Blickpunkt Schule 1/2024

gabe, die zunehmend auch Familien, in denen Deutsch als Muttersprache gesprochen wird, betrifft und auch in diesem Zusammenhang stärker adressiert und bei der Konzeptionali sierung zukünftiger Programme be rücksichtigt werden muss. 1 vgl. Lewalter, Doris/Diedrich, Jennifer/Goldham mer, Frank/Köller, Olaf/Reiss, Kristina (Hrsg.): PISA 2022. Analyse der Bildungsergebnisse in Deutschland. Münster 2023, S. 139-162. Bereits 2018, als das Lesen und die Lesekompetenz inner halb der Studie schwerpunktmäßig untersucht wurden, ließ sich nicht nur eine generelle Ver schlechterung der basalen Lesekompetenzen und des Leseverständnisses feststellen, sondern auch eine Abhängigkeit des Bildungserfolges von Fakto ren wie dem sozioökonomischen und dem sozio kulturellen Hintergrund der Familie der Schülerin nen und Schüler. vgl. Reiss, Kristina/Weis, Mir jam/Klieme, Eckhard/Köller, Olaf (Hrsg.): PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich. Münster 2019. 2 vgl. Stiftung Lesen, Die Zeit, Deutsche Bahn (Hrsg.): Frühe Impulse für das Lesen – Realitäten in den Familien. Vorlesemonitor 2022. Repräsen tative Befragung von Eltern mit Kindern zwischen einem und acht Jahren. Verfügbar unter: https:// www.stiftunglesen.de/fileadmin/Bilder/Forschung/ Vorlesestudie/Vorlesemonitor_2022.pdf, zuletzt eingesehen am 2. Januar 2024, S. 6; S. 8. 3 Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, wenn Sechsjährigen von 49 Prozent der Eltern sel ten oder nie vorgelesen wird. Vgl. Vorlesemonitor 2022, S. 11. 4 Dass mit Bildungsgerechtigkeit nicht eine Ver gleichbarkeit des zu erreichenden Bildungsziels zu verstehen ist, sondern sich Bildungsgerechtigkeit als Gleichheit der formalen Rahmenbedingungen, die den Zugang und die Realisierbarkeit von ver schiedenen Optionen zur Bildung ermöglichen, definieren lässt, muss hervorgehoben werden. Vgl. Maaz, Kai: Chancengerechtigkeit. Ein Ding der (Un-)Möglichkeit? In: News & science 44 (2017) 2, S. 41-44, S. 41. 5 Saracho, Olivia N.: Literacy and language: new developments in research, theory, and practice. In: Early Child Development and Care, 187 (2017), 3-4, S. 299-304, S. 301. 6 vgl. Niklas, Frank/Cohrssen, Caroline/Tayler, Col lette: The Sooner, the Better: Early Reading to Children. In: Sage Open Oct.-Dec. (2016), S. 1-11, S. 1-2. Als Ableitung aus diesem Befund stellen die Verfasser fest, dass das weitere soziale Umfeld ebenfalls einen Einfluss auf die Sprachentwicklung von Kindern hat, dieser aber im Vergleich zum engsten familiären Kreis gering ausfällt. 7 vgl. Niklas, Cohrssen, Tayler (2016), S. 2-3. 8 vgl. Niklas, Cohrssen, Tayler (2016), S. 3. 9 vgl. Wiescholek, Sabrina: Lesen in Familien mit Family Literacy. Elterliche Unterstützung beim Le sekompetenzerwerb in der ersten Klasse. Wiesba den 2018, S. 16. 10 vgl. Wiescholek (2018), S. 21-24. 11 Bonanati, Sabrina/Greiner, Christian/Gruchel, Nicole/Buhl, Heike M.: Lesekompetenz fördern. Ein Manual für das LIFE-Programm zur Stärkung der Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule. Wiesbaden 2020, S. 2.

Gelegenheiten für die Auseinanderset zung mit Sprache und Schriftsprache zu erkennen und diese ohne größeren Aufwand auch zu nutzen. Programme wie FLY in Hamburg oder HIPPY (Home Interaction for Parents and Preschool Youngsters) bieten gemeinsame Tref fen, Veranstaltungen, Exkursionen und zum Teil auch Hausbesuche an, bei de nen die Familien mit Grundgerüsten sozialer Praktiken und Kooperations formen vertraut gemacht werden und diese direkt anwenden und umsetzen können. 20 In den Gruppentreffen, die zum Teil nur für die Kinder, nur für die Eltern oder mit Eltern und Kindern ge meinsam durchgeführt werden, wer den über spielerische Ansätze und ge meinsame Erlebnisse (vom Vorlesen über das Einkaufen und Kochen bis zur Planung anstehender Ausflüge) das soziale Miteinander und die Kommuni kations- und Sprachfähigkeit eingeübt und trainiert. 21 Auf diesem Wege wird einerseits der familiäre Zusammenhalt gestärkt und andererseits die Selbst wirksamkeit der Eltern in ihrer Rolle als verantwortungsvolle Erziehende unter stützt und verbessert. 22 Damit wird ebenfalls ein Beitrag zur Gesundheits fürsorge und Prävention geleistet. Bezüglich eines Charakteristikums der Family Literacy sind allerdings weiterführende Anpassungen und Überlegungen notwendig: Die zitier ten Forschungsergebnisse (PISA-Stu die, Vorlesemonitor) zeigen deutlich, dass das Konzept einer Family Litera cy – abweichend von dem ursprüngli chen Entwicklungsgedanken – nicht mehr ausschließlich Familien mit einer Migrationsgeschichte oder mit einer anderen Muttersprache als dem Deutschen vorbehalten sein sollte und entsprechend einer weiteren Öff nung bedarf. Das Herstellen von Lite ralität über den sprachlich-kommuni kativen Austausch und die Lesesozia lisation ist, so lassen der Vorlesemoni tor, die vorschulischen Sprachstands erhebungen und die Bildungsstudien (zuletzt die bereits erwähnte PISA Studie mit den bislang schlechtesten Ergebnissen im Hinblick auf die Lese kompetenzen) mehr als deutlich er kennen, eine viel umfassendere Auf-

