sic! 06/2017

Frank Bremer  |  Désirée Stebler

4. Schutz des Verfügungsantrags vor Weitergabe an die Öffentlichkeit? Ein von denWettbewerbsbehörden bis- her weithin ignoriertes Problem ist die Weitergabe des Verfügungsantrags an die Medien und die damit einher­ gehende Weiterverbreitung in der Öffentlichkeit. Wie die Praxis zeigt, handelt es sich dabei keinesfalls um ein nur theoretisches Problem 108 . Die Gefahr gezielter Indiskretio- nen besteht insbesondere bei den am Verfahren beteiligten Wettbewerbern der Untersuchungsadressaten. Diese können interessiert sein, die öffentliche Meinung durch das Bekanntwerden der im Verfügungsantrag enthaltenen Vor- würfe zu ihren Gunsten zu beeinflus- sen. Dies birgt für die Untersuchungs- adressaten nicht nur erhebliche Repu- tationsrisiken im Geschäftsverkehr, sondern kann vor allem auch einen bedeutsamen Sanktionierungsdruck auf die WEKO erzeugen. Nach Ansicht der Wettbewerbsbe- hörden können diese für Veröffent­ lichungen des Verfügungsantrags in den Medien nicht verantwortlich gemacht werden 109 . Entsprechend wurden die amVerfahren Beteiligten soweit ersicht- lich bisher nicht zur Geheimhaltung des Verfügungsantrags verpflichtet. Fraglich ist, ob für die Wettbe- werbsbehörden überhaupt eine dies­ bezüglich rechtliche Handhabe be- stünde. Eine die Geheimhaltung des Verfügungsantrags ausdrücklich anord- nende Bestimmung lässt sich dem Ge-

mittlungsergebnis wesentlich sind und gegebenenfalls durch Auskunftsbegeh- ren an die Hauptbeteiligten oder Dritten mit Parteistellung erlangt werden könn- ten. Im Zusammenhang mit einer effi- zienten Verfahrensführung ist unter anderem nach allfälligen übermässigen Verfahrensverzögerungen zu fragen. Eine allenfalls erforderliche umfas- sende Geschäftsgeheimnisbereinigung kann insoweit gegen eine Möglichkeit zur Stellungnahme Dritter ohne Partei- stellung sprechen. Hinsichtlich der Betroffenheit ist danach abzustufen, ob Dritte ohne Parteistellung in der Vergangenheit ins- besondere durch eigene Eingaben ein besonderes Interesse am Ausgang des Verfahrens gezeigt haben. Im Falle eines Verbands spielt es eine Rolle, ob dieser eine Mehrzahl seiner Mitglieder oder nur Partikularinteressen vertritt 106 . Relevant ist schliesslich, ob sich mit der Weitergabe des Verfügungsantrags unmittelbare Reputationsrisiken erge- ben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es sich bei den Dritten ohne Par- teistellung umAbnehmer oder Lieferan- ten der Hauptparteien handelt und in Bezug auf diese geschäftsschädigende Kommunikation im Verfügungsantrag offengelegt wird 107 . Insoweit ist in Erin- nerung zu rufen, dass im Zeitpunkt der Zusendung des Verfügungsantrags an die am Verfahren Beteiligten die Sachverhaltsermittlungen grundsätz- lich noch nicht abgeschlossen sind und unter dem Vorbehalt einer Korrektur durch das Sekretariat selbst und der WEKO stehen. 106 Für die Frage der Drittbeteiligung als solche ist dieser Aspekt dagegen nicht massgeblich; vgl. Bilger (Fn. 98), KG 43 N 16. 107 Gemäss BGE 142 II 268 E. 5.2.2.3 können geschäftsschädigende Originalzitate aus in- terner Unternehmenskommunikation, die einen kartellrechtswidrigen Inhalt aufwei- sen, grundsätzlich nicht als Geschäftsge- heimnis geschützt werden.

setz nicht entnehmen 110 . Allerdings sind die Wettbewerbsbehörden gemäss Art. 25 Abs. 1 KG und Art. 320 StGB 111 zur Wahrung des Amtsgeheimnisses 112 verpflichtet. Solange die im Ver­ fügungsantrag enthaltenen Informa­ tionen noch nicht nach Massgabe der entsprechenden Bekanntgabebestim- mungen (insbesondere Art. 28, Art. 48 und Art. 49 KG 113 ) veröffentlicht wur- den, unterstehen diese daher grund- sätzlich demAmtsgeheimnis 114 . Rechts- grundlage für die Anordnung einer Geheimhaltungsverpflichtung wäre nach der hier vertretenen Auffassung Art. 23 Abs. 1 KG 115 . Die Zustellung des Verfügungsantrags an die amVerfahren Beteiligten ist gemäss Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG eine Verfahrenshandlung im Rahmen der Untersuchung. Mit der Geheimhaltungsverpflichtung wird die ordnungsgemässe Einräumung des rechtlichen Gehörs unter Wahrung des 110 In Art. 31 Abs. 4 aKG 85 war eine solche Ge- heimhaltungspflicht für den «Bericht» der Kartellkommission noch normiert und deren Beachtung gemäss Art. 40 lit. b aKG 85 straf- bewehrt. 111 Zum Verhältnis siehe S. Bangerter, in: M. Amstutz/M. Reinert (Hg.), Kartellgesetz, Basel 2010, KG 25 N 6. 112 Da die Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen praxisgemäss bereits im Ver- fügungsantrag bereinigt werden, geht es vor allem um Dienstgeheimnisse der Wettbe- werbsbehörden (Bangerter [Fn. 111], KG 25 N 13), worunter insbesondere auch die rechtlicheWürdigung und das Dispositiv des Verfügungsantrags gehören. 113 Art. 30 Abs. 2 S. 1 KG bietet insoweit gerade keine rechtliche Grundlage für die Veröffent- lichung des Verfügungsantrags. 114 Wohl ähnlich Bangerter (Fn. 111), KG 25 N 19; RPW 2010, 703 ff. Rz. 22, «Hors-Liste Medikamente: Verfügung betreffend Ge- schäftsgeheimnisse/Publikation». 115 Art. 30 Abs. 1 KG betrifft demgegenüber ver- fahrensabschliessende Verfügungen und scheidet daher als Anordnungsgrundlage aus. Im Übrigen ist der Zweck solcher Mass- nahmen die Beseitigung der von den Wett- bewerbsbehörden festgestellten Wettbe- werbsbeschränkung; vgl. Zirlick/Tagmann (Fn. 5), KG 30 N 59; Bilger (Fn. 34), 359 f.

108 Vgl. RPW2008, 85 ff. Rz. 65, «Strassenbeläge Tessin»; NZZ vom 31. Juli 2015, Nr.175, 28 «Vom Stadion in die Stube: Wie die Übertra- gungsrechte für Live-Sport zu einem strate- gischen Trumpf imKampf der Telekomunter- nehmen wurden». 109 Vgl. RPW2008, 85 ff. Rz. 65, «Strassenbeläge Tessin».

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