Fortbildung aktuell [ Das Journal ] 2/2019

VERENA SCHMIDT

selbst spritzen. Geeignete Injektionsstel- len sind am Bauch, Oberschenkel und an der Außenseite des Unterarms, sie sollten bei jeder Injektion gewechselt werden. Wichtig: Die Pens werden im Kühlschrank gelagert, die Injektion sollte aber immer bei Raumtemperatur erfolgen. Das Prä- parat sollte dafür aber nicht mithilfe einer Wärmequelle erhitzt werden und auch nicht zu stark geschüttelt werden. 14 Beispielhaft für die neuen Antikörper werden im Folgenden die Studiendaten zum Vorreiter Erenumab vorgestellt. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Ere- numab wurden in zwei Zulassungsstudi- en belegt. Im Rahmen der STRIVE-Studie nahmen 955 Patienten mit episodischer Migräne (weniger als 15 Tage mit Migrä- neanfällen proMonat) teil. Sie litten durch- schnittlich an acht Tagen pro Monat an Migränekopfschmerzen. Die Verumgrup- pe erhielt 70mg beziehungsweise 140mg Erenumab einmal im Monat subkutan für ein halbes Jahr. Die Zahl der Migränetage verringerte sich um 3,2 beziehungsweise 3,7 Tage. Bei der Vergleichsgruppe, die ein Placebo erhielt, war der Rückgang mit 1,8 Tagen signifikant geringer. 15 In einer Phase-II-Studie (NCT020664) mit 667 Patienten mit chronischer Migrä- ne (15 oder mehr Migränetage pro Monat) und durchschnittlich 18 Migränetagen pro Monat konnte Erenumab die Zahl der Migränetage in beiden Dosierungen in- nerhalb von zwölf Wochen um 6,6 Tage senken. Bei der Placebo-Medikation wa- ren es 4,2 Tage. Erenumab wirkte auch bei Patienten, bei denen andere Prophylaxe- Therapien zuvor versagt haben. 14 Einem aktuellen Review von Neurologen der Berliner Charité zufolge erlebt etwa die Hälfte aller Patienten mindestens 50 Pro- zent weniger Migränetage proMonat. Das könne bei vielen Patienten die Lebensqua- lität enorm verbessern, so die Autoren. 16 Besondere Vorsicht ist beim Einsatz von Erenumab bei Patienten mit schwe- ren Herz-Kreislauf-Erkrankungen geboten; diese waren aus den klinischen Studien ausgeschlossen. Daher liegen für diese Pa- tienten keine Sicherheitsdaten vor. Auch für Schwangere wird Erenumab vorsichts- halber nicht empfohlen. Stillende Mütter sollen in den ersten Tagen nach der Ge- burt nicht mit Erenumab behandelt wer- den, danach kann der Arzt jedoch eine Be- handlung in der Stillzeit erwägen. 14

