Alles auf Anfang
M
ann, ich freue mich dieses Jahr wirk-
lich besonders auf die bevorstehende
Golfsaison.
W
ährend ich sehnsüchtig
aus demFenster auf die tiefverschneite
Winterlandschaft blicke, breitet sich ein glorifizieren-
der Schleier über die Erinnerungen an die vergangene
Saison, der selbst den Nachhall der bittersten Golf-
momente in einemMeer aus süßemPuderzucker
erstickt. Anders ließe sich auch kaum ertragen, dass
ich seit gefühlten 100 Jahren in einer Art Zeitschleife
des Wahnsinns gefangen bin, gegen die sich der Film
„Und täglich grüßt das Murmeltier“ wie ein durchaus
erstrebenswerter Ist-Zustand ausnimmt. Denn ich
weiß heute schon, wie mein Golfjahr ablaufen wird:
I
mFrühjahr begebe ich mich (wie immer) in ein
Golftrainingslager, um denWinterrost abzuschütteln.
Meist an einem verlängertenWochenende arbeite ich
unter professioneller Anleitung akribisch an allen
Aspektenmeines Spiels. Ich schwinge mit der Leichtig-
keit einer Elfe, während die präzise geschlagenen Bälle
schwindelerregende Distanzen zurücklegen. Nach
Abschluss des Programms benötige ich imRegelfall
kaummehr als zwanzig unbeaufsichtigte Minuten
auf der Driving Range, um jedweden Effekt dieses
Intensivtrainings rückgängig zu machen.
A
lso versuche ich, das Problemmit Geld zu bewer-
fen und gehe shoppen – bevorzugt einen neuen Driver.
Hier gilt das ungeschriebene Golfgesetz: „Solange der
Schläger nicht bezahlt wurde, ist es unmöglich, damit
einen schlechten Schlag zu produzieren.“ Nach dem
Geldtransfer hingegen sinkt die Performancekurve
meines Neuzugangs schlagartig gen Nullpunkt – die
Faustformel dazu: „Je teurer die Hardware, desto
schneller mutiert sie zur lahmen Ente.“ Erstaunlicher-
weise funktioniert nun aber jeder x-beliebige Driver
hervorragend, den ich mir spontan von einemMit-
spieler ausborge. Vor ein paar Jahren hatten ich und
einige meiner gleichsam verfluchten Golfkumpel
eine Idee, wie wir diesen Teufelskreis durchbrechen
könnten. Direkt nach demKauf haben wir uns einfach
gegenseitig unsere neuerworbenen Schläger „ausge-
liehen“. Und was soll ich Ihnen sagen – selbstredend
verweigerten nun alle Driver kollektiv den Dienst.
Zudem begann die Erde zu beben und ein Schläger-
kopf fing sogar Feuer. Seither weiß ich, dass es keine
gute Idee ist, sich mit den Golfgöttern anzulegen.
E
gal, wie viel und gut ich zu spielen glaube, auch
2016 werde ich wieder ein weiteres (für mich schon
lange nicht mehr) erstaunliches Phänomen beobach-
ten können: In so ziemlich jeder Privatrunde unter-
spiele ich mein Handicap souverän umwenigstens
ein bis fünf Schläge. Bei jeder Turnierteilnahme
hingegen verfehle ich die Unterspielung um ein
bis fünf Schläge. Dadurch verschlechtert sich mein
Handicap um knapp einen Schlag, bis ich den Verlust
plötzlich und unerwartet wieder wettmache. An-
schließend geht der Kreislauf von vorne los. AmEnde
jedes Jahres hat sich meine Spielvorgabe dann nach
ca. 20 bis 30 vorgabewirksamen Runden ummaximal
0,5 Handicap-Punkte nach oben oder unten ver-
schoben. Unter dem Strich oszilliere ich seit nunmehr
zehn Jahren innerhalb eines einzigen Schlages und
spiele imGrunde auch immer die gleiche Golfrunde.
E
s erstaunt mich jedoch immer noch, dass diese
höhere Macht, die mich offenbar zu einemDasein in
einem golferischen Hamsterrad verdammt hat,
nicht müde wird, über die immer gleichen Scherze zu
lachen (die Sie sicher auch allesamt zur Genüge
kennen). Mit schöner Regelmäßigkeit liegt mein Ball
nach einem Schlag ins Grün direkt an oder auf dem
Loch – bevorzugt auf einemPar 3. Ja, das ist kein
Schreibfehler. Der Ball liegt nämlich auf(!) dem
kreisrunden Rasenstück, das davon zeugt, wo sich die
letzte Fahnenposition vor demVersetzen des Lochs
durch die Greenkeeper befunden hat. Oder dieser
Klassiker: Unweigerlich folgt auf einen Totalschaden-
Drive, der den Ball über die Ausgrenze in dieWalachei
befördert, in 100 von 100 Fällen ein Traumschlag
(urkomisch). Außer natürlich im Zählspiel, da ist man
solange gezwungen Bälle nachzuladen, bis der
Gesamtscore eine Größenordnung erreicht hat, die
kollektiven Hohn und Spott imClubhaus unumgäng-
lich macht. Auch beliebt: Wenn es darum geht, auf
der 18. Bahn den Schonbereich respektive die Unter-
spielung zu erreichen, stellt offenbar das unerwartete
Auslippen eines auf die Lochmitte zurollenden Balls
den humoristischen Höhepunkt der golfgöttlichen
Erheiterung dar. Mann, wie ich diesen Sport hasse!
D
och wenn ich so aus demFenster blicke, sehe ich,
dass ein paar Sonnenstrahlen zwischen denWolken
hervorblitzen. Mein Blick verschleiert sich und ich
denke mir: „Ich bin bereit, ich bin bereit . . .“
GT
»Seit gefühlten
100 Jahren bin
ich in einer Art
Zeitschleife des
Wahnsinns
gefangen, gegen
die sich der Film
„Und täglich grüßt
das Murmeltier“
wie ein durchaus
erstrebenswerter
Ist-Zustand
ausnimmt«
GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN
Autor des essenziellen Leitfadens
durch die Welt des Golfwahn-
sinns in Buchform: „Golf oder gar
nichts!“ Für ihn ist die kommende
Saison definitiv schon gelaufen . . .
GÖTZ
ZITAT
www.golftime.deGOLF TIME
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1-2016
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