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SCHWEIZER GEMEINDE 11 l 2016

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Strahlende Zukunft?

Gemeinden wie Döttingen und Leibstadt werden in der

Abstimmungsgrafik tiefrot aufleuchten, wenn am 27. November

die Zukunft der Atomenergie an der Urne besiegelt wird. Hier, im

«Zurzibiet», wo das Herz der Schweizer Kernkraft schlägt,

erwartet man die Entscheidung mit einer Mischung aus

Gelassenheit und Unverständnis. Ein Lagebericht.

Wer in der Gemeindeverwaltung von

Leibstadt die Blase entleert, blickt, vor-

bei an Kirchturm und ziegelbedachten

Altstadthäusern, auf 144 Meter Beton.

Das Dachfenster der Toilette gibt den

Blick frei auf den Kühlturm des Kern-

kraftwerks Leibstadt, kurz KKL, ein be-

waffneter Sicherheitsmann patrouilliert

im Grün, das sich um den Meiler er-

streckt. Und erkannte man von hier den

Rhein, sähe man auch die Nebelschwa-

den, die über ihm hängen. Das KKL ist

der Grund, wieso man Leibstadt ausser-

halb des Zurzibiets überhaupt kennt.

Leibstadt, das weiss auch der Gemein-

deammann, ist gleich Kernkraftwerk.

«Und das ist gut so.» Hanspeter Erne, 48,

und ebendieser Gemeindeammann, ein

zugänglicher Typ mit einem breiten La-

chen, ist erst seit diesem Sommer im

Amt. Heute sei ein schlechter Tag, sagt

er – trotz sonnigen Spätherbstwetters.

Denn aus dem Kühlturm, dem gewöhn-

lich pro Sekunde 720 Kilo Wasserdampf

entsteigen, ragt heute keine Säule in den

Himmel. Die Turbinen stehen still und

mit ihnen 17 Prozent der Schweizer

Stromproduktion. Die Jahreshauptrevi-

sion, die im August angegangen wurde,

dauert anstatt der veranschlagten vier

Wochen voraussichtlich bis im Februar;

bei acht Brennelementen waren Verfär-

bungen entdeckt worden, eine Gefähr-

dung – für Mensch und Umwelt – hat

gemäss Kraftwerkbetreiberin Axpo

nicht bestanden.

«Panik wäre sinnlos»

Wenn es umdas KKL geht, ist Hanspeter

Ernes Position eindeutig: «Kernkraft

jawohl!» Das war schon so, lange bevor

ihn die Gemeindebelange von Amtes

wegen betrafen. Und verstärkt sich

hinsichtlich der Abstimmung zur Atom-

ausstiegsinitiative, über die die Schweiz

am 27. November an der Urne befindet.

Sollte die Initiative eine Mehrheit finden,

müsste das KKL 2029 per Verfassung

vom Netz. Das wären: 13 Jahre Vor-

bereitung. Und 13 Jahre, nicht in Panik

zu verfallen. «Darum lässt mich die Ab-

stimmung zwar nicht kalt, aber Panik

wäre verfehlt und sinnlos.» Er verlasse

sich auf das Stimmvolk, das wohlüber-

legt und massvoll entscheiden werde,

nicht nur wirtschaftlich gesehen. Damit

meint er den Vorteil der Bandenergie,

die konstant fliesst, während Wind- und

Sonnenenergie stete Ausschläge nach

oben und unten zeichnet.

Ein Viertel der Steuereinnahmen

Wer verstehen will, was dieser unver-

blümten Fürsprache zugrunde liegt,

könnte einen Blick in die Leibstädter Ge-

meindefinanzen werfen. Sie belegen,

dass das KKL rund einen Viertel der

Steuereinnahmen beisteuert, indirekt

kommt ein namhafter Betrag dazu. Blickt

man 10, 15 Jahre zurück, war es fast das

Doppelte. Leibstadt zählt vor allem we-

gen des KKL, in dem rund 500 Personen

beschäftigt sind, 1000 Arbeitsplätze, und

das bei 1300 Einwohnern. Arbeitsplätze,

auf die man angewiesen sei, sagt Erne.

Das Dorf, das die Stadt im Namen trägt,

war ein Bauerndorf, klein, arm und un-

bedeutend. Nur dank des KKL, das 1984

ans Netz ging, konnte es Mittel in Ge-

bäude und Infrastruktur pumpen, die

nicht vorhanden gewesen wären, und

sich zu einer weitgehend begüterten

Gemeinde entwickeln – frei von Schlag-

löchern und maroden Wasserrohren.

«Pro Leibstadt» für Kultur und mehr

Noch bevor das Kraftwerk die erste Ki-

lowattstunde Strom produzierte, wurde

die Stiftung «Pro Leibstadt» gegründet.

Das KKL äufnet sie jährlich mit gewinn-

unabhängigen Beiträgen. Daraus wer-

den die hiesigen Alterswohnungen be-

trieben, Stipendien erteilt, Kulturelles

gefördert, Gemeinnütziges ermöglicht.

Auch die Nachbargemeinden erhalten

vom KKL jährliche Zuwendungen, Be-

träge, auf die man nur ungern verzichten

würde. Trotzdem verwehrt sich Hanspe-

ter Erne dem Etikett, ein wohlhabendes

Pflaster zu präsidieren: «Das KKL hat

massgeblich zum Wohlstand unserer

Gemeinde beigetragen, und die Kern-

kraft ist der Treiber in unserer Region.

Aber reich? Das sind wir nicht. Dafür si-

cher; absolut sicher.»

POLITIK

«Leibstadt ist nicht Fukushima. Da kannWasser kom