Blickpunkt Schule 3/2022

Die Schule als Kulturort Oder: Wozu braucht man kulturelle Bildung in der Schule? i D ie Schule ist im Kern dazu da, der jüngeren Generation syste- matisch den Zugang zu zentra- ten die Künste. Weil die Künste unglaub- lich vielfältige und interessante Erfah- rungs- und Aktivitätsmöglichkeiten bie- ten, die das Leben bereichern, werden sie von allen gebraucht. Denn Menschen leben nicht in einer

Der Autor

Kulturelle Bildung

len Bereichen der vorfindlichen Kultur der Gesellschaft zu eröffnen und gleich- zeitig die subjektiven Voraussetzungen zur Weiterentwicklung ebendieser Kultur zu schaffen. In dieser Hinsicht geht es um Enkulturation. Die Schule tut dies in kulturell gestalteten Umgebungen und Formen, in sozialen und personalen Be- ziehungen, die von allen Beteiligten im- mer auch ästhetisch wahrgenommen und bewertet werden; sie bildet also von vornherein einen Kulturraum. Und in die- sem Rahmen werden dann auch die äs- thetisch-künstlerischen Gegenstände und Praxen zu einer eigenen großen Bil- dungsaufgabe. Allerdings ist die Bedeutung dieser Ge- genstände und Praktiken immer wieder umstritten. Dass es sich bei Kunst und kultureller Bildung hauptsächlich um lu- xuriöse Glasperlenspiele handele, ist in der Gesellschaft, auch in den Schulen und der Politik schließlich nach wie vor eine gerne vertretene Ansicht. Unbestritten ist dagegen, dass man für das moderne Leben mathematisch-naturwissenschaft- liche, sprachliche, historische, sozialwis- senschaftliche und politische Bildung so- wie Sport braucht. Auch Religion und/oder Ethik werden in Deutschland nicht ernst- haft infrage gestellt. Kontrovers wird es erst bei den Künsten, also bei Musik, bil- dender Kunst, Literatur, Theater, Tanz, Film etc. Da hört der Konsens schnell auf. Aber bei Liebeskummer oder bei Schmet- terlingen im Bauch hilft die Mathematik nun mal nicht. Da braucht man Gedichte, Lieder, Bilder, Filme, Dramen. Auch bei der Frage nach der eigenen Erscheinung, den Maßstäben der Selbst- darstellung helfen die sprachlichen, na- turwissenschaftlichen und historisch-po- litischen Kenntnisse und Fähigkeiten we- nig. Man kann es schließlich nicht vermei- den, zu erscheinen, aufzutreten, zu spre- chen, sich und etwas darzustellen. Da braucht man Vor-Bilder und Lern-Chan- cen. Die besten und interessantesten bie-

Welt, wie sie ist, sondern in einer Welt, wie sie sie wahrnehmen und die sich damit als ihre von allen anderen Welten unterschei- det. In dieser Welt stellen sie sich dar, drü- cken sie sich aus, diese Welt gestalten sie. Wie sie das tun, lernen sie. Die Künste bieten mit ihren Klang- welten, Bewegungswelten, Bildwelten, Sprachwelten etc. das reichste und an- spruchsvollste Repertoire für Wahrneh- mung und Gestaltung, das es gibt. Zu- gleich sind sie immer für Überraschungen gut. Die hier zu erwerbenden Fähigkeiten und Fertigkeiten sind daher eine wesentli- che Grundlage von allem anderen. Denn Wahrnehmungsfähigkeit und Gestal- tungsfähigkeit sind Grundlage auch aller kognitiven Leistungen und Operationen. Man kann nicht denken, wenn man nicht wahrnehmen und gestalten kann. Man kann nicht gut leben, wenn man seine Sin- ne nicht differenziert gebrauchen kann. Differenziert zu hören lernt man durch das Hören und Spielen von Musik, differenziert zu sehen lernt man durch das Sehen und Machen von Bildern, sich differenziert zu bewegen durch Tanzen und Beobachtung von Tanz. ImTheater und im Film erfährt man, wie die Welt sein und was sie bedeu- ten kann. Und die Literatur führt in das Gespräch mit den historischen und aktu- ellen Kulturen der Welt und damit zugleich mit der eigenen Person. Die Künste sind also kein überflüssiger Luxus, sie sind eine wesentliche Grundla- ge. Was bisher in den Künsten überhaupt möglich war und wo dort bisher die Gren- zen lagen, erfährt man bei den Könnern und ihren Werken. Was einem selber mög- lich ist, erfährt man durch Fantasie, Ima- gination, Praxis und Übung. Dafür braucht man aber Zeit und Muße. Es gibt dabei keine Grenzen der Perfektion. Alles geht auch anders und alles geht auch besser. Erst in diesem Horizont kann sich die

Macht der kulturellen Bildung im vollen Umfang entfalten. Daher ist es wichtig, auch die schulische Praxis weiterzuentwickeln und die Schulen zu Kulturorten in einem umfassenden Sinn werden zu lassen. Die Entwicklung des künstlerischen Fachunterrichts und der außerunterrichtlichen künstlerischen Praktiken in Musik, bildender Kunst, Thea- ter, Tanz, Literatur, Film etc. spielen dabei eine wesentliche Rolle. Aber kulturelle Bil- dung geht darin nicht auf; sie betrifft die gesamte schulische Praxis. Das gilt nach innen und nach außen. Jeglicher Unter- richt zum Beispiel ist immer performative Praxis, ist immer auch Aufführung! Und zugleich ist jede Schule immer auch Teil einer lokalen Kultur- und Bildungsland- schaft. Daher spielt auch die Kooperation mit den Orten und Institutionen von Kunst und Kultur – Museen, Galerien, Theatern, Orchestern und Bands, Literaturhäusern, Kinos, Sportvereinen etc. – und der außer- schulischen Kulturpädagogik eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Schule zum Kulturort: Schule bildet nicht nur Men- schen, sondern auch Kultur. Eckart Liebau i Der Text beruht auf der langjährigen Arbeit des Rates für Kulturelle Bildung. Vgl. zuletzt: Rat für Kulturelle Bil- dung, Auf den Punkt I/III. Kulturort Schule. Bildungspoli- tische Handreichung. Essen 2020 Eckart Liebau (Prof. i.R.) ist Vorsit- zender des Rats für Kulturelle Bil- dung. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik II an der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen- Nürnberg und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturelle Bildung.

4

SCHULE

Made with FlippingBook - Online catalogs