12 vgl. GG Art. 6 Absatz 2. 13 Valtin, Renate/Bird, Viv/Brooks, Greg/Brozo, Bill et.al.: European Declaration of the Right to Litera cy, March 2016, European Literacy Policy Network. Verfügbar unter: http://www.eli-net.eu/about us/literacy-declaration/, zuletzt eingesehen am 30.12.2023, S. 2. 14 Auf die besondere Rolle der Eltern und auf deren Einfluss auf die Deutschkompetenzen und die lite rarische Sozialisation geht Martin Blawid mit sei nem Beitrag zum Zusammenhang von Deutsch kompetenzen und Bildungsgerechtigkeit ein. 15 Wie einschlägige Untersuchungen sowohl zur Motivationspsychologie als auch zur Lesesozialisa tion zeigen, sind die positiven Besetzungen und Erfahrungen, die die Auseinandersetzung mit ei nem Lerngegenstand begleiten, ausschlaggebend für die Höhe des Ertrages aus dieser Beschäfti gung. Entsprechend wichtig ist es, ansprechende und ästhetische Stoffe und Inhalte auszuwählen. Exemplarisch: vgl. Deci, Edward L./Ryan, Richard M.: Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeit schrift für Pädagogik 39 (1993), S. 223-238. 16 Konkret liegt die Differenz in der Lesekompetenz zwischen Mädchen und Jungen bei 20 Punkten und damit deutlich unterhalb des OECD-Durch schnitts. Die Geschlechterdifferenz ist im Vergleich zur PISA-Studie von 2018 um sechs Punkte gesun ken. Vgl. PISA 2022, S. 150. 17 vgl. Vorlesemonitor 2022, S. 28. 18 vgl. Nickel, Sven: Family Literacy – Sprach- und Literalitätsförderung in der Familie. In: Fachforum: Orte der Bildung im Stadtteil. Dokumentation zur Veranstaltung am 16. Und 17. Juni 2005 in Berlin, hrsg. von der Regiestelle E&C der Stiftung SPI. 20 Mit speziellen Programmbausteinen wird darüber hinaus auch auf Geschlechterspezifika im Vorlese verhalten und in der sozialen Interaktion eingegan gen. So gibt es mit Programmen, die gezielt auf Vä ter abgestimmt sind und deren Engagement in Er ziehung und Sprachförderung aktivieren sollen, ei ne Reaktion auf Tendenzen, die sich beispielsweise im Vorlesemonitor gezeigt haben. Mütter lesen ih ren Kindern demnach bedeutend häufiger vor und kümmern sich verstärkt um die literale Bildung, während Väter hier deutlich zurückhaltender agie ren. Vgl. Vorlesemonitor 2022, S. 15. 21 Wie vielfältig die Projekte und Unternehmungen im Rahmen der Programme zur Family Literacy sein können, zeigt exemplarisch eine Veröffentli chung des Hamburger FLY-Programms: vgl. Lan desinstitut für Lehrerbildung und Schulentwick lung Hamburg (Hrsg.): Good practice – Beispiele aus elf Hamburger FLY-Schulen im Rahmen des ‘Mini King Sejong-Preises’. Hamburg 2012. 22 In den Evaluationen der Programme zur Family Literacy ist genau dies ein zentrales Ergebnis: Bis zur Teilnahme fühlten sich Eltern mit ihrem Erzie hungsauftrag nach eigenen Angaben oftmals überfordert, obwohl sie das Bedürfnis hatten, ih ren Kindern zu helfen. Sie gaben an, sich über die im Programm vermittelten Inhalte bedeutend si cherer und kompetenter bei der Erziehung ihrer Kinder zu fühlen. Dies belegt die Sinnhaftigkeit und illustriert die Notwendigkeit der Durchführung derartiger Programme sehr eindringlich. Vgl. Bo nanati et. al. (2020), S. 13; vgl. Wiescholek (2018), S. 204-210. Berlin 2005, S. 85-91, S. 86. 19 vgl. Nickel (2005), S. 86.

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SCHULE

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