Blickpunkt Schule 5/2022

dass »niemand sich mehr ausge grenzt fühlt«. Herausgekommen ist eine Sprache, von der Leute wie ich (und viele andere) sich nicht mehr angesprochen fühlen. Statt zu inte grieren, grenzt diese neue Sprache aus. Zumal dieser Neusprech sprachäs thetisch eine Katastrophe ist und zu dem spalterisch wirkt. Denn sie trägt dazu bei, dass jedes Milieu sich seiner eigenen Sprache bedient und anderen Milieus immer weniger zuhören kann und will. Jeder spricht seine eigene Sprache, man redet aneinander vor bei, kann und mag sich nicht mehr gegenseitig zuhören. (Man denke zum Beispiel auch an das identitätspoliti sche Lager, dass mittlerweile quasi ei ne eigene Sprache entwickelt hat, zum Beispiel Begriffe wie ’PoC’ oder ’LGBTQ’; sehr spannend und auf schlussreich beschrieben von den taz Redakteuren Feddersen und Gessler in ihrem aktuellen Buch 13 ’Kampf der Identitäten’). Wie passt das in eine Zeit, in der allenthalben beklagt wird, dass sich die Gesellschaft zunehmend spaltet und dass man doch alles dafür tun müsse, diese Spaltung zu über winden? Was aber hat das alles mit unserer Rolle als Lehrerinnen und Lehrer an einer Schule zu tun? An einer öffentlichen Bildungsein richtung wie der Schule sollte es zur fundamentalen Aufgabe gehören, den Schülerinnen und Schülern eine den amtlichen Orthografieregeln ent sprechenden Sprachgebrauch zu ver mitteln. Man nennt das auch ’Sprach erziehung’. Das gehört zu unseren Kernaufgaben. Wenn darüber schon kein Konsens mehr in Kollegien herrscht, worin soll in Zukunft dann noch irgendein pädagogischer Kon sens bestehen? Doch wozu sollte man sich über haupt noch die Mühe machen, Recht schreibfehler von Schülerinnen und Schülern zu markieren, wenn doch ohnehin jeder (Pardon; jede*r oder jede/r oder doch »jede und jeder«?) so schreiben kann, wie er (Pardon, er/sie, er oder sie, er*sie) will – solan ge es nur politisch ’korrekt’ ist?

Wenn nun an einer Schule jede*r Kolleg*in so schreibt und spricht, wie er/sie das entsprechend seiner/ihrer sprachpolitischen Überzeugung für geboten erachtet, dann sollten und müssten wir uns die Frage stellen, ob wir damit diesem Bildungsauftrag noch gerecht werden (und übrigens auch unserer Verpflichtung nach Wahrung politischer Neutralität, denn Gendern hat eine eindeutig politische Stoßrichtung, die längst nicht jeder Kollege oder jede Kollegin zu teilen verpflichtet sein darf). Schülerinnen und Schüler brauchen klare Regeln, auch und gerade in Bezug auf Spra che. Wie wirkt es zum Beispiel auf eine junge Schülerin, sagen wir mal im 5. Schuljahr, wenn sie im Unterricht ständig verschiedene Versionen ein und desselben Begriffes hört und liest, wenn also zum Beispiel je nach sprachpolitischer Couleur der »Lehr kraft« mal von Lehrern, dann von Lehrer*innen, dann wieder von »Leh rer:innen« oder »LehrerInnen« oder auch mal von »Lehrenden« die Rede ist? Was antworten wir Schülern auf die Frage, welche Schreibweise denn nun richtig sei? Und wird dann nicht jede*r Lehrer*in etwas anderes ant worten, je nachdem, wie er/sie darü ber denkt? Werden in Geschichtsbüchern in der Antike demnächst die Griech*innen großartige Philosoph*innen hervorge bracht haben, in Lateinbüchern die Römer*innen viele Sklav*innen be sessen haben? Werden in Mathema tikbüchern drei Freund*innen aus rechnen, wie viel Geld jede*r Freund*in bekommt, wenn man 15 Euro gleichmäßig auf sie aufteilt? Werden im Dreißigjährigen Krieg Ka tholik*innen und Protestant*innen sich gegenseitig niedergemetzelt ha ben, 1945 die Amerikaner*innen die Deutschen von der Herrschaft der Na tionalsozialist*innen befreit haben? Soll so wirklich die Sprache der Zu kunft aussehen? Um eine Sache klarzustellen: Na türlich ist es absolut legitim, den Gen derstern intern als Abkürzung zu be nutzen, wenn es praktisch erscheint, denn das ist ja nichts Neues, gerade in

unserer internen Kommunikation – man denke allein an die noch vor Kur zem an vielen Schulen übliche Abkür zung »SuS« für »Schülerinnen und Schüler« oder auch »KuK« für »Kol leginnen und Kollegen«. Schließlich existieren neben dem Stern in »Kol leg*innen« auch Konkurrenzkon struktionen wie KollegInnen, Kolleg(inn)en, Kolleg:innen, dem nächst vielleicht auch Kolleg§innen, Kolleg&innen oder Kolleg%innen, was alles, orthografisch betrachtet, ge nauso sinnvoll oder sinnlos ist und auf die gleiche Bedeutung hinausläuft. Doch Ausdrücke wie »SuS« waren klar und deutlich als Abkürzungen erkenn bar und erhoben nicht den Anspruch, ’offizieller’ Teil der gesprochenen und geschriebenen Sprache zu sein bzw. bald sein zu wollen. Das ist beim Gen derstern hingegen etwas völlig ande res. In meinen Augen ist es mit dem öffentlichen Bildungsauftrag einer öffentlichen Schule nicht vereinbar, Schülerinnen und Schülern wissent lich und willentlich zu einem Sprach gebrauch zu erziehen oder zumindest zu ermuntern, der nicht den amtli chen, allgemein gültigen Orthografie regeln entspricht, nur weil man glaubt, gesellschaftspolitisch auf der ’richtigen Seite’ zu stehen. Sprachli che Regelwerke existieren aus guten Gründen. Wir brauchen klare und gül tige Regeln, um uns im komplexen System einer Sprache verständigen zu können. Staatliche Institutionen ha ben nicht das Recht, die Grammatik auf den Kopf zu stellen. Haben bei spielsweise im Straßenverkehr gewis se Leute das Recht auf eigene, beson dere Verkehrsregeln, nur weil sie mei nen, damit für die Gesellschaft etwas Gutes zu tun oder auf der moralisch richtigen Seite zu stehen? Wohin soll das führen? Das zunehmende Gendern an Schulen verursacht bei mir im wahrs ten Sinne immer noch und immer wie der Bauchschmerzen. Es ist eine Spra che, von der ich mich nicht mehr an gesprochen fühle und die es mir in ge wisser Weise auch zunehmend schwer macht, mich in vollem Umfang mit

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