sic! 06/2017

Frank Bremer  |  Désirée Stebler

elementen nicht mehr ändern zu wol- len 63 . Wiederum sind nach der hier ver- tretenen Ansicht erhebliche Zweifel anzumelden. Zunächst ist zu betonen, dass auch gemäss Bundesverwaltungsgericht der Hinweis auf den Abschluss der Ermitt- lungen des Sekretariats «unglücklich oder gar irreführend» ist. Das Sekretariat behält sich nämlich praxisgemäss vor, den Verfügungsantrag auf der Grund- lage der Stellungnahmen der am Ver- fahren Beteiligten zu überarbeiten und zusätzliche Untersuchungshandlungen durchzuführen 64 , was auch gerade der Zweck des Verfügungsantrags ist. Es ist deshalb «fragwürdig» 65 , worin das Infor- mationsinteresse vor Abschluss der Er- mittlungen bestehen soll. Ein solches bestünde allenfalls in der Information der Öffentlichkeit über den Fortgang der Untersuchung. Vor allem aber ist die bundesge- richtliche Rechtsprechung betreffend untersuchungsrichterliche Äusserun- gen zum Verfahrensausgang auf die vorliegende Konstellation nicht über- tragbar. Wegen des zwischen dem Sekretariat und der WEKO institutionell bedingten Informationsgefälles ist die WEKO bei der Entscheidungsfindung vom Sekretariat strukturell abhängig 66 . Daraus resultiert eine faktische Vor­ wirkung der Verfügungsanträge für die Endverfügungen der WEKO. Entspre- chend ergeben sich Unterschiede zwi- schen Verfügungsantrag und Verfügung zumeist nicht bei den tatsächlichen Feststellungen oder der materiellen Würdigung der untersuchten Verhal- 63 Vgl. BVGer vom 12. Februar 2016, B-6830/2015, E. 5.2. 64 Vgl. BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 4.2.5. 65 Vgl. BVGer vom 9. Juni 2011, B-7483/2010, E. 4.2.5. 66 Vgl. C. Baudenbacher, Institutionelles Setting, Vertikale Abreden, Sanktionierung von Einzelpersonen, Zivilrechtliche Ver­ fahren», Studie im Auftrag des SECO, Struk- turberichterstattung 44/3, Bern 2009, 22.

tensweisen, sondern wenn überhaupt bei den Rechtsfolgen beispielsweise im Hinblick auf die Sanktionshöhe und die anzuordnenden Massnahmen 67 . Selbst wenn also davon auszugehen wäre, dass die Sekretariatsmitarbeiter die Beurtei- lung des Verfahrensstoffes revidieren, so gilt dies für die imNebenamt tätigen Mitglieder der WEKO gerade nicht. 3. Einräumung des rechtlichen Gehörs Schliesslich ist stets auch das rechtliche Gehör der amVerfahren Beteiligten ge- mäss Art. 29 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 30 VwVG zu wahren. Gemäss Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG kön- nen sich die am Verfahren Beteiligten zum Verfügungsantrag äussern. E con­ trario besteht damit kein Anspruch auf Stellungnahme vor dessen Versand 68 . Eine andere Frage ist, ob der An- spruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die am Verfahren Beteiligten von den Wettbewerbsbehörden über die bevorstehende Information der Öf­ fentlichkeit rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden. Es geht damit um das 68 Vgl. RPW2008/1, 85 ff. Rz. 66, «Strassenbe- läge Tessin». In der Praxis nehmen die am Verfahren Beteiligten imRahmen der Beant- wortung von Auskunftsbegehren regelmässig schon vor demVerfügungsantrag umfassend Stellung. Ausserdem können die Wettbe- werbsbehörden selbstverständlich von sich aus eine vorgängige Möglichkeit zur Stel- lungnahme gewähren. Fraglich ist die Be- handlung unaufgeforderter Stellungnahmen, da grundsätzlich kein Recht auf mehrmalige Stellungnahme besteht (vgl. B. Waldmann/ J.Bickel, in: B. Waldmann/P. Weissenberger (Hg.), Praxiskommentar Verwaltungsver­ fahrensgesetz, 2. Aufl., Zürich 2016, VwVG 30 N 37). Wollen die Wettbewerbsbehörden eine solche Stellungnahme nicht berücksich- tigen, müssen sie die am Verfahren Beteilig- ten ausdrücklich darauf hinweisen und auf die spätere Möglichkeit der Stellungnahme verweisen. 67 Vgl. bspw. RPW 2013, 524 ff. Rz. 1021 ff., «Wettbewerbsabreden im Strassen- und Tief- bau im Kanton Zürich».

Recht auf Orientierung als Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör 69 . Grundsätzlich ist gemäss Art. 29 ff. VwVG der Geltungsbereich des An- spruchs auf rechtliches Gehör auf den Erlass von Verfügungen beschränkt 70 . Tatsächliches Verwaltungshandeln bzw. Realakte, wozu insbesondere Infor­ mationen, amtliche Publikationen und Pressemitteilungen gehören 71 , sind in- soweit ausgeklammert 72 . Allerdings können sich die amVer- fahren Beteiligten unmittelbar auf ihren gemäss Art. 29 Abs. 2 BV grundrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör berufen. Zusammen mit dem Fairnessgebot nach Art. 29 Abs. 1 BV und demGrundsatz von Treu und Glau- ben nach Art. 9 BV sind die Wett­ bewerbsbehörden nach der hier ver­ tretenen Auffassung verpflichtet, ihre Informationstätigkeit im Zusammen- hang mit dem Verfügungsantrag anzu- kündigen 73 . Dies gilt umso mehr, als die am Verfahren Beteiligten nur auf diese Weise in die Lage versetzt werden, gemäss Art. 25a VwVG i.V.m. Art. 39 KG und Art. 25 DSG 74 von den Wett­ bewerbsbehörden 75 eine Verfügung 69 Vgl. statt vieler P. Sutter, in: C. Auer / M. Müller /B. Schindler (Hg.), Kommentar zumBundesgesetz über das Verwaltungsver- fahren (VwVG), Zürich 2008, VwVG 29 N 7. 70 Gemäss Art. 30 Abs. 1 VwVG hört die Behörde die Parteien an, «bevor sie verfügt ». 71 Vgl. BVGer vom 1. Juni 2010, B-420/2008, E. 11; I. Häner, in: B. Waldmann/P. Weis­ senberger (Hg.), Praxiskommentar Verwal- tungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., Zürich 2016, VwVG 25a N 7. 72 Vgl. B. Waldmann/ J. Bickel, in: B. Wald- mann/ ​P. Weissenberger (Hg.), Praxiskom­ mentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., Zürich 2016, VwVG 29 N 38. 73 Vgl. Waldmann/Bickel (Fn. 72), VwVG 29 N 38 m.w.H. 74 Betreffend die amtliche Publikation einer (Sanktions-)Verfügung vgl. BGer vom 26. Mai 2016, 2C_1065/2014, E. 1.1 (nicht publizierte Erwägung in BGE 142 II 268). 75 Soweit diese Verfügung als verfahrensleitend im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 1 KG qualifi- ziert wird, ist das Sekretariat zusammen mit einem Mitglied des Präsidiums der WEKO

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