Blickpunkt Schule 5/2022

position gedrängt. Und es fiele ihr schwer, sich unter Berufung auf Logik und sprachlich-gedankliche Konsis tenz gegenüber einem als alternativ los vorausgesetzten Gerechtigkeits empfinden zu behaupten, das zum unhinterfragten Maßstab aller sprachlichen Äußerungen erklärt wird. Genau das aber ist der Fall, wenn auf der Website der Universität Bielefeld »eine gendersensible Schriftsprache« als »unverzichtbar« für »wertschät zende, faire und diskriminierungsfreie Kommunikation« bezeichnet wird. Diese wird angeblich durch das ’Gen dersternchen’ ermöglicht, denn: »Mit der Verwendung des Genderstern chens trägt die Universität Bielefeld zu einer Gleichberechtigung und Sichtbarkeit aller Geschlechtsidenti täten bei.« Damit wird unterstellt, dass ’wert schätzende Kommunikation’ aus schließlich in einer speziellen Schrift sprache erfolgen könne, die als ’gen dersensibel’ (von wem auch immer) ausgewiesen sei. Außerdem wird be hauptet, dass die ’Verwendung des Gendersternchens’ zur Realisierung von ’Gleichberechtigung’ und ’Sicht barkeit’ beitrage. Ein typografisches Sonderzeichen, das für sich genom men gar nichts bedeutet, wird zum Symbol erklärt und mit einem gerade zu magisch anmutenden Wirkungs versprechen versehen. Ebenso wie das ’Binnen-I’ oder der in die Wortmitte eingefügte Doppelpunkt soll das ’Sternchen’ für moralische Werte, subjektive Emotionen (’wertschät zend’) und gesellschaftspolitische Konzepte (’Gleichberechtigung’) ste hen. Sein Gebrauch, so wird sugge riert, ist dazu geeignet, erwünschte Gedanken und Gefühle bei Autoren und ihren Lesern hervorzurufen. Diese Überfrachtung banaler Satzzeichen, Buchstaben und Schreibweisen mit geradezu hybriden Ansprüchen weist Züge eines fast schon sprachmagi schen Wunschdenkens auf. Die Wissenschaftsinstitution Uni versität beruht aber nicht auf Sprach magie, sondern auf empirisch-ratio naler Denkmethodik. Ihre Aufgabe ist nicht die moralische Erziehung des

nenbezeichnung’ wie der Leitfaden der FU Berlin behauptet – und dabei weitere Bedeutungsnuancen unter schlägt. Denn ein ’Dozierender’ kann durchaus auch ohne Lehrauftrag als überheblich-arroganter Redner iden tifiziert werden. Solche häufig nur im Kontext des Gesagten zu entschlüs selnden Bedeutungen sind im Raster des Gendersensiblen nicht vorgese hen. Die großzügig dimensionierten Möglichkeitsräume sprachlicher Nuancen schrumpfen zu engen Kammern, die ein reduktionistisches Basisdeutsch beherbergen, ohne dass diese Beschränkung mit einem Gewinn an sprachlicher Präzision ein herginge. So wird das Bestreben, eine mora lisch-politisch aufgeladene ’Vollstän digkeit’ zu artikulieren, in sein Gegen teil verkehrt: Diversitätshuberei qua Grammatikumdeutung oder Zeichen Buchstaben-Kodierung führt zu in haltlicher Verarmung und wissen schaftsfeindlicher Komplexitäts- reduktion. Noch vor wenigen Jahren war es selbst für Konfliktscheue möglich, sich dem Jargon zu verweigern. Auto ren wissenschaftlicher Texte bedien ten sich selbstverständlich der her kömmlichen Form des generischen Maskulinums. Irgendwann fanden sich in solchen Aufsätzen rechtfertigende Fußnoten. Darin entschuldigten sich die Autoren für den Gebrauch des ge nerischen Maskulinums und beteuer ten, dass ihre Texte sich natürlich auf ’Personen aller Geschlechter’ bezö gen. Pardon wird dennoch nicht gege ben, wie im Hinweisblatt zur ’gender sensiblen Sprache’ an der TU Dresden zu lesen ist: »Fußnoten mit Anmer kungen der theoretischen Berücksich tigung aller Geschlechter bei generi schem Maskulinum sind unzurei chend, da keine gleichberechtigte ak tive Versprachlichung vorliegt.«, so heißt es dort in schönstem Bürokra tendeutsch. Was also tun? Autoren und Dozenten bleibt die Wahl zwi schen Sachtext und Jargon. Den An spruch auf ideologiefreie Sprache werden sie an freien Universitäten künftig offensiver vertreten müssen.

Die Autorin

Klartext

Menschen (Letztere kann man getrost demTheater überlassen), sondern die Analyse der Bedingungen seiner phy sischen, psychischen und geistigen Existenz. Eine Sprache, die einen er kenntnisfördernden Zugang zu den Gegenständen wissenschaftlicher Er kenntnis ermöglicht, ist daher not wendigerweise sachbezogen. Sie abs trahiert von persönlichen Befindlich keiten, biologischen Voraussetzun gen, der Herkunft oder dem sozialen Status ihrer Sprecher. Und sie äußert sich in grammatikalischen Formen, denen jeweils differenzierte Funktio nen zukommen. Insofern sind ’Studie rende’ eben keine Studenten, denn Bücher und Rezepte lassen sich be kanntlich auch außerhalb von Univer sitäten studieren. Die Form des Parti zips beschreibt im Deutschen zudem eine Handlung in ihrem zeitlichen Ver lauf. Es handelt sich dabei also nicht um eine ’geschlechtsneutrale Perso Dagmar Lorenz (geboren 1957) ist Literaturwissenschaftlerin und Sinologin. Magisterexamen (Sinologie) sowie Promotion (Germanistik) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/M. Sie arbeitete als Redakteurin und Autorin für Print- und Online-Medien sowie für mehrere öffentlich-rechtli che Hörfunksender. Als Dozen tin für deutsche Sprache lehrte sie unter anderem an chinesi schen Hochschulen. Buchveröf fentlichungen: Wiener Moderne um 1900 , 2. Auflage , Stuttgart 2007 | Journalismus , 2. Aufla ge, Stuttgart 2009 | Scheitern als Ereignis. Jean Améry im Kontext europäischer Kulturkri tik , Frankfurt/M. 1990.

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