sic! 06/2017
Der Verfügungsantrag im Kartellverwaltungsverfahren
VI. Akteneinsicht der am Verfahren Beteiligten in den Verfügungsantrag 1. Überblick über die am Verfahren Beteiligten Gemäss Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG können die amVerfahren Beteiligten schriftlich zumVerfügungsantrag des Sekretariats Stellung nehmen. Am Verfahren Be teiligte sind grundsätzlich die Unter suchungsadressaten, mithin die Haupt- parteien. Weiter können nach Art. 43 Abs. 1 KG i.V.m. Art. 28 Abs. 2 KG bestimmte darin abschliessend auf gezählte Dritte ihre Beteiligung an der Untersuchung nach Art. 27 ff. KG an- melden 82 . Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dabei zwischen Dritten mit und ohne Parteistellung zu unterscheiden, wobei sich die Partei- stellung nach den Voraussetzungen von Art. 6 VwVG i.V.m. Art. 48 VwVG beur- teilt 83 . Zu untersuchen ist nachfolgend, ob der Verfügungsantrag sämtlichen 82 Botschaft zu einem Bundesgesetz über Kar- telle und andere Wettbewerbsbeschränkun- gen (Kartellgesetz, KG) vom 23. November 1994 BBl 1995 468 ff., 616; Bilger (Fn. 34), 218. Die «Anmeldung» nach Art. 28 Abs. 2 KG ist nicht etwa eine einseitige prozess gestaltende Willenserklärung. Die interes- sierten Rechtssubjekte bringen damit ledig- lich zum Ausdruck, dass sie sich an der Untersuchung beteiligen wollen. Dies ergibt sich zwingend aus demRegelungszweck von Art. 43 Abs. 1 KG, Popularverfahren vor den Wettbewerbsbehörden zu verhindern. Demzufolge haben die Wettbewerbsbehör- den nach erfolgter Anmeldung stets zu prü- fen, ob die Beteiligungsvoraussetzungen nach Art. 43 Abs. 1 KG erfüllt sind. Das Sekretariat teilt die Entscheidung praxis gemäss in einem einfachen Verwaltungs- schreiben mit. Ist die Verfahrensbeteiligung umstritten, erlässt das Sekretariat auf Antrag zusammenmit einem Präsidiumsmitglied der WEKO eine verfahrensleitende Verfügung nach Art. 23 Abs. 1 KG; vgl. RPW2012, 74 ff. Rz. 81, «Vertrieb von Tickets im Hallen- stadion Zürich». 83 BGE 139 II 328 E. 4.3. Demnach gelten einer- seits die Untersuchungsadressaten und an- dererseits Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht, als Parteien.
betreffend die Unterlassung der geplan- ten (widerrechtlichen) Information der Öffentlichkeit zu verlangen 76 . Die An- kündigung sollte schriftlich erfolgen, den Inhalt der geplanten Veröffent lichung im Wortlaut wiedergeben, das genaue Datum enthalten und das Ver- öffentlichungsmedium bezeichnen 77 .
von der Bekanntgabe des Versands des Verfügungsantrags an die Untersu- chungsadressaten ist abzusehen, da diese gemäss Art. 30 Abs. 2 lit. c VwVG in der Praxis grundsätzlich nur bei be- lastenden Verfügungsanträgen Gele- genheit zur Stellungnahme erhalten 79 . ImErgebnis ist daher zur Wahrung der Unschuldsvermutung eine restrik- tive Informationspolitik der Wettbe- werbsbehörden geboten, und personen- bezogene Daten sind nur mitzuteilen, soweit diese bereits im Rahmen der amtlichen Publikation nach Art. 28 KG in zulässiger Weise offengelegt wur- den 80 . Die bisher auf der Grundlage von Art. 49 KG veröffentlichtenMedienmit- teilungen und Jahresberichte der Wett- bewerbsbehörden beachten diese Infor- mationsschranken nur unzureichend und sind insoweit mangels Rechts- grundlage überschiessend 81 . litik imZusammenhang mit demVerfügungs- antrag ist vor diesemHintergrund besonders restriktiv zu gestalten. 79 Vgl. BGer vom 17. Juni 2003, 2A.492/2002, E. 3.2.1; Zirlick/Tagmann (Fn. 39), KG 30 N 4, 16. 80 Ähnlich Waser (Fn. 30), 169 ff.; vgl. auch BVGer vom 19. Dezember 2013, B-506/2010, E. 6.4.3. Das Gericht verneinte eine Verlet- zung der Unschuldsvermutung, weil in den zu beurteilendenMedienankündigungen des stellvertretenden Direktors des Sekretariats «keine konkreten Informationen zum Verfah rensstand oder den Untersuchungsergebnissen» preisgegeben wurden. 81 Klargestellt sei, dass Veröffentlichungen im Zusammenhang mit dem Verfügungsantrag auch nicht als verfahrensleitende Verfügun- gen im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 1 KG qua- lifiziert werden können. Es handelt sich näm- lich zum einen um einen Realakt und zum anderen nicht um Mittel zur Durchführung der Untersuchung; vgl. BVGer B-3588/2012 vom 15. Oktober 2014 E. 2.2.
4. Zulässiger Umfang der Informationstätigkeit
Aus den vorgenannten Verfahrensga- rantien ergeben sich nach der hier vertretenen Ansicht die folgenden all gemeinen Grundsätze für die Informa tionstätigkeit der Wettbewerbsbehör den. Zulässig sind Mitteilungen an die Öffentlichkeit über den Abschluss der Ermittlungen, den Versand des Ver fügungsantrags an die WEKO und das voraussichtliche Datum des Entscheids. Von Art. 49 Abs. 1 KG nicht ge- deckt sind dagegen Angaben zu den gemäss Verfügungsantrag festgestellten Kartellverstössen, den daran beteiligten Unternehmen oder den beantragten Sanktionen bzw. Massnahmen 78 . Auch zuständig. Im Zusammenhang mit der Zu- ständigkeit für den Erlass einer Publikations- verfügung nach Art. 48 Abs. 1 KG hielt es das Bundesverwaltungsgericht für nicht ausge- schlossen, dass diese Aufgabe «reglementa risch oder im Einzelfall in Vertretung» durch das Sekretariat wahrgenommen wird; vgl. BVGer vom 15. Oktober 2014, B-3588/2012, E. 2.2. 76 Vgl. Häner (Fn. 71), VwVG 25a N 37; Wald- mann/Bickel (Fn. 72), VwVG 29 N 38 Fn. 102. 77 Wird die Öffentlichkeit über den Verfügungs- antrag ohne Vorabinformation der am Ver- fahren Beteiligten unterrichtet, kann von der WEKO nach den Voraussetzungen des Art. 25a Abs. 1 lit. c VwVG die Feststellung der Widerrechtlichkeit begehrt werden. 78 Es können aber solche Informationen mitge- teilt werden, die bereits imRahmen der amt- lichen Publikation der Untersuchungseröff- nung nach Art. 28 KG offengelegt wurden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass aufgrund dieser bereits bekannten Informationen Rückschlüsse auf die Untersuchungsadressa- ten erleichtert werden. Die Informationspo-
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