Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 2/2019

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[Da s Jou r na l ]

02 · 2019

Über Migräne, Nahrungsergänzungsmittel, Trinknahrungen und Supplemente

Seite 5 Leitliniengerechte Migräne-Therapie Seite 11 Trends und Hintergründe zu Nahrungsergänzungsmitteln Seite 18 Trinknahrungen und Supplemente

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EDITORIAL

Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor Ihnen liegt die diesjährige erste Ausgabe unseres Fortbildungsjour- nals, die erneut ein sehr breites Themenspektrum abdeckt: Migräne gehört zu den häufigsten Krankheiten überhaupt. In der öf- fentlichen Apotheke werden wir daher nahezu täglich mit den Beschwer- den ratsuchender Migränepatienten konfrontiert. Grund genug für Vere- na Schmidt, sich den verschiedenen Facetten des Krankheitsbildes, unter denen rund acht Millionen Deutsche leiden, zu nähern. Die Apothekerin zeigt hierzu die leitliniengerechten Therapieoptionen auf und bringt Sie auf den aktuellen Stand der Forschung. Dem großen, weiten Feld der Nahrungsergänzungsmittel geht Apo- thekerin Dr. Julia Podlogar auf den Grund und thematisiert in ihrem Aufsatz aktuelle Trends und ihre wissenschaftlichen Hintergründe. Im Dschungel des gesetzlich kaum regulierten Nahrungsergänzungsmittel- marktes gibt Podlogar wertvolle Orientierung, die Ihnen im Alltag dabei helfen soll, Ihre Patienten zu diesem manchmal so unseriös daherkom- menden Thema seriös zu beraten. Dem Thema „Trinknahrungen und Supplemente“ widmet sich Mat- thias Bauer, Leiter der PTA-Schule Siegen: Denn neben dem offensicht- lichen Ernährungsproblem Übergewicht ist in den vergangenen Jahren zunehmend die Mangelernährung als Problem in den Fokus gerückt. Das kommt auch in der öffentlichen Apotheke an. Besonders Menschen mit onkologischen Erkrankungen, Patienten vor und nach schweren Operati- onen, aber auch hoch betagte multimorbide Senioren sind häufig man- gelernährt. Sofern die natürliche, orale Ernährung nicht ausreichend ist, kann sie durch Trinknahrungen und Supplemente optimiert werden. Die Lebensqualität des Patienten und seine Funktionalität werden dadurch erhalten bzw. verbessert sowie Morbidität und Mortalität bestenfalls re- duziert. Matthias Bauer gibt eine Übersicht und Empfehlungen für die Praxis. Nach der Lektüre können Sie sich wie immer den Lernerfolgskontrol- len zu den Artikeln im internen Bereich unter www.akwl.de stellen und sich damit Fortbildungspunkte sichern. Dort finden Sie übrigens auch die Lernerfolgskontrollen zu den Ausgaben des Journals der vergangenen zwölf Monate. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe

Frank Dieckerhoff Vizepräsident der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe

Impressum

„Fortbildung aktuell“ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und zweimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“ Herausgeber: Apothekerkammer Westfalen-Lippe Bismarckallee 25 · 48151 Münster Tel.: 0251 520050 · Fax: 0251 52005-69 E-Mail: info@akwl.de · Internet: www.akwl.de

Redaktion/Grafiken: Dr. Sylvia Prinz

Layout: Sebastian Sokolowski

Autoren dieser Ausgabe: Verena Schmidt, Dr. Julia Podlogar, Matthias Bauer

Titelfoto: Foto: ©nadisja – stock.adobe.com

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und „Fortbildung aktuell – Das Jour- nal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammerbeitrag enthalten.

Gabriele Regina Overwiening

Frank Dieckerhoff

Auflage: 7.900 Exemplare

Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftli- cher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 3

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4 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

VERENA SCHMIDT

Migräne Leitliniengerechte Therapie und Neues bei der Prophylaxe

Die Migräne ist eine der häufigsten Erkrankungen überhaupt. Mehr als acht Millionen Menschen in Deutsch- land leiden unter den regelmäßig auftretenden Kopfschmerzattacken, Frauen deutlich häufiger als Männer. Das hat auch volkswirtschaftliche Auswirkungen: Nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifor aus Darmstadt gehen Deutsch- land durch migränebedingte Fehlzei- ten durchschnittlich 1,9 Millionen Ar- beitsstunden verloren, das kostet die Wirtschaft knapp 150 Milliarden Euro pro Jahr. 1 Das Institut hat die Daten im Auftrag des Pharmaunternehmens Novartis ermittelt. Novartis will mit diesen Zahlen wohl auch den potenziellen Nutzen einer seiner neu- esten Entwicklungen verdeutlichen: Der monoklonale Antikörper Erenumab (Ai- movig®), der den Rezeptor des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) blockiert, ist seit November 2018 zur Migräneprophy- laxe auf demMarkt verfügbar. Inzwischen

Verena Schmidt (Frankfurt am Main) studierte Pharmazie in Bonn und volontierte bei der Pharmazeutischen Zeitung. Seit April 2013 ist sie als Redakteurin der Pharmazeuti- schen Zeitung und des PTA-Forums tätig.

Verena Schmidt

Heftige, pochende Schmerzen

hat der CGRP-Antikörper Verstärkung bekommen: Seit April 2019 ist Galcane- zumab auf dem Markt, Mitte Mai folgte Fremanezumab. Welchen Stellenwert die vielversprechenden neuen Wirkstoffe bei der Migräne-Prophylaxe zukünftig ein- nehmen werden und ob sie die Behand- lung gar revolutionieren können, das ist noch ungewiss.

Die Symptome einer Migräne lassen sich im Allgemeinen in der Apotheke relativ leicht von denen anderer Kopfschmerz- typen abgrenzen. Laut der im April 2018 aktualisierten S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Mi- gräne“ 2 sind die Schmerzen meist hef- tig, häufig einseitig und von pulsierend- pochendem Charakter. Spannungskopf- schmerzen werden dagegen eher als dumpf-drückend oder ziehend beschrie- ben, und sie betreffen meist den ganzen Kopf. Migränekopfschmerzen nehmen bei körperlicher Belastung zu – ein weite- rer Unterschied zu den Spannungskopf- schmerzen. Die einzelnen Migräneatta- cken werden fast immer begleitet von Appetitlosigkeit, bei 80 Prozent der Pati- enten kommt Übelkeit und bei bis zur Hälfte der Patienten Erbrechen hinzu. Ebenfalls recht häufige Begleitsympto- me sind Lichtscheu, Lärmempfindlichkeit und Überempfindlichkeit gegenüber be- stimmten Gerüchen. Eine Attacke dauert nach der Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) bei Er- wachsenen zwischen 4 und 72 Stunden (Abb. 1). Bei Kindern können die Attacken auch kürzer sein. Bei ihnen sind die Sym- ptome auch häufig untypisch, eine Mig- räneattacke kann bei ihnen sogar ohne

ABBILDUNG 1: Migräneanfälle mit starken Schmerzen und Bettlägerigkeit dauern bis zu drei Tage an.

