinare ed autorizzare tale monitoraggio, sarebbero stati in li­ nea di massima adempiuti (consid. 3.5.1). L’ammissibilità di mez­ zi di prova formalmente acquisiti in modo illegale si determina di conseguenza sulla base di una ponderazione degli interessi che,

Assessorin iur. Gunhild Godenzi LL.M.

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