Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 2/2019

MIGRÄNE

TABELLE 4: Substanzen zur Migräneprophylaxe mit guter wissenschaftlicher Evidenz; abgewandelt nach Leitlinie 2

Prophylaxe bei häufigen Attacken

Bei Patienten mit großem Leidensdruck, eingeschränkter Lebensqualität und mit hohem Risiko für einen Medikamenten- übergebrauch sollte der behandelnde Arzt eine medikamentöse Migräneprophylaxe in Erwägung ziehen. Als Kriterien nennt die Leitlinie drei oder mehr Attacken im Monat, Attacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden andauern, die auf eine Akuttherapie nicht ansprechen und Pati- enten, die Nebenwirkungen der Akutthe- rapie nicht tolerieren können. Auch bei ei- ner Zunahme der Häufigkeit von Attacken und der Einnahme von Schmerzmitteln an mehr als zehn Tagen pro Monat sollte der Arzt eine Prophylaxe erwägen. Arzneistoffe zur Migräneprophylaxe sollten einschleichend dosiert werden. Die Therapie gilt als wirksam, wenn sich die Häufigkeit der Attacken um 50 Pro- zent oder mehr reduzieren lässt. Bei der Prophylaxe bescheinigt die Leitlinie den Betablockern Propranolol und Metoprolol, dem Calciumantagonisten Flunarizin, den Antikonvulsiva Topiramat und Valproin- säure und dem Antidepressivum Amitri- ptylin eine durch randomisierte Studien belegte Wirksamkeit. Ebenfalls wirksam bei der Migräneprophylaxe, aber weniger gut untersucht, sind laut Leitlinie Bisopro- lol, ACE-Hemmer und Sartane. 2 Bei Propranolol konnte in einer Stu- die mit einer Dosierung von 160mg eine durchschnittliche Reduktion der Migräne- aktivität von 44 Prozent erreicht werden. 9 Metoprolol zeigt laut Leitlinie eine ver- gleichbare Wirksamkeit. Die prophylakti- sche Wirksamkeit anderer Betablocker ist weniger gut gesichert. Flunarizin unterscheidet sich hin- sichtlich seiner Wirksamkeit nicht von den beiden Betablockern, es kommt un- ter der Einnahme allerdings häufiger zu Nebenwirkungen wie Depressionen und Gewichtszunahme. Die empfohlene Dosis ist 10mg Flunarizin zur Nacht. Einer Stu- die zufolge sind allerdings 5mg ebenso wirksam. 10 Zur Reduktion von Nebenwir- kungen kann also auch eine 10-mg-Dosis jeden zweiten Tag eingenommen werden. Patienten über 65 Jahre und Kinder (bei ih- nen ist Flunarizin ausreichend untersucht) sollten ebenfalls die geringere Dosierung bekommen. Topiramat soll langsam einschleichend mit 2 x 12,5mg oder 2 x 25mg dosiert

Wirkstoff Propranolol

Dosierung Häufige Nebenwirkungen Kontraindikationen

40 – 240mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Bisoprolol

5 – 10mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Metoprolol

50 – 200mg

Müdigkeit, arterielle Hypotonie AV-Block, Bradykardie,

Herzinsuffizienz, Sick-Sinus- Syndrom, Asthma bronchiale

Flunarizin

5 – 10mg

Müdigkeit, Gewichtszunahme Fokale Dystonie, Schwanger- schaft, Stillzeit, Depression Müdigkeit, kognitive Störungen Niereninsuffizienz, Nierensteine, Engwinkelglaukom

Topiramat

25 – 100mg

Valproinsäure 500 – 1000mg Müdigkeit, Schwindel, Tremor

Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft, Frauen im gebärfähigen Alter, Alkoholmiss- brauch

Onabotulinum- toxin A

155 – 195 Units i.m.

gelegentlich: muskelkaterartige Beschwerden, Nackenmuskel-

Myasthenia gravis

schwäche, kosmetisch unerwünschte Effekte

Amitriptylin 50 – 75mg

Müdigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel, Gewichtszunahme

Herzinsuffizienz, Glaukom, Prostatahypertrophie, -adenom

werden, Zieldosis ist 2 x 50mg täglich. Limitierend können kognitive Nebenwir- kungen sein, die aber fast nur in der Tit- rationsphase auftreten. Recht willkom- men ist bei einigen Patienten dagegen eine andere häufige Nebenwirkung von Topiramat: ein verminderter Appetit und infolgedessen ein Gewichtsverlust. 11 Zoni- samid hat in einer Studie eine ähnlich gute Wirksamkeit wie Topiramat gezeigt, 12 wird in der Leitlinie aber nicht empfohlen. Valproinsäure hat in Untersuchungen eine deutliche Abnahme der Attackenfre- quenz, aber nicht der Intensität gezeigt. Aufgrund ihrer Teratogenität sollte Valpro- insäure nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne sichere Verhütung eingesetzt werden. Auch die beiden Antiepileptika Lamotrigin und Levetiracetam sind in der Lage, das Auftreten von Migräneattacken zu reduzieren. Allerdings gibt es hierzu nur kleinere, nicht placebokontrollierte Studien. Amitriptylin ist das Mittel der Wahl zur Migräneprophylaxe in den USA. Die deutschen Leitlinienautoren kritisieren aber, dass die Wirkung vor allem durch methodisch eher weniger gute, ältere Studien belegt sei. Es gibt allerdings auch eine Metaanalyse, die die Wirksamkeit belegt. 13 Amitriptylin sollte bevorzugt zur Prophylaxe eingesetzt werden, wenn

eine Kombination mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp, mit chronisch neuro- pathischen Schmerzen oder chronischen Rückenschmerzen vorliegt oder wenn zusätzlich eine Depression besteht. Die Substanz sollte auf jeden Fall über länge- re Zeit eingenommen werden, die beste Wirkung zeigte sich nach einer Einnahme über vier Monate. Bei chronischer Migräne – das heißt vereinfacht 15 oder mehr Kopfschmerz- tage pro Monat in den vergangenen drei Monaten – mit oder ohne Übergebrauch von Schmerzmitteln ist neben Topiramat Onabotulinumtoxin A wirksam. Es wird zunächst in Abständen von drei Monaten intramuskulär an verschiedenen Stellen im Kopf- und Nackenmuskelbereich in- jiziert. Bei gutem Ansprechen kann das Intervall nach circa einem Jahr verlängert werden. Die Leitlinie räumt auch nicht-me- dikamentösen Verfahren einen großen Stellenwert bei der Prophylaxe von Migrä- neattacken ein. Die medikamentöse Pro- phylaxe sollte etwa durch regelmäßigen Ausdauersport, Entspannungsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie oder Bio- feedback ergänzt werden. Auch gibt es den Leitlinenautoren zufolge eine geringe Evidenz, dass Akupunktur einen Nutzen bei der Migräneprophylaxe haben kann. 2

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