Blickpunkt Schule 5/2022
16 Klartext SCHULE
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Jargon des Gendersensiblen Wie Gendersprache akademisches Schreiben blockiert »J argon der Eigentlich keit« – so nannte Theo dor W. Adorno seinen
einzusetzen. ’Diskriminierungen’ sol len ’abgebaut’ werden mit dem Ziel der ’Sichtbarkeit aller Geschlechts identitäten’ durch ’geschlechterinklu sive und diversitätssensible Sprache’ (Goethe-Universität Frankfurt/M. 2020). Dass die gestanzte Formelhaftig keit dieser Sprache ebenso »demago gischen Zwecken günstig« ist wie die von Adorno einst kritisierte Rhetorik der Wesenhaftigkeit, bezeugt der mo ralisierende Unterton der universitä ren Sprachleitlinien. Er suggeriert, dass sich Autoren, Verwaltungsange stellte, Dozenten oder Studenten au tomatisch ins Unrecht setzen, wenn sie es unterlassen, so zu schreiben oder zu sprechen, wie es im Namen einer ’Gendersensibilität’ verlangt wird, die meist nicht einmal näher de finiert wird. Eindeutiger sind dagegen die Verdikte. Entschieden wird vom Gebrauch herkömmlicher sprachlicher Wendungen und Formen abgeraten, die vermeintlich jeder ’Geschlechter sensibilität’ und ’Gleichstellung aller Geschlechter’ entgegenstehen. Auf einhellige Ablehnung stößt dabei vor allem das ’generische Maskulinum’. Dass beispielsweise die Berufsbe zeichnung ’Dozent’ erst einmal nichts mit Männlichkeit, aber alles mit der Tätigkeit des Lehrens zu tun hat, wird dabei geflissentlich ignoriert – und die fehlgeleitete Annahme, dass ’ge nerisch’ gleich ’biologisch’ sei, wider besseres Wissen vorausgesetzt, um die Verwendung dieser Form zum selbstverständlichen Tabu zu erklären. So heißt es auf dem ’Schreibportal Gender’ der Universität Leipzig: »Mittlerweile ist es in wissenschaft-
lichen Texten üblich [sic!], genderneu tral zu formulieren und das generi sche Maskulinum (also die männliche Form, die für alle Geschlechter steht) zu vermeiden.« Warum ausgerechnet das von den (anonymen) Verfassern selbst als in klusiv beschriebene generische Mas kulinum vermieden werden soll, ein »Unterstrich zwischen männlicher und weiblicher Endung« aber angeb lich besagt, dass »alle Geschlechter angesprochen« sind, wird nicht be gründet. Überhaupt werden die in den gendersprachlichen Leitlinien ge nannten Begriffe, Wertungen und Be stimmungen häufig in beliebig wech selnder Weise verwendet – und ste hen damit einer Wissenschaftskom munikation entgegen, als deren Er fordernisse gemeinhin Konsistenz, Sachbezug und (weitgehend) Wider spruchsfreiheit gelten. Die Sprache der Leitlinien hingegen ist vor allem eine Sprache der Phrasierungsrezep turen, die vorgeben, wie ein Satz oder eine Benennung ’geschlechterge recht’ zu formulieren sei. Manche Leitlinien lassen ihren Nutzern die Wahl zwischen mehreren Formalien – etwa zwischen Genderstern, Binnen-I oder einem Endungs-x. Doch die auf den ersten Blick beeindruckende Fülle der Artikulationsmöglichkeiten ent puppt sich bald als Scheinvielfalt, da sämtliche Optionen auf dasselbe ein dimensionale Werteschema verwei sen. In der ’geschlechtergerechten’ Selbstbestätigungsblase würde eine Diktion rationaler Sachbezogenheit schon allein wegen ihres Verzichts auf die Signalwörter des Gendersensiblen automatisch in eine Rechtfertigungs
Aufsatz, in dem er den sprachlichen Muff der 1950er-Jahre sezierte: Ge meint war eine Sonntagsredenprosa, die, angelehnt an die Diktion Heideg gers, über das vermeintlich ’Echte’, ’Wesentliche’ und ’Eigentliche’ schwadronierte. Für Adorno zeigt sich in dieser Phrasenrhetorik eine mani pulative Mechanik des Wortge brauchs. Eine »bescheidene Anzahl signalhaft einschnappender Wörter« ist auf die Wirkung hin kalkuliert, die sie bei Lesern und Hörern hervorruft. Der Inhalt der mechanisch abgespul ten Signalwörter ist dabei zweitran gig, denn, so Adorno: »Der des Jar gons Kundige braucht nicht zu sagen, was er denkt, nicht einmal recht es zu denken: das nimmt der Jargon ihm ab und entwertet den Gedanken.« Die ’Eigentlichkeit’ von damals ist die ’Geschlechtersensibilität’ von heute. Ihr Jargon bildet das kommu nikative Grundrauschen im universitä ren Lehr- und Arbeitsbetrieb. Nahezu jede Hochschulverwaltung veröffent licht Leitlinien, ’Empfehlungen’ und ’Handreichungen’ zum ’gendersensi blen Sprachgebrauch’, deren Beach tung für Studenten, Mitarbeiter und Dozenten mehr oder weniger ver pflichtend ist. Stil und Textgestalt die ser Sprachleitfäden sind dabei Para debeispiele für das von Adorno beob achtete ’Formale’ eines Jargons, der sich in ständig wiederkehrenden Pos tulaten erschöpft. ’Gleichstellung’, soll durch ’geschlechtergerechte Sprache’ ’vorangebracht’ werden. ’Sprache’ sei ’geschlechtersensibel’
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