Foto: ©Prof. Dr. Hartmut Göbel, www.schmerzklinik.de

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 5

MIGRÄNE

TABELLE 1: Wichtige Merkmale von Migräne und Spannungskopfschmerzen 2,3

Kopfschmerzen, dafür mit starker Übel- keit, Erbrechen und Schwindel verlaufen. 3 Bei etwa 15 bis 20 Prozent der Mig- räniker kommt es im Vorfeld der Kopf- schmerzen zu neurologischen Störungen. Diese werden als Aura bezeichnet und können bis zu einer Stunde anhalten. Es kommt typischerweise zu Sehstörungen (eingeschränktes Gesichtsfeld, Flimmern und Blitzen vor den Augen, Doppelbilder), Sprach- und Sensibilitätsstörungen, Läh- mungserscheinungen und Schwindel. Welche pathophysiologischen Vorgän- ge im Gehirn bei einer Migräneattacke ablaufen, ist bis dato nicht bis ins Detail geklärt, es gibt verschiedene wissen- schaftliche Hypothesen. Nach aktuellem Kenntnisstand ist höchstwahrscheinlich eine neurogene Entzündung Ursache der Migräneattacke. Diese beginnt mit einer Überaktivität von Nervenzellen im Hirn- stamm, welche wiederum die (C-)Fasern des Trigeminusnervs aktivieren. Diese sen- den Schmerzsignale an das Gehirn, was wiederum eine vermehrte Ausschüttung vasoaktiver Botenstoffe zur Folge hat. Die Botenstoffe lösen eine lokale neurogene Entzündung in den Blutgefäßen aus (Abb. 2): Die Gefäße schwellen an und erschwe- ren beziehungsweise verlangsamen den Blutfluss. In bestimmten Hirnbereichen entsteht eine Mangeldurchblutung, die die Symptome der Aura hervorrufen kann. Pathologie der Migräne

Merkmale

Migräne

Spannungskopfschmerzen

Dauer

4 bis 72 Stunden

30 Minuten bis 7 Tage

pulsierend, pochend, hämmernd; bei körperlicher Aktivität stärker mäßig bis sehr stark, schränkt alltägliche Aktivitä- ten oft stark ein meistens einseitig (Stirn, Schläfe, Auge) Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit; evtl. Aura im Vorfeld einer Attacke

dumpf, drückend, ziehend; bessert sich oft bei Bewegung

Schmerzcharakter

Schmerzintensität

leicht bis mittelstark

Schmerzlokalisation

ganzer Kopf

Begleitsymptome

Licht- und Lärmempfindlichkeit möglich

Im Verlauf der Aura schädigt die Entzün- dungweiter dieGefäßwände. DasGewebe weicht auf, allmählich weiten sich die Ge- fäße wieder, das Blut kann wieder besser fließen und die Aura lässt nach. Aufgrund der Entzündung ist die Gefäßwand nun al- lerdings enorm schmerzempfindlich, jede Pulsschlagwelle des Blutes wird als häm- mernder Schmerz wahrgenommen. 4 Die Migräne hat auch eine genetische Komponente. Wissenschaftler konnten bis dato einige Gene identifizieren, die eine Rolle bei ihrer Entstehung zu spie- len scheinen. Beispielsweise analysierte ein internationales Team von Forschern 2013 Daten von mehr als 29 verschiede- nen Genom-Studien. Die Studienautoren konnten dabei zwölf Regionen im Erbgut von Migränepatienten identifizieren, die mitverantwortlich sind für das Risiko, an Migräne zu erkranken. Einige dieser Risiko- regionen liegen den Forschern zufolge in der Nähe von Genorten, die die Empfind- lichkeit für oxidativen Stress in Nervenzel- len regulieren. 5 Die meisten Migränepatienten brin- gen ihre Attacken mit bestimmten Reizen, sogenannten Triggerfaktoren, in Verbin- dung. Diese können bei entsprechender Veranlagung das Auftreten von Attacken begünstigen oder diese verstärken. Auf welchen oder welche Triggerfaktoren ein Patient reagiert, ist individuell unter- schiedlich. Als Trigger gelten unter ande- rem Stress, hormonelle Veränderungen (zum Beispiel Eisprung, Menstruation während des weiblichen Zyklus, bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva), Wech- sel im Schlaf-wach-Rhythmus (zu wenig oder auch zu viel Schlaf), Alkoholkonsum,

Blutzucker-Schwankungen (etwa nach dem Auslassen von Mahlzeiten), Wet- teränderungen und bestimmte Lebens- mittel (zum Beispiel Schokolade, Käse, Rotwein, Zitrusfrüchte). Um seine indivi- duellen Trigger zu identifizieren und wenn möglich zu meiden, kann der Apotheker dem Patienten empfehlen, ein Kopf- schmerztagebuch zu führen, wenn ge- wünscht auch per App. Empfehlenswert ist beispielsweise die Migräne-App der Techniker Krankenkasse (TK), die zusam- men mit der Schmerzklinik Kiel entwickelt wurde. Eine aktuell veröffentlichte Studie mit fast 1500 Anwendern zeigt, dass sich die Schmerztage durch das regelmäßige Benutzen der App deutlich reduzieren las- sen. Die Patienten leiden durchschnittlich rund drei Tage im Monat weniger unter Kopfschmerzen als ohne Nutzung der App – und zwar im Durchschnitt an 10 statt 13,3 Tagen im Monat, ein Minus von 25 Prozent. Auch die Intensität der Schmer- zen und die Zahl der Tage, an denen eine Akutmedikation eingenommen wurde, ließen sich mit der App senken. 6 Laut der im vergangenen Jahr aktuali- sierten Leitlinie sollten leichte und mit- telstarke Attacken zunächst mit einem Analgetikum wie Acetylsalicylsäure (ASS) oder einem anderen nicht steroidalen An- tirheumatikum (NSAR; Ibuprofen, Diclofe- nac) behandelt werden. Die Substanzen wirken laut Leitlinie auch bei einem Teil der Patienten mit schweren Migräneat- tacken. Am besten belegt ist die Wirkung für ASS (in einer Einzeldosis von 900 bis Therapie der akuten Attacke

ABBILDUNG 2: Migräneanfälle mit star- ken Schmerzen und Bettlägerigkeit dau- ern bis zu drei Tage an.

Foto: ©Prof. Dr. Hartmut Göbel, www.schmerzklinik.de

6 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

VERENA SCHMIDT

wenn sie früh eingenommen werden oder wenn der Kopfschmerz noch leicht ist. Um der Entwicklung eines Medikamen- tenübergebrauchkopfschmerzes vorzu- beugen, sollte dem Patienten eine frühe Einnahme nur empfohlen werden, wenn die Attacken nicht zu häufig sind (weni- ger als zehn Kopfschmerztage pro Monat) undwenn der Patient seinen Kopfschmerz eindeutig als Migräne identifizieren kann. Ist die Wirkung eines Triptans unzu- reichend, kann es mit einem rasch wirk- samen NSAR kombiniert werden. Gut untersucht ist die Kombination von Su- matriptan und Naproxen, bei der sich additive Effekte zeigen. Auch das Wieder- auftreten einer Migräneattacke kann die Kombination zum Teil verhindern. 2 Kontraindikationen für den Einsatz eines Triptans sind schwerwiegende kar- diovaskuläre Erkrankungen wie eine Angi- na pectoris, eine koronare Herzkrankheit oder eine fortgeschrittene periphere ar- terielle Verschlusskrankheit (pAVK). Auch nach einem Herzinfarkt, einer transito- risch ischämischen Attacke (TIA) oder ei- nem Schlaganfall sollten Triptane nicht eingenommen werden. Schwerwiegen- de Nebenwirkungen sind extrem selten, heißt es in der Leitlinie. Bei fast allen be- troffenen Patienten lagen eindeutige Kon- traindikationen vor oder die Diagnose der Migräne war falsch.

