sic! 06/2017

«Automatische Tarifverlängerung» – Eidg. Schiedskom. für die Verwertung von Urheberrechten vom 8. Dezember 2016

4.6 Die Verwertungsgesellschaften verweisen sowohl in ihrer Eingabe vom 8. Juni 2016 als auch in ihrer Stel- lungnahme vom 29. September 2016 auf den mit den Verhandlungen ver- bundenen Kosten- und Arbeitsauf- wand. Das Festlegen einer letztlich de- finitiven Gültigkeitsdauer schliesst je- doch nicht aus, dass ein Tarif bei unveränderten Verhältnissen in einem relativ einfachen Verfahren verlängert werden kann. Dabei müssen bei einer Einigung der Parteien über eine Ver- längerung des Tarifs auch keine um- fangreichen Untersuchungen über die Einnahmen bzw. die Kosten erfolgen. Wenn der GT 4i somit nach Ablauf der festgelegten Gültigkeitsdauer von den Tarifparteien und der ESchK noch als angemessen betrachtet wird, kann er ohne grossen Aufwand verlängert wer- den (vgl. ESchK vom 8. Oktober 2004, Tarif B, E. II/4.c; Meier, Rn. 356). So schreiben auch die Verwertungsgesell- schaften in ihrer Stellungnahme vom 29. September 2016, dass eine Befris- tung nicht notwendigerweise zur Ver- handlung eines neuen Tarifs führe, sondern lediglich über eine Verlänge- rung des Tarifs verhandelt würde. Eine zeitliche Limitierung hält indessen die Verwertungsgesellschaften wie auch die Nutzerverbände dazu an, perio- disch zu überprüfen, ob die dem Tarif zugrunde liegenden Verhältnisse darin noch genügend reflektiert werden (ESchK vom 13. November 2001, GT R, E. II/2). Kommen sie zum Schluss, dass dies der Fall ist, können sie einen Verlängerungsantrag stellen, dessen Kosten- und Arbeitsaufwand um eini- ges kleiner ist, als es bei einem Gesuch um Genehmigung eines neuen (Eini- gungs-)Tarifs der Fall wäre. 4.7 Es ist den Verwertungsgesell- schaften darin zuzustimmen, dass die Parteien im Tarifgenehmigungsver­ fahren vor der ESchK eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft (E. Brem/​ V. Salvadé / ​G. Wild, in: B. K. Müller /​ R. Oertli [Hg.], Kommentar zum Ur

gungsfrist versäumt werde, und halten den regelmässigen Austausch mit den Verwertungsgesellschaften für vorteil- haft. Auch befürchten die Verbände, dass ihnen im Falle ihrer Kündigung Nachteile im Verfahren vor der ESchK entstehen könnten. Die Verhandlung eines neuen Ta- rifs verlangt in einem nicht ganz trans- parenten Bereich aufwendige und kost- spielige neue Studien. Es ist insbeson- dere auch in Anbetracht der sinkenden Preise nicht auszuschliessen, dass die Verwertungsgesellschaften diesen Auf- wand vermeiden und den Tarif tenden- ziell nicht kündigen möchten. Als Beispiel hierzu dient der Tarif R, der mit Beschluss vom 14. Dezember 1995 dahingehend verändert wurde, dass er sich automatisch um jeweils ein weite- res Jahr verlängere, wenn die SUISA der ESchK nicht einen anders lautenden Antrag stelle. Die ESchK genehmigte diese Klausel in der Annahme, dass es sich um eine Übergangsregelung handle, die der SUISA die geplante Re- vision des Tarifs R ermöglichen solle. In der Folge blieb der Tarif jedoch noch weitere sechs Jahre in Kraft. Auf Nut- zerseite jedoch, die infolge ihrer hete- rogenen Struktur über keine zentrale Verwaltung verfügt und folglich weni- ger organisiert ist, besteht die Gefahr, dass eine rechtzeitige Kündigung ver- gessen geht. Diesem Problem könnte allenfalls mit einer jährlichen Erinne- rung entgegengewirkt werden. Eine solche ist imTarif jedoch nicht vorgese- hen und auch nicht üblich. Auch gilt es zu bedenken, dass es im Falle einer Kündigung des Tarifs durch die Nutzer diesen obliegt, zu belegen, dass der Ta- rif inzwischen nicht mehr angemessen ist, wenn die Verwertungsgesellschaf- ten die Gültigkeitsdauer des genehmig- ten Tarifs verlängern möchten. Dabei genügt eine lediglich pauschal behaup- tete Unangemessenheit nicht (vgl. Meier, Rn. 357; BGer vom 24. März 2003, 2A.288/2002, E. 4.2.2). […]

solchen Klausel von demTarif zugrunde liegendenMarktverhältnissen abhängt. Insofern sollte auch diese formelle Be- stimmung des Tarifs den jeweils dem Tarif zugrunde liegenden Bedürfnissen angepasst werden und kann sie nicht deren unbesehen in einer Art «Allgemei- nemTeil» der Tarife vereinheitlicht wer- den. Eine zeitliche Limitierung der im GT 4i enthaltenen automatischen Ver- längerungsklausel drängt sich daher vorliegend auf, da sie sowohl die Ver- wertungsgesellschaften als auch die Nutzerverbände dazu anhält, spätes- tens nach Ablauf der Frist zu überprü- fen, ob die dem Tarif zugrunde liegen- den Verhältnisse noch zutreffen (vgl. ESchK vom 13. November 2001, Tarif R, E. II./2.). 4.5 Sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung der ESchK wird mehrfach angeführt, dass eine auto- matische Verlängerungsklausel entwe- der zeitlich zu beschränken sei oder aber von beiden Tarifparteien kündbar sein müsse (vgl. E. 4.2). Zwar ist das Erfordernis der beidseitig möglichen Kündbarkeit in Ziff. 9.3 des zu geneh- migenden GT 4i erfüllt. Dennoch er- gibt sich ein Ungleichgewicht zwi- schen den Parteien allein aus ihren Eigenarten. Die Wahrnehmung der Nutzungsrechte und das Aufstellen von Tarifen gehören zu den Kernaufga- ben der Verwertungsgesellschaften (vgl. Art. 44 und 46 URG). Folglich verfügen sie auch über einen (u.a.) auf das Urheberverwertungsrecht spezia- lisierten Rechtsdienst. Das Kernge- schäft der Nutzerseite hingegen liegt in der Regel schwerpunktmässig nicht in diesem Bereich, sondern die Nut- zung von Urheberrechten geht ledig- lich mit ihrer sonstigen Geschäftstätig- keit einher. Die Nutzerorganisationen äusserten denn auch anlässlich der Verhandlungen ihre Bedenken bezüg- lich der automatischen Verlängerungs- klausel. Sie sähen die Gefahr, dass es systematische vorsorgliche Kündigun- gen geben werde oder dass die Kündi-

sic!  6 | 2017

373

Made with FlippingBook - Online magazine maker