sic! 06/2017

Der Verfügungsantrag im Kartellverwaltungsverfahren

entsprechenden Verfahrensrechten ein- hergehenden förmlichen Verfahrensab- schluss durch einen Sanktionsentscheid ist es der WEKO dagegen untersagt, Unternehmen als schuldig zu behan- deln, «indem etwa der Presse vorzeitig die Entscheidung mitgeteilt wird » 53 . Wegen der aus Aussensicht vorhandenen Ein- heit zwischen WEKO und Sekretariat besteht just auch bei einem ausdrück- lich kommunizierten Vorbehalt weiter- hin die objektive Gefahr, dass Verlaut- barungen des Sekretariats zum Inhalt des Verfügungsantrags als Entscheid der WEKO wahrgenommen werden. Dass den Wettbewerbsbehörden eine allenfalls missverständliche Wie- dergabe der Medienmitteilungen in der Presse nicht vorgeworfen werden könne, greift ebenfalls zu kurz. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Staat durch positive Massnahmen dafür Sorge zu tragen hat, dass sich die Presse bei der Berichterstattung über anhän- gige Strafverfahren in den Grenzen der gebotenen Sachlichkeit hält 54 . Wenn aber die Presse Medienmitteilungen der Wettbewerbsbehörden trotz bestimmter darin enthaltener Vorbehalte regelmäs­ sig missversteht und falsch wiedergibt, müssen dieWettbewerbsbehörden dem durch eine noch zurückhaltendere Öffentlichkeitsarbeit Rechnung tragen. 2. Wahrung des Anspruchs auf ein faires Verfahren Die Information der Öffentlichkeit über den Verfügungsantrag muss weiter mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren durch einen unbefangenen behörd­ lichen Entscheidungsträger gemäss Art. 29 Abs. 1 BV vereinbar sein. Eine Befangenheit bzw. deren Anschein könnte sich einerseits erge- 53 Vgl. BGer vom 26. Mai 2016, 2C_1065/2014, E. 8.2 m.w.H. (nicht publizierte Erwägung in BGE 142 II 268). 54 Vgl. BVGer B-506/2010 vom 19. Dezember 2013, E. 6.1.2, unter Verweis auf BGE 116 IV 31 E. 5aa.

ben, wenn sich das Sekretariat auf ein Ermittlungsergebnis festlegt, wovon es später faktisch nicht mehr abweichen kann 55 und wenn es andererseits in der Öffentlichkeit eine Erwartungshaltung schürt, welche es der WEKO faktisch verunmöglicht, sich mit dem Sachver- halt objektiv auseinanderzusetzen 56 . Gemäss Art. 22 Abs. 1 KG 57 i.V.m. mit der Generalklausel des Art. 10 Abs. 1 lit. d VwVG ( «aus anderen Grün­ den ») müssen objektive Umstände vor- liegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu wecken 58 . Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Praxis der WEKO können Äusserungen über den Verfahrensausgang Zweifel an der Unbefangenheit nur wecken, wenn sie konkret sind, die notwendige Dis- tanz vermissen lassen und dadurch auf eine abschliessende Meinungsbildung hindeuten 59 . Bezug zu nehmen sei ins- 55 Vgl. zu den entsprechenden Vorbringen BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 4.2.1; RPW 2011, 529 ff. Rz. 296, «Ascopa»; RPW 2011, 306 ff. Rz. 16, 21, «Ausstand von Sekretariatsmitarbeitern». 56 Vgl. zu den entsprechenden Vorbringen RPW 2012, 270 ff. Rz. 58, «Verfügung vom 16. De- zember 2011 in SachenWettbewerbsabreden im Strassen- und Tiefbau imKanton Aargau»; RPW 2011, 529 ff. Rz. 295, 300, «Ascopa». 57 Da Art. 22 KG lediglich den Ausstand von Mitgliedern der WEKO regelt, ist auf Mit­ arbeiter des Sekretariats gemäss Art. 39 KG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. d VwVG direkt anwendbar; vgl. BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 2.2, E. 3; RPW2011, 306 ff. Rz. 30, «Ausstand von Sekretariatsmit­ arbeitern»; Waser (Fn. 30), 54. Gemäss Rechtsprechung und Verwaltungspraxis gilt für verwaltungsinterne Verfahren nicht der gleich strenge Massstab wie für unabhängige richterliche Behörden; vgl. BGer vom 24. März 2009, 2C_732/2008, E. 2.2.1; RPW 2016, 292 ff., Rz. 26, «Ausstand von Sekre- tariatsmitarbeitenden […]: Zwischenver­ fügung des Präsidenten der WEKO vom 21. September 2015 in Sachen Untersuchung […]». 58 Vgl. S. Bangerter, in: M. Amstutz/M. Reinert (Hg.), Kartellgesetz, Basel 2010, KG 22 N 5. 59 Vgl. BVGer vom 12. Februar 2016, B-6830/2015, E. 4.4 unter Hinweis auf BGE 134 I 238 E. 2; BGE 133 I 89 E. 3.3.

besondere auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Ausstandspflicht von Untersuchungsrichtern 60 . Danach könne sich in Fällen mit grosser Publi- zität in jedem Untersuchungsstadium die Situation ergeben, dass der Unter- suchungsrichter bereits vor Abschluss des Verfahrens in rechtlicher und tat- sächlicher Hinsicht zum Gegenstand der Untersuchung Stellung nimmt und dabei unter Umständen auch seine persönliche – aufgrund des jeweiligen Verfahrensstandes vorläufig gebildete – Meinung offenlegt. Es dürfe aber, sofern nicht besondere, anderslautende Anzei- chen vorhanden seien, vorausgesetzt werden, dass der Untersuchungsrichter in der Lage sei, seine Beurteilung des Prozessstoffes imVerlauf des Verfahrens entsprechend dem jeweils neuesten Stand des Verfahrens ständig neu zu überprüfen und bei Vorliegen neuer Tat- sachen und Argumente auch zu revidie- ren 61 . Auch von den Sekretariatsmitar- beitern könne erwartet werden, dass sie trotz der Information der Öffentlichkeit weiterhin in der Lage sind, die bisherige Einschätzung gestützt auf die angefor- derten Stellungnahmen der Verfahrens- beteiligten gegebenenfalls nach sach­ lichen Gesichtspunkten zu ergänzen respektive beim Bekanntwerden neuer Tatsachen und Argumente zu über­ prüfen und unter Umständen zu revi- dieren 62 . Mangels Entscheidbefugnis komme eine Befangenheit des Sekre­ tariats infolge klarer Meinungsäusse- rung wohl nur in Betracht, wenn es zum Ausdruck bringe, seine Meinung un­ geachtet allfälliger zugunsten der Beteiligten sprechenden Sachverhalts-

60 Vgl. BGer vom 25. September 2000, 8G.36/2000, E. 3c. 61 Vgl. BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 4.2.5. 62 Vgl. BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 4.2.5.

sic!  6 | 2017

351

Made with FlippingBook - Online magazine maker