Treten die Kopfschmerzen nach initia- ler Wirksamkeit eines Triptans wieder auf, kann eine zweite Dosis nach frühestens zwei Stunden gegeben werden. Ist die ers- te Gabe unwirksam, ist auch eine zweite Dosis meist ohne Wirkung. In diesen Fäl- len sollte als Ersatz ein Nicht-Opioid-An- algetikum eingesetzt werden. Ergotamine sind bei der Therapie der Migräneattacke zwar wirksam, den Trip- tanen aber unterlegen. Sie sind laut der aktuellen Leitlinie nicht mehr Therapie der ersten Wahl. Es treten im Vergleich zu Triptanen und anderenMedikamenten zur Akuttherapie mehr Nebenwirkungen auf, zudem ist die Wirksamkeit in prospekti- ven Studien schlecht belegt. Allerdings ist die Wirkdauer länger als bei den Triptanen. Patienten, die davon profitieren, können Ergotamin weiter einnehmen, heißt es. Zur Behandlung von Übelkeit und Er- brechen imRahmen einer Migräneattacke können Metoclopramid und Domperidon eingesetzt werden. Metoclopramid hat zusätzlich, zumindest bei i.v.-Gabe, einen geringen eigenständigen Effekt auf die Kopfschmerzen. Prokinetische und anti- emetische Wirkstoffe sollen aber nur ge- zielt bei starker Übelkeit oder Erbrechen zum Einsatz kommen. Eine generelle Kom- bination mit Analgetika oder Triptanen ist nicht empfehlenswert. 2

1000mg) und Ibuprofen (400 bis 600mg). Für Ibuprofen-Lysinat liegen keine spezi- ellen Kopfschmerz- oder Migränestudien vor. Paracetamol sollte nur bei Kontrain- dikationen oder Unverträglichkeit von ASS oder den anderen NSAR in der Akutthera- pie eingesetzt werden. Seine Wirksamkeit gilt bei der Migräneattacke als nicht aus- reichend belegt. Gleiches gilt für die ver- schreibungsfreien Dosierungen von 200 bis 250mg Naproxen. 2 Kombinationsanalgetika (250mg ASS, 200mg oder 250mg Paracetamol und 50mg oder 65mg Coffein) sind bei der Linderung der Kopfschmerzen und der Begleitsymptomatik wie Lärm- und Licht- empfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen nachgewiesen wirksam und einer Dosis von 400mg Ibuprofen überlegen. Aller- dings legen einige Studien ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Medika- mentenübergebrauchskopfschmerzes (siehe S. 9) bei der Anwendung von Kom- binationsanalgetika nahe. Zur Vorbeu- gung sollten Kombinationsanalgetika nicht häufiger als an zehn Tagen im Mo- nat eingenommen werden, Mono-Analge- tika nicht häufiger als an 15 Tagen. 2 Bei der Wahl der Formulierung sollten Brausetabletten bevorzugt werden. Da der Wirkstoff schon außerhalb des Ma- gens gelöst wird, wird er schnell absor- biert, und es kommt zu einer schnelleren Schmerzreduktion als bei der Einnahme von Tabletten. Da bei der Anwendung von Brausetabletten auch keine punktuell hohe Wirkstoffkonzentration an der Ma- genschleimhaut auftritt, ist auch die Ver- träglichkeit besser. 2,8 Bei starken Kopfschmerzen und Mi- gräneattacken, die nicht auf Analgetika oder NSAR ansprechen, sind Triptane Mit- tel der Wahl. Am schnellsten wirkt eine subkutane Sumatriptan-Injektion, hier tritt die Wirkung nach zehn Minuten ein. Bei den oralen Formulierungen wirken Ri- zatriptan und Eletriptan am schnellsten (30 Minuten). Bei Sumatriptan, Almotrip- tan und Zolmitriptan tritt die Wirkung nach 45 bis 60 Minuten ein, bei Naratrip- tan und Frovatriptan dauert es bis zu vier Stunden (siehe Tab. 2). Triptane können zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Attacke wirken, sie müssen laut Leitlinie nicht zwangsläufig gleich zu Beginn der Schmerzphase eingenom- men werden. Allerdings wirken sie besser,

TABELLE 2: Analgetika zur Akutmedikation in der Migräneattacke

Analgetika-Therapie

Wirkstoff

Dosierung 1000mg p.o.

ASS

Ibuprofen Metamizol

200/400/600mg p.o.

1000mg p.o. Diclofenac-Kalium 50/100mg p.o. Kombination: ASS + Paracetamol + Coffein

250/265mg + 200/265mg + 50/65mg p.o.; 2 Tbl. der fixen Kombinat.

Bei Kontraindikation gegen NSAR Paracetamol

1000mg p.o. 1000mg p.o.

Metamizol

TABELLE 3: Triptane zur Akutmedikation in der Migräneattacke

Wirkeintritt

Wirkstoff/Dosierung Sumatriptan 6mg s.c. Eletriptan 20/40/80mg p.o. Rizatriptan 5/10mg p.o. Zolmitriptan 5mg nasal Sumatriptan 50/100mg p.o. Zolmitriptan 2,5/5mg p.o. Almotriptan 12,5mg p.o. (OTC) Naratriptan 2,5mg p.o. (OTC) Frovatriptan 2,5mg p.o.

Schnell

mittelschnell (+ länger anhaltende Wirkung)

langsam (+ lang anhaltende Wirkung)

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 7

MIGRÄNE

TABELLE 4: Substanzen zur Migräneprophylaxe mit guter wissenschaftlicher Evidenz; abgewandelt nach Leitlinie 2

Prophylaxe bei häufigen Attacken

Bei Patienten mit großem Leidensdruck, eingeschränkter Lebensqualität und mit hohem Risiko für einen Medikamenten- übergebrauch sollte der behandelnde Arzt eine medikamentöse Migräneprophylaxe in Erwägung ziehen. Als Kriterien nennt die Leitlinie drei oder mehr Attacken im Monat, Attacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden andauern, die auf eine Akuttherapie nicht ansprechen und Pati- enten, die Nebenwirkungen der Akutthe- rapie nicht tolerieren können. Auch bei ei- ner Zunahme der Häufigkeit von Attacken und der Einnahme von Schmerzmitteln an mehr als zehn Tagen pro Monat sollte der Arzt eine Prophylaxe erwägen. Arzneistoffe zur Migräneprophylaxe sollten einschleichend dosiert werden. Die Therapie gilt als wirksam, wenn sich die Häufigkeit der Attacken um 50 Pro- zent oder mehr reduzieren lässt. Bei der Prophylaxe bescheinigt die Leitlinie den Betablockern Propranolol und Metoprolol, dem Calciumantagonisten Flunarizin, den Antikonvulsiva Topiramat und Valproin- säure und dem Antidepressivum Amitri- ptylin eine durch randomisierte Studien belegte Wirksamkeit. Ebenfalls wirksam bei der Migräneprophylaxe, aber weniger gut untersucht, sind laut Leitlinie Bisopro- lol, ACE-Hemmer und Sartane. 2 Bei Propranolol konnte in einer Stu- die mit einer Dosierung von 160mg eine durchschnittliche Reduktion der Migräne- aktivität von 44 Prozent erreicht werden. 9 Metoprolol zeigt laut Leitlinie eine ver- gleichbare Wirksamkeit. Die prophylakti- sche Wirksamkeit anderer Betablocker ist weniger gut gesichert. Flunarizin unterscheidet sich hin- sichtlich seiner Wirksamkeit nicht von den beiden Betablockern, es kommt un- ter der Einnahme allerdings häufiger zu Nebenwirkungen wie Depressionen und Gewichtszunahme. Die empfohlene Dosis ist 10mg Flunarizin zur Nacht. Einer Stu- die zufolge sind allerdings 5mg ebenso wirksam. 10 Zur Reduktion von Nebenwir- kungen kann also auch eine 10-mg-Dosis jeden zweiten Tag eingenommen werden. Patienten über 65 Jahre und Kinder (bei ih- nen ist Flunarizin ausreichend untersucht) sollten ebenfalls die geringere Dosierung bekommen. Topiramat soll langsam einschleichend mit 2 x 12,5mg oder 2 x 25mg dosiert

