sic! 06/2017

Der Verfügungsantrag im Kartellverwaltungsverfahren: Die Schranken der Informationstätigkeit der Wettbewerbsbehörden F rank B remer *  |  D ésirée S tebler **

I. Vorbemerkungen und Problemaufriss

Das Bundesgericht hat in seiner jüngs- ten Rechtsprechung weitgehende In- formationsbefugnisse der Wettbe- werbskommission in Bezug auf die Publikation einer kartellrechtlichen Sanktionsverfügung angenommen. Schon vor Abschluss des Kartellver- waltungsverfahrens können den Un- ternehmen durch das Bekanntwerden des Verfügungsantrags erhebliche Geschäftsnachteile drohen. Der vor- liegende Beitrag beleuchtet unter Be- rücksichtigung der genannten bun- desgerichtlichen Rechtsprechung die diesbezüglichen Schranken der Infor- mationstätigkeit der Wettbewerbsbe- hörden und plädiert für eine restrik- tive Verwaltungspraxis. Dans sa jurisprudence récente, le Tri- bunal fédéral a reconnu des compé- tences assez étendues à la Commis- sion de la concurrence en ce qui concerne la publication d’une déci- sion de sanction en matière de droit des cartels. Même avant la conclusion de la procédure administrative de droit des cartels, la publication de la proposition du Secrétariat peut expo- ser les entreprises à de graves dés­ avantages commerciaux. Le présent exposé traite des barrières aux acti- vités d’information des autorités en matière de concurrence, en tenant compte de la jurisprudence mention- née du Tribunal fédéral et plaide en faveur d’une pratique administrative restrictive.

I. Vorbemerkungen und Problemaufriss Der Verfügungsantrag im Untersuchungsverfahren der Wettbewerbsbehörden III. Die bisherige Veröffentlichungspraxis der Wettbewerbsbehörden IV. Allfällige Rechtsgrundlage für eine Veröffentlichung von Verfügungsanträgen 1. Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage 2. Art. 48 KG gilt nur für Endverfügungen 3. Art. 49 KG erlaubt keine personenbezogene Öffentlichkeits­ arbeit 4. Art. 19 Abs. 1 bis DSG tritt wegen bereichsspezifischer Regelung des KG zurück 5. Art. 30a Abs. 1 VwVG im Kartellverwaltungsverfahren nicht anwendbar 6. Geschäftsreglement keine ausreichende gesetzliche Grundlage V. Vereinbarkeit der Informations­ tätigkeit mit Verfahrensgarantien 1. Beachtung der Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK 2. Wahrung des Anspruchs auf ein faires Verfahren 3. Einräumung des rechtlichen Gehörs 4. Zulässiger Umfang der Informations- tätigkeit VI. Akteneinsicht der am Verfahren II. Beteiligten in den Verfügungsantrag 1. Überblick über die am Verfahren Beteiligten 2. Praxis des Sekretariats und Lehre betreffend Dritte ohne Parteistellung uneinheitlich 3. Eingeschränktes rechtliches Gehör von Dritten ohne Parteistellung? 4. Schutz des Verfügungsantrags vor Weitergabe an die Öffentlichkeit?

Sanktionsverfügungen der Wettbe- werbskommission (WEKO) haben für dieWirtschaftstätigkeit der betroffenen Unternehmen einschneidende Folgen. Neben der oft millionenschweren Sank- tionshöhe ist dies vor allem ihre Pran- gerwirkung in der Öffentlichkeit. An­ gesichts des strafrechtsähnlichen Cha- rakters wirken sie für die Unternehmen de facto wie eine selbständige Sanktion 1 . In der Vergangenheit ist daher die dies- bezügliche Informationstätigkeit der Wettbewerbsbehörden immer stärker in den kartellrechtlichen Fokus gerückt. Das Bundesgericht hat der WEKO im «Nikon»-Entscheid 2 betreffend die Publikation einer Verfügung weitrei- chende Informationsrechte gegenüber der Öffentlichkeit zugebilligt. Insbeson- dere seien Tatsachen, welche das kar- tellrechtswidrige Verhalten belegen, nicht geheimhaltungswürdig 3 . Im Er-  3 Vgl. BGE 142 II 268 E. 5.2.2.3. Die Frage, ob bestimmte Darstellungen notwendig sind, um ein kartellrechtswidriges Verhalten zu begründen bzw. zu belegen, dürfte entgegen dem Bundesgericht indes nicht die Geheim- haltungswürdigkeit, sondern das insoweit bestehende öffentliche Interesse an der Pu- blikation beschlagen. Das vorinstanzliche Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Sinne darauf hingewiesen, dass ein Unter- schied zwischen der Begründungspflicht und dem öffentlichen Interesse an der Publika- tion bestehen könne. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Begründung über ihre Erklärungsfunktion hinausgehe und  1 Vgl. BVGer vom 12. Dezember 2013, B-6180/2013, E. 3.  2 BGE 142 II 268.

Zusammenfassung  |  Résumé

* Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt, Zürich. ** Rechtsanwältin, Zürich.

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