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SCHWEIZER GEMEINDE 4 l 2016

11

POLITIK

tengünstig und gemäss den Bedürfnis-

sen der Bürgerinnen und Bürger anbie-

ten. Diese Vorgabe legt der Bundesrat

mit den sogenannten strategischen Zie-

len fest.

Was ist der Vorteil von Quersubventio-

nierungen auf Bundesebene, einer Pra-

xis, die gemäss den Initianten verbo-

ten werden sollte?

Es ist üblich, dass wenig rentable Berei-

che der Grundversorgung über die Ge-

winne aus anderen Bereichen finanziert

werden. Dadurch ermöglichen wir ein-

heitliche Preise – zum Beispiel bei der

Post: Ein Brief von Bümpliz ins Berner

Länggassquartier kostet gleich viel wie

ein Brief von Genf nach Poschiavo. An-

ders gesagt: Der Gedanke des Service

public basiert auf Ausgleich und Solida-

rität. Mit ihremAngriff auf die Querfinan-

zierung untergraben die Initianten diese

Werte.

Welches wären die Konsequenzen bei

Initiativannahme?Wie könnte der

Bund die ausfallenden Quersubventio-

nierungen kompensieren, um weiterhin

eine gute Grundversorgung zu garan-

tieren?

Würden die Unternehmen bei der Grund-

versorgung keine Gewinne mehr an den

Bund ausschütten, müssten die Ausfälle

mit Steuererhöhungen oder einem Leis-

tungsabbau kompensiert werden. Beides

ist nicht erwünscht und schlecht für die

Bürger. Halten wir uns die Zahlen vor

Augen: Swisscom, Post und SBB haben

2014 rund 500Millionen Franken Gewinn-

steuern bezahlt. Zudem hat der Bund als

Aktionär von Swisscomund Post Dividen-

den im Umfang von 780 Millionen Fran-

ken erhalten. Diese Erträge fliessen heute

in den öffentlichen Haushalt und werden

für wichtige Aufgaben eingesetzt. Die

Initianten nehmen in Kauf, dass diese

Einnahmen rückläufig würden.

Wird es auch bei Kantonen und Ge-

meinden zu Einnahmeausfällen kom-

men?

Es ist davon auszugehen, dass auch die

Kantone Einbussen bei den Gewinnsteu-

ern hinnehmen müssten.

Gemäss den Initianten verdienen ge-

wisse Kader von Service-public-Unter-

nehmen drei Mal so viel wie ein Bun-

desrat. Sind Sie der Meinung, dass

diese Löhne angemessen sind?

Ich vergleiche meinen Lohn nicht mit

dem Lohn der Chefs dieser Unterneh-

men. Wir erfüllen ja unterschiedliche

Aufgaben. Seien wir uns bewusst: Die

Initiative betrifft nicht nur CEO, sondern

sämtliche Angestellten der Service-pub-

lic-Unternehmen. Diese stehen auf dem

Arbeitsmarkt in Konkurrenz um die bes-

ten Fach- und Führungskräfte. Die Löhne

orientieren sich an der jeweiligen Bran-

che im In- und Ausland. Müssten die Un-

ternehmen die Lohnvorschriften der Ini-

tiativebefolgen,müssten sie ihr gesamtes

Lohngefüge an das der Bundesverwal-

tung anpassen. Damit hätten sie viel

mehr Mühe, die Spezialisten zu rekrutie-

ren, auf die sie angewiesen sind – denken

wir etwa an Bankfachleute oder Soft-

wareentwickler. Darunter würde die Qua-

lität des Service public auf lange Sicht

leiden.

Vermuten Sie, dass gewisse Regionen

stärker unter einer Annahme der Initia-

tive leiden werden als andere Regio-

nen?

Zumindest würde es für die Unterneh-

men, welche die Grundversorgung er-

bringen, aus den erwähnten Gründen

nicht einfacher, alle Regionen gleich gut

zu versorgen. Dieser Grundsatz ist aber

mit der geltenden Gesetzeslage garan-

tiert. Der Anreiz, sich vor allem auf das

zu konzentrieren, was profitabel ist, wäre

mit einem Ja zur Initiative grösser.

Stellt die Initiative die flächendeckende

Grundversorgung, welche in gleicher

Qualität und zu erschwinglichem Preis

jeder Bürgerin und jedem Bürger zur

Verfügung steht, infrage?

Ich warne davor, die Folgen einer An-

nahme dieser Initiative zu unterschät-

zen. Gerade weil der Service public ein

Markenzeichen unseres Landes ist, müs-

sen wir ihm Sorge tragen. DieseAufgabe

nehmen die Unternehmen und die Poli-

tik verantwortungsvoll wahr. Verbesse-

rungen und Anpassungen sind stete

Aufgaben.

Die Initianten behaupten, dass die Ge-

winne der bundesnahen Betriebe ste-

tig ansteigen, während die Qualität der

Dienstleistungen ständig abnimmt.

Was halten Sie von dieser Aussage?

Ich bin stolz auf die Leistungen der bun-

desnahen Unternehmen und bedaure,

dass die Initianten das hohe Niveau die-

ser Arbeit nicht anerkennen. Selbstver-

ständlich kann der Service public immer

noch besser werden – der Bundesrat

erwartet ja auch, dass Swisscom, Post

und SBB ihre Dienstleistungen stetig zu-

gunsten der Bedürfnisse der Bevölke-

rung weiterentwickeln. Aber dafür benö-

tigen sie Freiraum und finanzielle Mittel,

die ihnen die Initiative wegnehmen

würde.

Interview: Vincent Gillioz, SAB/

Philippe Blatter

Informationen:

www.servicepublic.ch

Schüler steigen in Bellinzona aus Postautos aus. Die Qualität der Service-public-

Bild: zvg

Leistungen in der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr hoch.