Wirkstoff Propranolol

Dosierung Häufige Nebenwirkungen Kontraindikationen

40 – 240mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Bisoprolol

5 – 10mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Metoprolol

50 – 200mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Flunarizin

5 – 10mg

Müdigkeit, Gewichtszunahme Fokale Dystonie, Schwanger- schaft, Stillzeit, Depression Müdigkeit, kognitive Störungen Niereninsuffizienz, Nierensteine, Engwinkelglaukom

Topiramat

25 – 100mg

Valproinsäure 500 – 1000mg Müdigkeit, Schwindel, Tremor

Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft, Frauen im gebärfähigen Alter, Alkoholmiss- brauch

Onabotulinum- toxin A

155 – 195 Units i.m.

gelegentlich: muskelkaterartige Beschwerden, Nackenmuskel-

Myasthenia gravis

schwäche, kosmetisch unerwünschte Effekte

Amitriptylin 50 – 75mg

Müdigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel, Gewichtszunahme

Herzinsuffizienz, Glaukom, Prostatahypertrophie, -adenom

werden, Zieldosis ist 2 x 50mg täglich. Limitierend können kognitive Nebenwir- kungen sein, die aber fast nur in der Tit- rationsphase auftreten. Recht willkom- men ist bei einigen Patienten dagegen eine andere häufige Nebenwirkung von Topiramat: ein verminderter Appetit und infolgedessen ein Gewichtsverlust. 11 Zoni- samid hat in einer Studie eine ähnlich gute Wirksamkeit wie Topiramat gezeigt, 12 wird in der Leitlinie aber nicht empfohlen. Valproinsäure hat in Untersuchungen eine deutliche Abnahme der Attackenfre- quenz, aber nicht der Intensität gezeigt. Aufgrund ihrer Teratogenität sollte Valpro- insäure nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Verhütung eingesetzt werden. Auch die beiden Antiepileptika Lamotrigin und Levetiracetam sind in der Lage, das Auftreten von Migräneattacken zu reduzieren. Allerdings gibt es hierzu nur kleinere, nicht placebokontrollierte Studien. Amitriptylin ist das Mittel der Wahl zur Migräneprophylaxe in den USA. Die deutschen Leitlinienautoren kritisieren aber, dass die Wirkung vor allem durch methodisch eher weniger gute, ältere Studien belegt sei. Es gibt allerdings auch eine Metaanalyse, die die Wirksamkeit belegt. 13 Amitriptylin sollte bevorzugt zur Prophylaxe eingesetzt werden, wenn

eine Kombination mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp, mit chronisch neuro- pathischen Schmerzen oder chronischen Rückenschmerzen vorliegt oder wenn zusätzlich eine Depression besteht. Die Substanz sollte auf jeden Fall über länge- re Zeit eingenommen werden, die beste Wirkung zeigte sich nach einer Einnahme über vier Monate. Bei chronischer Migräne – das heißt vereinfacht 15 oder mehr Kopfschmerz- tage pro Monat in den vergangenen drei Monaten – mit oder ohne Übergebrauch von Schmerzmitteln ist neben Topiramat Onabotulinumtoxin A wirksam. Es wird zunächst in Abständen von drei Monaten intramuskulär an verschiedenen Stellen im Kopf- und Nackenmuskelbereich in- jiziert. Bei gutem Ansprechen kann das Intervall nach circa einem Jahr verlängert werden. Die Leitlinie räumt auch nicht-me- dikamentösen Verfahren einen großen Stellenwert bei der Prophylaxe von Migrä- neattacken ein. Die medikamentöse Pro- phylaxe sollte etwa durch regelmäßigen Ausdauersport, Entspannungsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie oder Bio- feedback ergänzt werden. Auch gibt es den Leitlinenautoren zufolge eine geringe Evidenz, dass Akupunktur einen Nutzen bei der Migräneprophylaxe haben kann. 2

8 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

VERENA SCHMIDT

selbst spritzen. Geeignete Injektionsstel- len sind am Bauch, Oberschenkel und an der Außenseite des Unterarms, sie sollten bei jeder Injektion gewechselt werden. Wichtig: Die Pens werden im Kühlschrank gelagert, die Injektion sollte aber immer bei Raumtemperatur erfolgen. Das Prä- parat sollte dafür aber nicht mithilfe einer Wärmequelle erhitzt werden und auch nicht zu stark geschüttelt werden. 14 Beispielhaft für die neuen Antikörper werden im Folgenden die Studiendaten zum Vorreiter Erenumab vorgestellt. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Ere- numab wurden in zwei Zulassungsstudi- en belegt. Im Rahmen der STRIVE-Studie nahmen 955 Patienten mit episodischer Migräne (weniger als 15 Tage mit Migrä- neanfällen proMonat) teil. Sie litten durch- schnittlich an acht Tagen pro Monat an Migränekopfschmerzen. Die Verumgrup- pe erhielt 70mg beziehungsweise 140mg Erenumab einmal im Monat subkutan für ein halbes Jahr. Die Zahl der Migränetage verringerte sich um 3,2 beziehungsweise 3,7 Tage. Bei der Vergleichsgruppe, die ein Placebo erhielt, war der Rückgang mit 1,8 Tagen signifikant geringer. 15 In einer Phase-II-Studie (NCT020664) mit 667 Patienten mit chronischer Migrä- ne (15 oder mehr Migränetage pro Monat) und durchschnittlich 18 Migränetagen pro Monat konnte Erenumab die Zahl der Migränetage in beiden Dosierungen in- nerhalb von zwölf Wochen um 6,6 Tage senken. Bei der Placebo-Medikation wa- ren es 4,2 Tage. Erenumab wirkte auch bei Patienten, bei denen andere Prophylaxe- Therapien zuvor versagt haben. 14 Einem aktuellen Review von Neurologen der Berliner Charité zufolge erlebt etwa die Hälfte aller Patienten mindestens 50 Pro- zent weniger Migränetage proMonat. Das könne bei vielen Patienten die Lebensqua- lität enorm verbessern, so die Autoren. 16 Besondere Vorsicht ist beim Einsatz von Erenumab bei Patienten mit schwe- ren Herz-Kreislauf-Erkrankungen geboten; diese waren aus den klinischen Studien ausgeschlossen. Daher liegen für diese Pa- tienten keine Sicherheitsdaten vor. Auch für Schwangere wird Erenumab vorsichts- halber nicht empfohlen. Stillende Mütter sollen in den ersten Tagen nach der Ge- burt nicht mit Erenumab behandelt wer- den, danach kann der Arzt jedoch eine Be- handlung in der Stillzeit erwägen. 14

