sic! 06/2017

Der Verfügungsantrag im Kartellverwaltungsverfahren

IV. Allfällige Rechtsgrundlage für eine Veröffentlichung von Verfügungsanträgen 1. Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage Die Verfügungsanträge des Sekretariats enthalten eine Vielzahl personenbe­ zogener Daten 16 . Die Bearbeitung von Personendaten, worunter insbesondere auch deren Veröffentlichung fällt (Art. 3 lit. e und f DSG), bedarf als Ein- griff in das Grundrecht auf informa­ tionelle Selbstbestimmung (Art. 10 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 13 Abs. 2 BV) einer gesetzlichen Grundlage (Art. 5 Abs. 1 BV, Art. 36 Abs. 1 BV) 17 . Da Daten über Sanktionen zudem besonders schüt- zenswerte Personendaten darstellen (Art. 3 lit. c Ziff. 4 DSG) ist sogar ein Gesetz im formellen Sinn vorausgesetzt (Art. 17 Abs. 2 DSG) 18 . 2. Art. 48 KG gilt nur für Endverfügungen Als gesetzliche Grundlage kommt zu- nächst Art. 48 KG in Betracht. DieWettbewerbsbehörden können gemäss Art. 48 Abs. 1 KG ihre Entscheide veröffentlichen. Entscheide sind ins­ besondere Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG wie beispielsweise Sank­ tionsverfügungen nach Art. 49a Abs. 1 16 Personendaten sind alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare na­ türliche oder juristische Person, unter ande- rem auch zu ihren wirtschaftlichen Verhält- nissen, beziehen; vgl. R. J. Schweizer, in: B. Ehrenzeller /B. Schindler /R. J. Schwei- zer /K.A. Vallender (Hg.), Die Schweize­ rische Bundesverfassung, St. Galler Kom- mentar, 3. Aufl., Zürich 2014, BV 13 N 75; O. Diggelmann, in: B. Waldmann/E. V. Belser /A. Epiney (Hg.), Bundesverfassung, Basel 2015, BV 13 N 33. 17 Ähnlich BGE 142 II 268 E. 6.4.1. 18 Art. 17 Abs. 2 DSG konkretisiert das gemäss Art. 36 Abs. 1 S. 2 BV bei schwerwiegenden Einschränkungen geltende Erfordernis eines formellen Gesetzes; vgl. S. Ballenegger, in: U. Maurer-Lambrou/G. P. Blechta (Hg.), Datenschutzgesetz, 3. Aufl., Basel 2014, DSG 17 N 20.

anträgen informiert 9 . Die Medienmit- teilungen enthielten in unterschied­ lichemDetaillierungsrad Informationen zu den gemäss Verfügungsantrag fest- gestellten Kartellverstössen, den invol- vierten Unternehmen, den beantragten Bussen und den weiteren Verfahrens- schritten. Massgeblich für die Heraus- gabe von Medienmitteilungen war das öffentliche Informationsinteresse an der jeweiligen Untersuchung 10 und eine vermutete Reaktion der Parteien gegen- über der Presse 11 .  9 Vgl. Medienmitteilung vom 9. Juni 2011 «WEKO-Sekretariat beantragt Bussen für Baufirmen aus dem Kanton Aargau»; Me- dienmitteilung vom 18. Mai 2010 «Sekreta- riat beantragt Bussen für Firmen der Parfü- merie- und Kosmetikbranche»; Medienmit- teilung vom 10. Februar 2009 «Empfohlene Preise von drei nicht kassenpflichtigen Me- dikamenten (Hors-Liste-Medikamente): Antrag des Sekretariats in der Untersuchung ‹Hors-Liste-Medikamente› zugestellt»; Me- dienmitteilung vom 13. November 2008 «ADSL-Preispolitik: Antrag des Sekretariats in Untersuchung zugestellt»; Medienmit­ teilung vom 10. Januar 2007 «Sekretariat Weko: Abschluss der Untersuchung über Strassenbeläge im Tessin». Die Medienmit- teilungen sind auf der Internetseite der WEKO () abrufbar. 10 Vgl. RPW 2012, 270 ff. Rz. 59, «Verfügung vom 16. Dezember 2011 in Sachen Wettbe- werbsabreden im Strassen- und Tiefbau im Kanton Aargau»; RPW2011, 529 ff. Rz. 298, «Ascopa»; RPW 2011, 306 ff. Rz. 77, «Aus- stand von Sekretariatsmitarbeitern». Mass- geblich waren insoweit ähnliche Kriterien wie bei der Information der Öffentlichkeit über die Eröffnung von Vorabklärungen; vgl. P. Krauskopf/O. Schaller/S. Bangerter, Verhandlungs- und Verfahrensführung vor den Wettbewerbsbehörden, in: T. Geiser / P. Krauskopf /P. Münch (Hg.), Schweize­ risches und europäisches Wettbewerbsrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis, Band IX, Basel 2005, N 12.16. 11 Vgl. RPW2008, 85 ff. Rz. 64, «Strassenbeläge Tessin». Mit dieser Begründung verkehrt die WEKO indes Ursache und Wirkung. Die Un- tersuchungsadressaten werden typischer- weise erst infolge der Medienmitteilungen der WEKO zu einer Reaktion gegenüber der Presse gezwungen.

