Blickpunkt Schule 3/2023

»Gymnasium - weiter gedacht!«

zunehmende Digitalisierung, Coro na, die Entwicklung von gernerati ver künstlicher Intelligenz wie ChatGPT weisen bespielhaft auf die Dringlichkeit hin. Seit Langem wis sen die Länder also, dass sie Leh rerfortbildung in ausreichendem Maße und guter Qualität bereitstel len und es den Lehrkräften ermög lichen müssen, unkompliziert daran teilzunehmen! Das ist – bis auf we nige Ausnahmen – nicht passiert! Fakt hingegen ist: Bei Unternehmen wie der Deutschen Bank, der Allianz SE, BMW oder der Telekom betra gen die Kosten für die betriebliche Weiterbildung ein Vielfaches ge genüber dem, was die Kultusminis ter der Länder für ihre Lehrkräfte ausgeben. Einer Bestandsaufnah me von 2019 nach haben die Länder im Schnitt pro Jahr und Vollzeit Lehrerstelle rund 173 Euro ausge geben, privatwirtschaftliche Unter nehmen durchschnittlich zwischen 423 Euro und 561 Euro. Doch nicht nur im Vergleich zur Wirtschaft schneiden die Länder schlecht ab. Die Ausgaben für Lehrerfortbildung sind in Deutschland geringer als woanders. Die Niederlande, in der Größe mit Nordrhein-Westfalen vergleichbar, geben etwa das Drei fache aus. Was ist zu tun? Aus un serer Sicht: zumindest Transparenz schaffen und Ressourcen bündeln! • der Deutsche Philologenverband fordert die Kultusminister auf, Bündnisse zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Kultus zu schmie den, damit aktuelle Themen und Methoden schnell und effizient in die Lehrerschaft gelangen. Akteure können hier zum Beispiel auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, MINT-EC oder Stiftungen sein. Selbstverständlich ist dabei, dass Lehrkräfte für Fortbildungen frei gestellt werden! • Schülerinnen und Schüler werden dann, da wir dann genug personelle Ressourcen haben, so gefördert, dass dies nicht nur als ein Ausgleich möglicher Schwächen, sondern viel mehr als das weitere Stärken ihrer Begabungen verstanden wird.

• schulische Bildungs- und Erzie hungsangebote zielen darauf, Kin der und Jugendliche so zu prägen, dass sie heute und in der Welt von morgen bestehen und ihr Leben ge stalten können. Neben der Qualifi kations- und Allokationsfunktion, neben der Integrations- und Legiti mationsfunktion von Schule gehört vor allem auch die Kulturüberliefe rung dazu. Eine solchermaßen ver standene Bildung bietet Raum und Angebote für Persönlichkeitsent wicklung der Schülerinnen und Schüler, die umso notwendiger sind, je mehr gesellschaftliche Schlüs selprobleme und gesellschaftliche Anforderungen Kinder und Jugend liche zu ersticken drohen. • betonen wir wieder stärker unser Menschenbild, nachdem jeder Mensch – unabhängig von seinen schulischen Leistungen – gleich viel wert ist und verstehen wir verschie dene Bildungsgänge nicht als Ab wertung, die Schulformen nicht als Gegeneinander, sondern als pass genaues Angebot für verschiedene Schülerinnen und Schüler – und sprechen daher nicht mehr so viel von »Heterogenität«, der wir »be gegnen« müssen, sondern wert schätzen viel mehr die Individualität von Schülerinnen und Schülern und unterstützen und stärken diese durch entsprechende Angebote. • in dieser Zielvorstellung sind unsere Schulhäuser modernisiert und wir sind alle gemeinsam stolz auf un sere Schulen, statt uns dauernd un ser (in der Welt sehr geschätztes) Schulsystem schlechtreden zu las sen. Welchen Anteil bei diesen geäußer ten generellen Vorstellungen tragen dann speziell das Gymnasium und die gymnasiale Bildung für die Ge sellschaft? Darüber haben wir als Philologen verband insbesondere mit dem Motto, unter das sich der Deutsche Philolo genverband in diesem und im letzten Jahr anlässlich seiner Vertreterver sammlung 2021/2022 gestellt hat, Gedanken gemacht. Dieses Motto heißt auch für die Zukunft:

Und es heißt nach wie vor ganz be wusst nicht: Gymnasium »weiter den ken«, sondern: Gymnasium – weiter gedacht! Denn wir wollen nicht die Schulen ‘weiter denken’ – und dadurch bewähr te Schulstrukturen und das gegliederte Schulwesen mit seiner gymnasialen Säule durch ein zunehmendes Einheits schulsystem ersetzen, das letztlich kei nem gerecht werden kann ... Wir wollen nicht Arbeit ‘weiter den ken’ – und durch entgrenzte Arbeit und Arbeitszeiten die reflektierte Dis tanz zu uns selbst, zu unserem Bil dungsauftrag, zu unserer Schulart, zu unserem Bildungssystem verlieren. ... Wir wollen nicht 24/7 verfügbar sein und erwarten das auch nicht von un seren Schülerinnen und Schülern, sondern wollen sie – im Gegenteil – davor behüten, 24/7 den schulischen und privaten digitalen Beanspruchun gen zur Verfügung zu stehen … Wir wollen nicht Bildung »weiter denken« – und damit die gymnasiale Bildung einfach durch »Lernen« er setzen. ... Bildung bedeutet eben nicht distanzlos lernen, sondern ver stehen, Sachverhalte verstehen, sich selbst und die anderen verstehen, Distanz zu sich selbst zu entwickeln und Zweideutigkeiten im menschli chen Leben aushalten zu lernen … Und wir wollen nicht Unterricht »weiter denken« – und damit die an spruchsvolle und komplexe Fachlich keit durch »Haltung« ersetzen, wie dies in der populären Klimakrisendis kussion noch zu häufig geschieht. Im Gegenteil – uns im Philologen verband liegen die Bildungsprozesse unserer Schülerinnen und Schüler am Herzen, die Art, wie sie sich mit uns und bei uns ihre Welt erschließen, Ein sichten gewinnen, Wissen erwerben und dadurch als Persönlichkeit reifen. Und wir wissen, dass eine Besonder heit des Gymnasialen darin liegt, dass am Gymnasium weiter gedacht wird – weiter im Sinne einer breiten Per spektive auf die Gesellschaft und die Welt, weiter in dem Sinne, dass wir mit

Perspektiven des Gymnasiums

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SCHULE

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