Neue Wirkstoffklasse

In der Leitlinie werden die neuen An- tikörper nicht erwähnt. Welchen Stel- lenwert sie in der Migräneprophylaxe zukünftig haben werden, muss sich noch zeigen. Ein Vorteil von Erenumab ist seine relativ gute Verträglichkeit im Vergleich zu den bisherigen Prophylaktika. In den Studien zu Erenumab wurden als Neben- wirkungen Reaktionen an der Injektions- stelle, Obstipation, Muskelspasmen und Juckreiz beobachtet. Auch sind keine spe- ziellen Kontraindikationen zu beachten. Im Vergleich zu den anderen Prophylak- tika sind die Therapiekosten für die Anti- körper allerdings deutlich höher, und die Anwendung ist für die Patienten kompli- zierter als die orale Einnahme. Es gibt auch bislang noch keine direkten Vergleichsstu- dien gegen andere Migräne-Prophylaktika und Daten zur Langzeitanwendung. Das Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Gesundheitswesen, das IQWiG, hatte jüngst seine Dossierbewer- tung zur Nutzenbewertung zu Erenumab veröffentlicht, die durchaus recht positiv ausfiel: Für Patienten, bei denen andere Mittel zur Prophylaxe versagt haben oder nicht infrage kommen, habe der Antikör- per einen beträchtlichen Zusatznutzen. Das IQWiG kritisierte aber unter anderem, dass Studien zum Vergleich mit anderen Migräne-Prophylaktika fehlen. Der Ge- meinsame Bundesausschuss muss nun abschließend über den Zusatznutzen von Erenumab entscheiden. Werden Schmerz- oder Migränemittel zu oft, zu lange und/oder in zu hoher Do- sierung eingenommen, können die Kopf- schmerzen zu einer chronischen Erkran- kung werden. Mediziner sprechen von chronischen Kopfschmerzen, wenn die Patienten für mindestens drei Monate an 15 oder mehr Tagen im Monat unter Kopf- schmerzen leiden. Nehmen sie an mindes- tens 15 Tagen im Monat Analgetika oder an mehr als zehn Tagen Migränemittel (Triptane oder Mutterkornalkaloide), Opi- oide oder Analgetika-Kombinationen ein, handelt es sich um einen Medikamenten- übergebrauchskopfschmerz (MÜK oder MOH, Medication Overuse Headache). Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem medikamenteninduzierten Kopfschmerz, welcher Kopfschmerzen bezeichnet, die Zu viel, zu lange

Mit den bisher verfügbaren Optionen zur Migräneprophylaxe können nicht alle Pa- tienten zufriedenstellend behandelt wer- den. Viele leiden unter der medikamen- tösen Prophylaxe unter Nebenwirkungen, etwa Müdigkeit oder Schwindel. Anfalls- freiheit wird oft nicht erreicht. Viele Pati- enten setzen ihre Hoffnung daher in die neue Wirkstoffklasse der monoklonalen Antikörper, die sich gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) beziehungs- weise den entsprechenden Rezeptor rich- ten. Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®, Markteinführung im April 2019), Fremanezumab (Ajovy™, bisher US-Zulassung, CHMP hat Zulassung in EU empfohlen) und Eptinezumab (in Phase III klinischer Studien) sind die ersten Arz- neistoffe, die speziell für die Migränepro- phylaxe entwickelt wurden. Alle anderen bisher eingesetzten Wirkstoffe haben ur- sprünglich andere Hauptindikationen. Das Neuropeptid CGRP spielt eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Es reguliert die nozizeptive Signalübertragung und wirkt stark va- sodilatierend. Der CGRP-Spiegel steigt während eines Migräne-Anfalls deutlich an, beim Abklingen der Kopfschmerzen sinkt er wieder ab. Erenumab konkurriert mit CGRP um die Bindung am Rezeptor und blockiert so die Signalübertragung. Galcanezumab, Fremanezumab und Ep- tinezumab binden nicht an den Rezeptor, sondern direkt an CGRP selbst. Erenumab, Galcanezumab und Frema- nezumab sind zugelassen zur Prophylaxe der Migräne bei erwachsenen Patienten, die an mindestens vier Tagen im Monat an Migräne leiden. Die Präparate wer- den mittels Fertigpen einmal monatlich subkutan injiziert, Fremanezumab kann auch vierteljährlich verabreicht werden. Die Standard-Dosis beträgt bei Erenumab 70mg, einige Patienten können auch von einer Dosis von 140mg alle vier Wochen profitieren, die als zwei Injektionen zu je 70mg gegeben wird. 14 Bei Galcanezumab beginnen die Patienten mit einer Loading- Dose von 240mg, danach spritzen sie monatlich 120mg. Bei Fremanezumab beträgt die Dosis 225 mg, bei vierteljähr- licher Applikation 675 mg. Nach einer entsprechenden Schulung könnendie Patienten sichdas Arzneimittel

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 9

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