Neue Wirkstoffklasse

In der Leitlinie werden die neuen An- tikörper nicht erwähnt. Welchen Stel- lenwert sie in der Migräneprophylaxe zukünftig haben werden, muss sich noch zeigen. Ein Vorteil von Erenumab ist seine relativ gute Verträglichkeit im Vergleich zu den bisherigen Prophylaktika. In den Studien zu Erenumab wurden als Neben- wirkungen Reaktionen an der Injektions- stelle, Obstipation, Muskelspasmen und Juckreiz beobachtet. Auch sind keine spe- ziellen Kontraindikationen zu beachten. Im Vergleich zu den anderen Prophylak- tika sind die Therapiekosten für die Anti- körper allerdings deutlich höher, und die Anwendung ist für die Patienten kompli- zierter als die orale Einnahme. Es gibt auch bislang noch keine direkten Vergleichsstu- dien gegen andere Migräne-Prophylaktika und Daten zur Langzeitanwendung. Das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen, das IQWiG, hatte jüngst seine Dossierbewer- tung zur Nutzenbewertung zu Erenumab veröffentlicht, die durchaus recht positiv ausfiel: Für Patienten, bei denen andere Mittel zur Prophylaxe versagt haben oder nicht infrage kommen, habe der Antikör- per einen beträchtlichen Zusatznutzen. Das IQWiG kritisierte aber unter anderem, dass Studien zum Vergleich mit anderen Migräne-Prophylaktika fehlen. Der Ge- meinsame Bundesausschuss muss nun abschließend über den Zusatznutzen von Erenumab entscheiden. Werden Schmerz- oder Migränemittel zu oft, zu lange und/oder in zu hoher Do- sierung eingenommen, können die Kopf- schmerzen zu einer chronischen Erkran- kung werden. Mediziner sprechen von chronischen Kopfschmerzen, wenn die Patienten für mindestens drei Monate an 15 oder mehr Tagen im Monat unter Kopf- schmerzen leiden. Nehmen sie an mindes- tens 15 Tagen im Monat Analgetika oder an mehr als zehn Tagen Migränemittel (Triptane oder Mutterkornalkaloide), Opi- oide oder Analgetika-Kombinationen ein, handelt es sich um einen Medikamenten- übergebrauchskopfschmerz (MÜK oder MOH, Medication Overuse Headache). Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem medikamenteninduzierten Kopfschmerz, welcher Kopfschmerzen bezeichnet, die Zu viel, zu lange

Mit den bisher verfügbaren Optionen zur Migräneprophylaxe können nicht alle Pa- tienten zufriedenstellend behandelt wer- den. Viele leiden unter der medikamen- tösen Prophylaxe unter Nebenwirkungen, etwa Müdigkeit oder Schwindel. Anfalls- freiheit wird oft nicht erreicht. Viele Pati- enten setzen ihre Hoffnung daher in die neue Wirkstoffklasse der monoklonalen Antikörper, die sich gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) beziehungs- weise den entsprechenden Rezeptor rich- ten. Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®, Markteinführung im April 2019), Fremanezumab (Ajovy™, bisher US-Zulassung, CHMP hat Zulassung in EU empfohlen) und Eptinezumab (in Phase III klinischer Studien) sind die ersten Arz- neistoffe, die speziell für die Migränepro- phylaxe entwickelt wurden. Alle anderen bisher eingesetzten Wirkstoffe haben ur- sprünglich andere Hauptindikationen. Das Neuropeptid CGRP spielt eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Es reguliert die nozizeptive Signalübertragung und wirkt stark va- sodilatierend. Der CGRP-Spiegel steigt während eines Migräne-Anfalls deutlich an, beim Abklingen der Kopfschmerzen sinkt er wieder ab. Erenumab konkurriert mit CGRP um die Bindung am Rezeptor und blockiert so die Signalübertragung. Galcanezumab, Fremanezumab und Ep- tinezumab binden nicht an den Rezeptor, sondern direkt an CGRP selbst. Erenumab, Galcanezumab und Frema- nezumab sind zugelassen zur Prophylaxe der Migräne bei erwachsenen Patienten, die an mindestens vier Tagen im Monat an Migräne leiden. Die Präparate wer- den mittels Fertigpen einmal monatlich subkutan injiziert, Fremanezumab kann auch vierteljährlich verabreicht werden. Die Standard-Dosis beträgt bei Erenumab 70mg, einige Patienten können auch von einer Dosis von 140mg alle vier Wochen profitieren, die als zwei Injektionen zu je 70mg gegeben wird. 14 Bei Galcanezumab beginnen die Patienten mit einer Loading- Dose von 240mg, danach spritzen sie monatlich 120mg. Bei Fremanezumab beträgt die Dosis 225 mg, bei vierteljähr- licher Applikation 675 mg. Nach einer entsprechenden Schulung könnendie Patienten sichdas Arzneimittel

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 9

MIGRÄNE

durchMedikamente ausgelöstwerden, die nicht zur Schmerzbehandlung eingesetzt werden, beispielsweise durch Nitropräpa- rate oder Phosphodiesterase-Hemmer. Die 2018 überarbeitete S1-Leitlinie „Di- agnose und Therapie des Kopfschmerzes durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln“ von der Deutschen Ge- sellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz- gesellschaft (DMKG) empfiehlt nach der Diagnose eines MÜK ein dreistufiges Vor- gehen: Die Patienten werden zunächst be- raten und geschult, wie sie die Einnahme der Akutmedikamente reduzieren können. Zeigt dies keinen Erfolg, kann eine medi- kamentöse Prophylaxe erwogen werden. Auf der dritten Stufe folgt ein Entzug. Patienten, die Analgetika oder Triptane einnehmen, können diese abrupt abset- zen. Opioide, Barbiturate und Tranquilizer sollten langsam ausgeschlichen werden. 18 REFERENZEN & LITERATUR 1 Telgheder, M. Krankheitskosten: Migräne kostet deutsche Wirtschaft jährlich fast 150 Milliarden Euro. Handelsblatt, 26.11.2018, online abrufbar auf www.handelsblatt.com. 2 Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deut- sche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. 2018. 3 International Headache Society. IHS Classifi- cation ICHD-II, online abrufbar unter www.

treatment of migraine. Cephalalgia; 1999. 11 Fachinformation Topamax® 25/50/100/200mg Filmtabletten, Stand: Dezember 2017 12 Mohammadianinejad SE, Abbasi V, Sajedi SA, Majdinasab N, Abdollahi F, Hajma-nouchehri R, et al. Zonisamide versus topiramate in migraine prophylaxis: a double-blind randomized clinical trial. Clin Neuropharmacol. 2011;34(4):174-7. 13 Jackson JL, Cogbill E, Santana-Davila R, Eldredge C, Collier W, Gradall A, et al. A comparative effectiveness meta-analysis of drugs for the prophylaxis of migraine headache. PLoS One. 2015;10(7):e0130733. 14 Gräfe KA, Mende A, Siebenand, S. Neu auf dem Markt: Neulinge im November. Pharm. Ztg. 2018; 163:3456 – 3460. 15 Goadsby PJ, Reuter U, Hallström Y, Broessner G, Bonner JH, Zhang F, Sapra S, Picard H, Mikol DD, Lenz, RA. A Controlled Trial of Erenumab for Episodic Migraine. N Engl J Med. 2017, 377:2123-2132. 16 Overeem LH, Neeb L, Reuter U. Erenumab for episodic migraine prophylaxis. Expert Rev Neu- rother. 2019; 7:1-7. 17 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Dossierbewertung A18-71, Erenumab (Migräne). 30.01.2019, Kurzfassung abrufbar unter www.iqwig.de. 18 Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deut- sche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie: Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz-oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH). 2018.

