Blickpunkt Schule 5/2020

Leitartikel

Digitales Lernen

I n Deutschland wird seit Längerem nach einer rasanten Digitalisierung in Produktion und Geschäftsprozessen gerufen. Das Thema fasziniert Politik wie Wirtschaft gleichermaßen. Von einer Revolution in fast allen gesell- schaftlichen Systemen ist die Rede. Und da kann es natür- lich nicht ausbleiben, dass auch der Bildungsbereich in das Visier der innovativen Technologen gerät. In der Bundes- republik wird gegenwärtig eine regelrechte Kampagne für einen digitalen Unterricht gefahren, verbunden mit einer übersteigerten Befürchtung, man würde den Anschluss an eine wichtige globale Entwicklung verpassen. Keine Konzepte für gelungenen Digitalunterricht Bei näherem Hinsehen vermittelt sich allerdings der Ein- druck, dass die Visionen von »neuen Lernwelten« durch Digitalisierung wenig konkret und die Umsetzungsvorstel- lungen sehr unscharf sind. Studien wie die von Bertels- mann schüren öffentliche Erwartungshaltungen, ohne die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines digitalen Unterrichts genau zu klären. So wird begrüßt, dass ein Wille zum digi- talen Lernen nun endlich auch bei den Schulen angekom- men sei, weil inzwischen rund zwei Drittel aller Lehrer und Schulleiter der Auffassung seien, dass die digitalen Medien ihre Schule attraktiver machen. Schulen, so die Studie, nützen »das pädagogische Potenzial des digitalen Wan- dels noch nicht«, obwohl diese doch dabei helfen könnten, »pädagogische Herausforderungen wie Inklusion, Ganztag oder die Förderung lernschwacher Schüler zu bewältigen«. Obwohl, wie gesagt, noch ziemlich unklar ist, wie ein ge- lungener Digitalunterricht überhaupt auszusehen hat, durchdachte pädagogische Konzepte liegen jedenfalls noch nicht vor, erzeugt man auf diese Weise Resonanzen, die dann als Bestätigung der eigenen ungeprüften Anschauung interpretiert werden. Eine Rolle spielt dabei auf jeden Fall die auf einen Multi-Milliarden-Markt hoffende IT-Industrie,

die seit Jahren einen entsprechenden Druck auf die zustän- digen Ministerien in Bund und Ländern ausübt. So sind im Koalitionsvertrag der neuen Regierung fünf Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode für diesen Bereich vorgesehen. Smartphones an Schulen Viele der für eine Digitalisierung von Unterricht plädieren- den Stimmen werden vorsichtig, wenn es konkret werden soll. So kommt eine Studie der TU München zu der Ein- schätzung, dass der Lernerfolg der Schüler durchaus ver- bessert werden kann, wenn man es denn richtig macht. Ähnlich, mit leicht fatalistischer Grundierung, äußert sich die Psychologin Tina Seufert vom Institut für Lehr- und Lernforschung der Uni Ulm. Sie meint, dass der Einzug des Smartphones in den Unterricht kaum aufzuhalten sein wird, weshalb es »neuer Strategien« bedarf, ummit sol- chen Informationsgebern richtig umgehen zu können. Mit dem Hinweis auf den raschen Aufmerksamkeitsverfall in Lernsituationen verbindet sie die Hoffnung, dass mit dem Smartphone ’vielleicht’ der Unterricht leichter und kreati- ver gestaltet werden kann. Sie fordert »didaktische Zu- satzschulungen«, ein klarer Hinweis darauf, wie vage sich die ganze Sache mit der Digitalisierung noch darstellt. Dass der Einzug des Smartphones in die Schulen nicht schicksalhaft sein muss, zeigt sich gerade in Frankreich, wo ab dem Jahre 2018 das Mitbringen von Handys und Smartphones in die Schulen rigoros verboten wird, weil man erkannt hat, dass diese weniger Instrumente einer Wissensgesellschaft, sondern Apparaturen für »sozialen Klatsch« sind, die vom Unterricht nur ablenken. Zu dieser Meldung passt, dass die Lehrer in den USA mehrheitlich den Einsatz digitaler Techniken im Unterricht mit eben einer solchen Begründung ablehnen. Zwei große Aktionärsgruppen von Apple, darunter der kalifornische Lehrer-Pensionsfonds (CalSTRS), kritisieren die negativen Folgen eines ungebremsten Gebrauchs von Smartphones.

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SCHULE

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