In den Massenverfahren «San­ «Hors-Liste-Medika­ mente» 13 haben dieWettbewerbsbehör- den den Versand der jeweiligen Verfügungsanträge amtlich bekannt gegeben. Dritten wurde auf dieseWeise unter Fristansetzung Gelegenheit gege- ben, eine Kopie des Verfügungsantrags anzufordern. Im Fall «Sanphar » wurde in der amtlichen Bekanntmachung so- gar das Dispositiv des Verfügungsan- trags wörtlich veröffentlicht. Darüber hinaus informieren die Wettbewerbsbehörden im Rahmen ihrer Jahresberichte knapp über die im Berichtszeitraum versandten Verfü- gungsanträge bzw. deren bevorstehen- den Versand sowie den aktuellen Ver- fahrensstand 14 . Schliesslich enthalten die Verfügungen im Rahmen der Ver- fahrensgeschichte nachträglich Hin- weise zu den jeweiligen Verfügungsan- trägen und den diesbezüglichen Stel- lungnahmen 15 . Einige der betroffenen Unterneh- men haben sich – im Ergebnis erfolg- los – gegen die Medienmitteilungen zur Wehr gesetzt (siehe hinten V). DieWett- bewerbsbehörden haben möglicher- weise vor diesem Hintergrund seither auf entsprechende Medienmitteilungen verzichtet. phar» 12 und 12 Vgl. RPW 2000, 320 ff. Rz. 17, «Vertrieb von Arzneimitteln/Sanphar»; Untersuchung der Wettbewerbskommission i.S. Sanphar (Ab- reden im Vertrieb von Arzneimitteln), BBl 2000 1360 f. 13 Vgl. RPW 2010, 649 ff. Rz. 30, «Hors-Liste- Medikamente: Preise von Cialis, Levitra und Viagra»; Bekanntmachung der Wettbewerbs- kommission. 22-0326: Hors-Liste-Medika- mente: Stellungnahme zum Antrag des Sekretariats, BBl 2009 673. 14 Vgl. RPW 2016, 1 ff., 5 ff., «Jahresbericht 2015 derWettbewerbskommission (WEKO)»; RPW 2015, 1 ff., 4, 6, «Jahresbericht 2014 der Wettbewerbskommission (WEKO)»; RPW 2014, 1 ff., 5, 10, «Jahresbericht 2013 der Wettbewerbskommission (WEKO)»; RPW 2013, 1 ff., 4, 8, «Jahresbericht 2012 der Wettbewerbskommission». 15 Vgl. statt vieler RPW 2016, 442 ff. Rz. 62 f., «Nikon AG».

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