ihs-klassifikation.de. 4 Berufsverband Deutscher Neurologen e.V. (und andere): Neurologen und Psychiater im Netz: Ursachen und Auslöser von Migräne; abrufbar unter: https://www.neurologen-und-psychi- ater-im-netz.org/neurologie/erkrankungen/ migraene/ursachen/ 5 Anttila V, Winsvold BS, Gormley P et al. Genome-wide meta-analysis identifies new susceptibility loci for migraine. Nature Genetics. 2013; 45: 912–917. 6 Göbel H, Frank B, Heinze A, Zimmermann W, Göbel C, Göbel A, Brunkhorst J, Rupp K. Gesund- heitsverhalten von Migräne- und Kopfschmerz- patienten bei digitaler Therapiebegleitung mit der Migräne-App. Schmerz (2019). https://doi. org/10.1007/s00482-018-0355-x 7 Goldstein J, Silberstein SD, Saper JR, Ryan RE, Jr., Lipton RB. Acetaminophen, aspirin, and caffeine in combination versus ibuprofen for acute migraine: results from a multicenter, double- blind, randomized, parallel-group, single-dose, placebo-controlled study. Headache. 2006; 46(3):444-453. 8 Lecchi M, D'Alonzo L, Negro A, Martelletti P. Pharmacokinetics and safety of a new aspirin formulation for the acute treatment of primary headaches. Expert Opin Drug Metab Toxicol. 2014; 10(10):1381-1395. 9 Holroyd KA, Penzien DB, Cordingley GE. Propranolol in the management of recurrent migraine: a meta-analytic review. Headache. 1991;31(5):333-40. 10 Diener H, editor.Efficacy and tolerability of flunarizine and propranolol in the prophy-lactic

KURZZUSAMMENFASSUNG Migräne-Kopfschmerzen sind meist relativ stark, einseitig, pulsierend-pochend und nehmen bei Belastung zu. Viele Pa- tienten leiden zusätzlich unter Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Laut der aktuellen Leitlinie zur Therapie und Pro- phylaxe der Migräne sollen leichte und mittelstarke Attacken zunächst mit Acetylsalicylsäure oder einem anderen nicht ste- roidalen Antirheumatikum (Ibuprofen, Diclofenac) behandelt werden. Auch Kombinationsanalgetika (250mg ASS, 200mg oder 250mg Paracetamol und 50 oder 65mg Coffein) sind nachgewiesen wirksam. Um der Gefahr eines Medikamen- tenübergebrauchskopfschmerzes vorzubeugen, sollen Mono- Analgetika nicht häufiger als an 15 Tagen pro Monat einge- nommen werden, Kombipräparate nicht mehr als zehn Tage. Bei Migräneattacken mit starken Schmerzen, die nicht auf An- algetika oder NSAR ansprechen, sind Triptane Mittel der Wahl. Die einzelnen Wirkstoffe unterscheiden sich vor allem in der

Zeit bis zum Wirkungseintritt: Am schnellsten wirkt subkuta- nes Sumatriptan. Bei oraler Einnahme wirken Rizatriptan und Eletriptan am schnellsten, Naratriptan und Frovatriptan brau- chen am längsten bis zum Wirkeintritt. Alle Triptane wirken besser, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt während der Atta- cke eingenommen werden. Propranolol, Metoprolol, Flunarizin, Amitriptylin, Topiramat und Valproinsäure sind laut Leitlinie wirksam in der Migräne- prophylaxe. Neu in der Prophylaxe sind monoklonale Antikör- per, die sich gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) beziehungsweise den entsprechenden Rezeptor richten. Ere- numab (Aimovig®) ist der erste verfügbare CGRP-Antikörper. • Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®) und Frema- nezumab (Ajovy®) sind zugelassen zur Prophylaxe der Migräne bei erwachsenen Patienten, die an mindestens vier Tagen im Monat an Migräne leiden. Sie werden mittels Fertigpen einmal monatlich subkutan injiziert.

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DR. JULIA PODLOGAR

Nahrungsergänzungsmittel Aktuelle Trends und wissenschaftliche Hintergründe

Im Vergleich zu Arzneimitteln ist der Handel mit Nahrungsergänzungsmit- teln (NEM) kaum reguliert. Für Nah- rungsergänzungsmittel besteht le- diglich eine Anzeigepflicht beim Bun- desamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), ein den Arzneimitteln vergleichbares behörd- liches Zulassungsverfahren existiert entgegen der Meinung vieler Konsu- menten nicht. Dies ergibt sich auch daraus, dass für NEM keine indikati- onsbezogenen Angaben gemacht werden dürfen; definitionsgemäß handelt es sich um Lebensmittel, die die Nahrung gesunder Personen er- gänzen sollen. Pharmakologische Wirkungen sind ausschließlich Arz- neimitteln vorbehalten. Dennoch suggeriert die Aufmachung vieler im Handel befindlicher Produkte arznei- mittelähnliche Eigenschaften; die re- gulatorischen Unterschiede sind für Laien kaum zu erfassen. Gesund- heitsbezogene Aussagen zu Lebens- mitteln inklusive Nahrungsergän- zungsmitteln sind jedoch nur erlaubt, wenn ein sogenannter „Health Claim“ von der Europäischen Lebensmittel- behörde EFSA genehmigt wurde. Die Liste der Health Claims ist eine Posi- tivliste: Was nicht ausdrücklich er- laubt ist, ist somit verboten. Bisher sind etwa 300 Health Claims geneh- migt worden. Im EU Register on Nut- rition and Health Claims, abrufbar unter ec.europa.eu/nuhclaims, sind neben den genehmigten auch alle abgelehnten Health Claims einzuse- hen. Dies kann bei der Beurteilung von Werbeversprechen hilfreich sein: Wenn die EFSA eine Behauptung mangels wissenschaftlicher Belege bereits ausdrücklich abgelehnt hat, sind entsprechende Aussagen umso unseriöser. Völlig unreguliert ist der Markt für soge- nannte Botanicals. Hierunter versteht man NEM mit Inhaltsstoffen, die weder Vitaminen noch Mineralstoffen zuzuord- nen sind und in der Nahrungsergänzungs- mittel-Richtlinie der EU als „sonstige Stoffe“ bezeichnet werden. Dies können

Dr. Julia Podlogar (Münster) ist Fachapothekerin für Arz- neimittelinformation und Klinische Pharmazie, Mitarbei- terin der Abteilung Arzneimittelinformation und Medika- tionsmanagement der Apothekerkammer Westfalen-Lippe und Autorin der im DAV erschienenen Bücher „Wechsel- wirkungen zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln“ sowie „Vitamine – Mineralstoffe – Spurenelemente“.

