Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 2/2019

MIGRÄNE

TABELLE 1: Wichtige Merkmale von Migräne und Spannungskopfschmerzen 2,3

Kopfschmerzen, dafür mit starker Übel- keit, Erbrechen und Schwindel verlaufen. 3 Bei etwa 15 bis 20 Prozent der Mig- räniker kommt es im Vorfeld der Kopf- schmerzen zu neurologischen Störungen. Diese werden als Aura bezeichnet und können bis zu einer Stunde anhalten. Es kommt typischerweise zu Sehstörungen (eingeschränktes Gesichtsfeld, Flimmern und Blitzen vor den Augen, Doppelbilder), Sprach- und Sensibilitätsstörungen, Läh- mungserscheinungen und Schwindel. Welche pathophysiologischen Vorgän- ge im Gehirn bei einer Migräneattacke ablaufen, ist bis dato nicht bis ins Detail geklärt, es gibt verschiedene wissen- schaftliche Hypothesen. Nach aktuellem Kenntnisstand ist höchstwahrscheinlich eine neurogene Entzündung Ursache der Migräneattacke. Diese beginnt mit einer Überaktivität von Nervenzellen im Hirn- stamm, welche wiederum die (C-)Fasern des Trigeminusnervs aktivieren. Diese sen- den Schmerzsignale an das Gehirn, was wiederum eine vermehrte Ausschüttung vasoaktiver Botenstoffe zur Folge hat. Die Botenstoffe lösen eine lokale neurogene Entzündung in den Blutgefäßen aus (Abb. 2): Die Gefäße schwellen an und erschwe- ren beziehungsweise verlangsamen den Blutfluss. In bestimmten Hirnbereichen entsteht eine Mangeldurchblutung, die die Symptome der Aura hervorrufen kann. Pathologie der Migräne

Merkmale

Migräne

Spannungskopfschmerzen

Dauer

4 bis 72 Stunden

30 Minuten bis 7 Tage

pulsierend, pochend, hämmernd; bei körperlicher Aktivität stärker mäßig bis sehr stark, schränkt alltägliche Aktivitä- ten oft stark ein meistens einseitig (Stirn, Schläfe, Auge) Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit; evtl. Aura im Vorfeld einer Attacke

dumpf, drückend, ziehend; bessert sich oft bei Bewegung

Schmerzcharakter

Schmerzintensität

leicht bis mittelstark

Schmerzlokalisation

ganzer Kopf

Begleitsymptome

Licht- und Lärmempfindlichkeit möglich

Im Verlauf der Aura schädigt die Entzün- dungweiter dieGefäßwände. DasGewebe weicht auf, allmählich weiten sich die Ge- fäße wieder, das Blut kann wieder besser fließen und die Aura lässt nach. Aufgrund der Entzündung ist die Gefäßwand nun al- lerdings enorm schmerzempfindlich, jede Pulsschlagwelle des Blutes wird als häm- mernder Schmerz wahrgenommen. 4 Die Migräne hat auch eine genetische Komponente. Wissenschaftler konnten bis dato einige Gene identifizieren, die eine Rolle bei ihrer Entstehung zu spie- len scheinen. Beispielsweise analysierte ein internationales Team von Forschern 2013 Daten von mehr als 29 verschiede- nen Genom-Studien. Die Studienautoren konnten dabei zwölf Regionen im Erbgut von Migränepatienten identifizieren, die mitverantwortlich sind für das Risiko, an Migräne zu erkranken. Einige dieser Risiko- regionen liegen den Forschern zufolge in der Nähe von Genorten, die die Empfind- lichkeit für oxidativen Stress in Nervenzel- len regulieren. 5 Die meisten Migränepatienten brin- gen ihre Attacken mit bestimmten Reizen, sogenannten Triggerfaktoren, in Verbin- dung. Diese können bei entsprechender Veranlagung das Auftreten von Attacken begünstigen oder diese verstärken. Auf welchen oder welche Triggerfaktoren ein Patient reagiert, ist individuell unter- schiedlich. Als Trigger gelten unter ande- rem Stress, hormonelle Veränderungen (zum Beispiel Eisprung, Menstruation während des weiblichen Zyklus, bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva), Wech- sel im Schlaf-wach-Rhythmus (zu wenig oder auch zu viel Schlaf), Alkoholkonsum,

Blutzucker-Schwankungen (etwa nach dem Auslassen von Mahlzeiten), Wet- teränderungen und bestimmte Lebens- mittel (zum Beispiel Schokolade, Käse, Rotwein, Zitrusfrüchte). Um seine indivi- duellen Trigger zu identifizieren und wenn möglich zu meiden, kann der Apotheker dem Patienten empfehlen, ein Kopf- schmerztagebuch zu führen, wenn ge- wünscht auch per App. Empfehlenswert ist beispielsweise die Migräne-App der Techniker Krankenkasse (TK), die zusam- men mit der Schmerzklinik Kiel entwickelt wurde. Eine aktuell veröffentlichte Studie mit fast 1500 Anwendern zeigt, dass sich die Schmerztage durch das regelmäßige Benutzen der App deutlich reduzieren las- sen. Die Patienten leiden durchschnittlich rund drei Tage im Monat weniger unter Kopfschmerzen als ohne Nutzung der App – und zwar im Durchschnitt an 10 statt 13,3 Tagen im Monat, ein Minus von 25 Prozent. Auch die Intensität der Schmer- zen und die Zahl der Tage, an denen eine Akutmedikation eingenommen wurde, ließen sich mit der App senken. 6 Laut der im vergangenen Jahr aktuali- sierten Leitlinie sollten leichte und mit- telstarke Attacken zunächst mit einem Analgetikum wie Acetylsalicylsäure (ASS) oder einem anderen nicht steroidalen An- tirheumatikum (NSAR; Ibuprofen, Diclofe- nac) behandelt werden. Die Substanzen wirken laut Leitlinie auch bei einem Teil der Patienten mit schweren Migräneat- tacken. Am besten belegt ist die Wirkung für ASS (in einer Einzeldosis von 900 bis Therapie der akuten Attacke

ABBILDUNG 2: Migräneanfälle mit star- ken Schmerzen und Bettlägerigkeit dau- ern bis zu drei Tage an.

Foto: ©Prof. Dr. Hartmut Göbel, www.schmerzklinik.de

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