sic! 06/2017

Frank Bremer  |  Désirée Stebler

II. Der Verfügungsantrag im Untersuchungsverfahren der Wettbewerbsbehörden Die Verfügungen der WEKO werden durch das Sekretariat vorbereitet 4 . Hierzu legt das Sekretariat der WEKO nach Abschluss der Ermittlungen einen begründeten Antrag zumEntscheid vor («Verfügungsantrag») 5 . Der Antrag ist ein ausformulierter Verfügungsent- wurf 6 und wird von der WEKO in vielen Fällen in den wesentlichen tatsäch­ lichen und rechtlichen Aspekten un­ verändert übernommen. Das Sekre­ tariat hat daher massgeblichen Einfluss auf die Verfügung. Vor Versand an die WEKO erhalten die am Verfahren Be­ teiligten gemäss Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG Gelegenheit, schriftlich zum Verfü- gungsantrag des Sekretariats Stellung zu nehmen 7 . Erst danach wird der – vom  4 Nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 KG bereitet das Sekretariat die Geschäfte der WEKO vor.  5 Vgl. Art. 23 Abs. 1 S. 2 KG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 lit. d GR-WEKO. Dies gilt jedenfalls für die Untersuchung abschliessende Verfügungen nach Art. 30 Abs. 1 KG und Sanktionsverfü- gungen nach Art. 49a ff. KG sowie gewisse Zwischenverfügungen; vgl. B. Zirlick/​ C. Tagmann, in: M. Amstutz /M. Reinert (Hg.), Basler Kommentar, Kartellgesetz, Basel 2010, KG 30 N 3 f.  6 Entsprechend enthält der Antrag wie die spä- tere Verfügung Sachverhalt, Begründung, Kosten und Dispositiv. Der wesentliche Un- terschied besteht darin, dass imAntrag noch nicht die späteren schriftlichen Stellungnah- men und mündlichen Anhörungen der Ver- fahrensbeteiligten berücksichtigt sind. Zur begrifflichen Unterscheidung der häufig synonym gebrauchten Begriffe «Verfügungs­ antrag » und «Verfügungsentwurf » siehe Zirlick/Tagmann (Fn. 5), KG 30 N 10.  7 Wegen der grossen Bedeutung des Verfü- gungsantrags für die spätere Verfügung sind die Verfahrensbeteiligten gut beraten, durch Sachverhaltseingaben und rechtliche Stel- lungnahmen an das Sekretariat bereits auf den Inhalt des Verfügungsantrags Einfluss zu nehmen. Salopp gesprochen ist das Kind mit der Zustellung des Verfügungsantrags an die Verfahrensbeteiligten zumeist schon in den Brunnen gefallen.

gebnis können damit auch geschäfts- schädigende Originalzitate aus der internen Unternehmenskommunika- tion im Rahmen einer Verfügung offen gelegt werden. Oftmals weniger beachtet wird, dass sich für die Unternehmen nicht erst aus der Publikation der Sanktionsver- fügungen, sondern bereits aus dem Bekanntwerden der diese vorbereiten- den Anträge des Sekretariats der WEKO («Sekretariat») bedeutsame Nachteile ergeben können. Der Entscheid des Bundesgerichtes wird daher vorliegend zum Anlass genommen, die von den Wettbewerbsbehörden diesbezüglich zu beachtenden Grundsätze der Informa- tionstätigkeit zu diskutieren. Hierzu wird zunächst das Instru- ment des Verfügungsantrags knapp er- läutert und eine Übersicht über die bisherige Praxis der Wettbewerbsbehör- den gegeben. Unter Berücksichtigung des «Nikon»-Entscheids werden dann allfällige Rechtsgrundlagen für ihre Ver- öffentlichung und die zu beachtenden Verfahrensgarantien erörtert. Als Son- derproblemwird anschliessend auf die Akteneinsichtsrechte der anderen Ver- fahrensbeteiligten eingegangen. Die Verfasser gelangen zum Ergebnis, dass die Wettbewerbsbehörden im Kartell- verwaltungsverfahren zu einem restrik- tiven, die Geheimhaltungsinteressen der Untersuchungsadressaten umfas- send wahrenden Umgang mit Verfü- gungsanträgen verpflichtet sind. übrige Einzelheiten offenbare, die die Betrof- fenen oder Dritte unverhältnismässig belas- teten, in ein schlechtes Licht stellten und für den vorausgesetzten, explikativen oder be- gründenden Zweck nicht erforderlich oder gar ungeeignet seien (vgl. BVGer vom 15. Ok- tober 2014, B-3588/2012, E. 5.2). Die Be- schwerdeführerin hatte allerdings weder vor dem Bundesverwaltungsgericht noch vor demBundesgericht die Publikation als solche in Frage gestellt bzw. die Verletzung kartell- rechtlicher Publikationsvorschriften geltend gemacht.

Sekretariat auf Grundlage der Stellung- nahmen gegebenenfalls überarbeitete – Verfügungsantrag an die WEKO über- wiesen, die damit die Verfahrensfüh- rung erhält 8 . Insbesondere im Falle einer be­ antragten Verbots- oder Sanktionsver- fügung enthält der Verfügungsantrag eine umfassende Darstellung der den Untersuchungsadressaten vorgeworfe- nen kartellrechtswidrigen Verhaltens- weisen. Das Bekanntwerden des Ver­ fügungsantrags birgt daher für die be- troffenen Unternehmen erhebliche Reputationsrisiken und kann sich po- tenziell geschäftsschädigend auswir- ken. Sie haben deshalb ein genuines Geheimhaltungsinteresse. In der Praxis stellt sich aus diesem Grund die Frage, wem dieWettbewerbsbehörden Zugang zum Verfügungsantrag gewähren dür- fen. Dabei ist zwischen der Information der Öffentlichkeit auf der einen Seite und der Akteneinsicht der amVerfahren Beteiligten auf der anderen Seite zu un- terscheiden.

III. Die bisherige

Veröffentlichungspraxis der Wettbewerbsbehörden

Verfügungsanträge sind für die Öffent- lichkeit grundsätzlich nicht zugänglich. Bis 2011 haben die Wettbewerbs- behörden in Medienmitteilungen auf ihrer Internetseite in ausgesuchten Fäl- len über den Versand von Verfügungs-

 8 Vgl. zumGanzen Zirlick/Tagmann (Fn. 5), KG 30 N 14 ff. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es dem Sekretariat nicht gestattet, den überarbeiteten Verfügungsantrag ohne eine weitere Möglichkeit zur Stellungnahme der am Verfahren Beteiligten an die WEKO zu versenden. Gemäss Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG haben diese nämlich das Recht – unabhängig vomUmfang der Überarbeitung – zum (fina- len) Antrag des Sekretariats und nicht bloss zum Antragsentwurf Stellung zu nehmen.

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