Dr. Julia Podlogar

Neben Klassikern wie Multivitamin- präparaten, Magnesium, Calcium und Eisen werden in der Praxis zunehmend Produkte nachgefragt, die auch dem phar- mazeutischen Fachpersonal häufig nicht im Detail bekannt sind. Der vorliegende Artikel soll ausgewählte Beispiele derzeit „angesagter“ NEM vorstellen und die wis- senschaftliche Grundlage der erhofften Wirkung inklusive potenzieller Risiken beleuchten.

zum Beispiel Pflanzen, Pflanzenteile und -extrakte, Pilze, Algen oder Phytosterine sein. Für diesen Bereich gibt es anders als für Vitamine und Mineralstoffe kei- ne Positivliste, die alle erlaubten Zusätze aufführt. 1 Auch Health Claims werden für diesen Bereich derzeit nicht geprüft. Be- reits auf dem Markt befindliche Präpara- te genießen Bestandsschutz und dürfen solange weiter vertrieben werden, bis die zuständigen Lebensmittelüberwachungs- behörden der Länder ein bestimmtes Produkt im Rahmen einer Einzelfallent- scheidung zum Beispiel aufgrund unzu- lässiger Behauptungen verbietet und die Entscheidung – nach Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten seitens der Hersteller – rechtskräftig ist.

Roter Reis

Unter den Begriffen Roter Reis, Rotschim- melreis oder Angkak versteht man das Fer- mentationsprodukt von handelsüblichem Reis (Oryza sativa) mit Schimmelpilzen der

ABBILDUNG 1: Roter Reis

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AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 11

NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL

ist in Arzneimitteln aber verschreibungs- pflichtig. Die Arzneimittelverschreibungs- verordnung regelt jedoch nur den Ab- gabe- und nicht den Produktstatus, d. h. ein NEM, das eine in Arzneimitteln ver- schreibungspflichtige Substanz enthält, kann theoretisch legal im Verkehr sein. So ist zum Beispiel Vitamin D in Arznei- mitteln ab einer Dosierung von 1000 I.E. verschreibungspflichtig, für NEM gilt die- se Begrenzung jedoch nicht. Im Falle des Cannabidiols ist der Sachverhalt deutlich komplizierter. Für CBD-Öle existieren we- der genehmigte Health Claims noch eine Zulassung als „Novel Food“, also als zulas- sungspflichtiges neuartiges Lebensmittel. Bisher ist die offensichtliche Diskrepanz zwischen pharmakologischer Wirkung und Verschreibungspflicht von Canna- bidiol einerseits und der problemlosen Verfügbarkeit unzähliger CBD-Produkte andererseits in Deutschland ohne Kon- sequenzen geblieben. Dem BVL ist zwar keine Fallstellung bekannt, in der CBD-hal- tige Lebensmittel, also auch Nahrungser- gänzungsmittel, verkehrsfähig sein könn- ten. 5 Die Auffassung des BVL gilt aber nur vorbehaltlich einer abweichenden Ansicht der jeweils zuständigen Überwachungs- behörden in den Bundesländern, weil die Einstufung von Erzeugnissen und die Be- wertung der Verkehrsfähigkeit Aufgabe der für die Lebensmittelüberwachung zuständigen Landesbehörden ist. 5 In Ös- terreich sind CBD-haltige Nahrungsergän- zungsmittel im Dezember 2018 per Erlass des Gesundheitsministeriums verboten worden. 6 Unabhängig von der aktuellen Recht- sprechung gilt jedoch der bereits erwähn- te Grundsatz, dass für NEM keine ge- sundheitsbezogenen Aussagen gemacht werden dürfen, wenn kein Health Claim genehmigt wurde. Wenn dem Apothe- kenpersonal also bekannt ist, dass CBD-Öl in einem medizinischen Indikationsgebiet verwendet werden soll –wasmeistens der Fall sein dürfte – ist von der Abgabe ab- zusehen. Für Verbraucher mag das ange- sichts der unkomplizierten Bestellbarkeit über das Internet schwer nachzuvollzie- hen sein; möglicherweise erleichtert der Hinweis auf die oft mangelhaften Qua- litätsstandards bei NEM sowie die Mög- lichkeit der rezepturmäßigen Herstellung von Cannabidiol-Tropfen auf ärztliche Verordnung die Kommunikation. Positiv

im Rahmen einer Einzelfallentscheidung als Arzneimittel eingestuft werden. Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts können die Präparate weiter vertrieben werden. 4 In der täglichen Praxis kann nur dringendst von der Abgabe und Einnahme dieser Präparate abgeraten werden. Daran ändert auch die gelegentlich auftretende Verordnung auf einem grünen Rezept nichts – wenn der behandelnde Arzt eine Senkung des Cholesterinspiegels für indi- ziert hält, stehen zugelassene Arzneimit- tel in ausreichender Zahl zur Verfügung. Eines der zur Zeit am häufigsten ange- fragten NEM ist CBD-Öl. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein unübersichtli- ches Angebot verschiedenster Produkte, die als Inhaltsstoff Cannabidiol aus der Hanfpflanze (Cannabis sativa) in unter- schiedlichen Konzentrationen enthalten. Propagiert werden auf einschlägigen In- ternetseiten und zunehmend auch in der Laienpresse verschiedenste Einsatzgebie- te, wie Migräne, Depressionen, Angstzu- stände, Schlafstörungen usw. Tatsächlich hat Cannabidiol unter an- derem antiepileptische, antiinflammato- rische und anxiolytische Eigenschaften. Das Cannabidiol-haltige Arzneimittel Epi- diolex TM ist in den USA zur Behandlung bestimmter schwerer Epilepsieformen bei Kindern (Dravet-Syndrom, Lennox- Gastaut-Syndrom) zugelassen. Für die meisten anderen propagierten Indikati- onsgebiete gibt es keine hinreichenden Belege. Der Einsatz bei Schlafstörungen ist beispielsweise darauf zurückzuführen, dass Patienten bei der Einnahme von Can- nabidiol von Müdigkeit als unerwünschte Wirkung berichten. Über die Auswirkun- gen auf die Schlafqualität ist jedoch nichts bekannt. Unterscheiden muss man CBD-Öle von Hanföl, das aus Hanfsamen gepresst und als Speiseöl verwendet wird und kei- ne Cannabinoide enthält, sowie von THC-, Cannabis- oder Haschisch-Öl, die hohe Mengen des psychoaktiven und daher dem Betäubungsmittelrecht unterliegen- den Cannabinoids Tetrahydrocannabinol enthalten. Bei CBD-Ölen ist die Rechtsla- ge sehr unübersichtlich: Cannabidiol fällt zwar wegen der fehlenden Rauschwirkung nicht unter das Betäubungsmittelrecht, CBD-Öl

Gattung Monascus (Abb. 1). Bei der Fermentierung entstehen ne- ben den namensgebenden roten Pigmen- ten verschiedene Substanzen aus der Klas- se der Monacoline, wobei Monacolin K der Hauptvertreter ist. Produkte mit Rotem Reis werden als „natürliche Cholesterin- senker“ beworben, die anders als die „che- mischen“ Statine den Cholesterinspiegel völlig nebenwirkungsfrei und gefahrlos senken sollen. Tatsächlich ist eine rele- vante cholesterinsenkende Wirkung zu erwarten, denn beim Hauptinhaltsstoff Monacolin K handelt es sich um nichts An- deres als den verschreibungspflichtigen Arzneistoff Lovastatin. Daraus ergibt sich selbstverständlich, dass die Anwendung mitnichten „nebenwirkungsfrei“ ist, son- dern dieselben potenziellen Risiken birgt wie die Einnahme jedes anderen Statins. Von interessierter Seite wird gerne darauf hingewiesen, dass für Produkte mit min- destens 10mg Monacolin K pro Tages- dosis der Health Claim „Monacolin K aus Rotschimmelreis trägt zur Aufrechterhal- tung eines normalen Cholesterol-Spiegels im Blut bei“ von der europäischen Lebens- mittelbehörde EFSA genehmigt wurde. 2 Das trifft zwar zu, ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit einer Genehmigung des Inverkehrbringens und greift nur dann, wenn das Produkt im jeweiligen Mitgliedsstaat als Lebensmittel einge- stuft ist. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) haben Rot- schimmelreis-Präparate mit einer emp- fohlenen Tagesdosis von mehr als 5mg Monacolin K jedoch bereits 2016 als nicht zugelassene und damit nicht verkehrsfähi- ge Arzneimittel eingestuft. 3 Dass entspre- chende Präparate immer noch problemlos verfügbar sind, ist eines der dramatischs- ten Beispiele für die völlige unzureichen- de Regulierung des Handels mit NEM. Für Marktrücknahmen in diesem Bereich sind nicht Bundesbehörden wie BVL und BfArM zuständig, sondern die Lebens- mittelüberwachungsbehörden der ein- zelnen Bundesländer. Damit diese jedoch eingreifen können, müssen die auf dem Markt befindlichen Monacolin-K-haltigen Rotschimmelreis-Präparate zunächst von der Arzneimittelüberwachungsbehörde des Bundeslandes, in dem der jeweilige Hersteller bzw. Vertreiber seinen Sitz hat,

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DR. JULIA PODLOGAR

ABBILDUNG 2: Getrocknete Goji-Beeren

hervorzuheben ist die offenbar gute Ver- träglichkeit von Cannabidiol.

Goji-Beeren

Goji-Beeren sind die rötlichen Früchte des Gemeinen oder des Chinesisichen Bocks- horn (Lycium barbarum, Lycium sinense) (Abb. 2). Nach der Traditionellen Chinesischen Medizin werden sie bei Erkrankungen ein- gesetzt, die mit einer Schwächung des Yin einhergehen; hierzu gehören beispielswei- se Sehschwäche, Kopfschmerzen und vor- zeitiges Altern. Zunehmend werden Goji- Produkte auch in Europa als sogenanntes „Superfood“ beworben, wobei neben den Beeren, Tees und Säften auch NEM mit Goji angeboten werden. Auf einschlägi- gen Internetseiten wird die Goji-Beere als „Königin der Superfoods“ angepriesen, die unter anderem potenzfördernd und stim- mungsaufhellend wirke, beim Abnehmen helfe und vor vorzeitigem Altern schütze. 7 Tatsächlich weisen die enthaltenen Pro- teoglykane ein gewisses antioxidatives Potenzial auf, die postulierten Wirkungen sind jedoch nicht durch wissenschaftli- che Daten belegt. Stattdessen geht von Goji-Produkten ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial aus: Der Verzehr kann die antikoagulative Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten verstärken. In der Literatur existieren zahlreiche Fallberichte über INR-Erhöhungen (INR = International Normalized Ratio) und teils lebensbedroh- liche Blutungsereignisse bei gleichzeitiger Einnahme von Coumarinen und Goji-Pro- dukten. 8 Die zugrundeliegenden Mecha- nismen sind unklar; neben einer Wirkver- stärkung der Vitamin-K-Antagonisten ist auch eine eigene antikoagulative Wirkung ist denkbar, was auch für Gesunde rele- vant wäre. Weiterhin ist bedenklich, dass in verschiedenen Präparaten hohe Pesti- zid-Belastungen gefunden wurden und Goji-Produkte, die zur Potenzsteigerung beworben wurden, zum Teil mit Sildenafil gepanscht waren. 9

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Arthrosepatienten liege ein Schwefel- mangel vor, der durch MSM ausgeglichen werden müsse, ist nicht haltbar. Für MSM wurde der beantragte Health Claim „trägt zur normalen Gelenkfunktion bei“ von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA abgelehnt. Bezeichnungen oder Aufma- chungen, die einen Bezug zu Gelenken herstellen, sind unzulässig. 11 Zwar exis- tieren einige kleinere Humanstudien zum Einsatz von MSM bei Arthrose, die eine gewisse Schmerzreduktion und Funkti- onsverbesserung festgestellt haben. 12 Allerdings waren die Effekte sehr gering und es ist unklar, ob sie im Alltag eine klini- sche Relevanz haben. Außerdem liefen die Studien über relativ kurze Zeiträume von zwölf bis 24 Wochen. Ob eine Langzeitein- nahme von MSM negative gesundheitli- che Auswirkungen hat, ist nicht bekannt. Bei kurzzeitiger Anwendung wurde von allergischen Reaktionen und gastrointes- tinalen Beschwerden berichtet. Nicht mit MSM zu verwechseln ist der zu- weilen geforderte „anorganische Schwe- fel“. Hierbei handelt es sich um elemen- taren Schwefel zur oralen Einnahme, dem nach dem Weltbild eines gewissen Dr. Probst vielfältige gesundheitliche Wun- derwirkungen zugeschrieben werden. Un- ter anderem soll es zur „Darmsanierung“ eingesetzt werden. 13 Die zu erwartende Anorganischer Schwefel

oft eine zweite mit einer verdünnten Säu- re dabei – entsteht hieraus das ätzende und umweltgefährliche Chlordioxid, das im Normalfall als industrielles Desinfek- tionsmittel eingesetzt wird. Früher wur- de es in der Lebensmittelindustrie zum Bleichen von Mehl verwendet, ist jedoch mittlerweile aufgrund von im Tierversuch beobachteter, nephrotoxischer Wirkun- gen verboten. Auf einschlägigen Inter- netseiten wird bei oraler Einnahme eine Heilwirkung bei HIV, Krebs, Hepatitis, Au- tismus und zahlreichen anderen Krank- heitsbildern versprochen. Es versteht sich von selbst, dass diese Angaben in keinster Weise belegt sind und von der Verwen- dung von MMS aufgrund der klar gesund- heitsschädlichenWirkung – berichtet wird beispielsweise über Erbrechen, Diarrhoen, Schmerzen und Verätzungen – ganz drin- gend abgeraten werden muss. 10 Die Anwendung von NEM mit Methyl- sufonylmethan (MSM) wird vor allem bei Gelenkerkrankungen wie Arthrose propagiert. Tatsächlich ist Schwefel als Bestandteil der Aminosäuren Methionin und Cystein für zahlreiche physiologi- sche Vorgänge essenziell, allerdings sind Schwefelmangelzustände in Industrielän- dern nicht bekannt. Grundsätzlich besteht also kein Bedarf zur Supplementation. Die gelegentlich anzutreffende Aussage, bei MSM („Organischer Schwefel“)

MMS (Miracle Mineral Supplement)

Beim sogenannten Miracle Mineral Sup- plement (MMS) handelt es sich um Natri- umchlorit (NaClO 2 ). Durch Ansäuern – bei im Internet angebotenen Produkten ist neben einer Flasche mit Natriumchlorit

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 13

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