CellitinnenForum_04_20

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04 | 2020

CellitinnenForum

Zeitschrift der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria

HEIMAT

Danke!

Das Jahr 2020 hielt besondere Herausforderungen für uns bereit. Wir möchten uns von ganzem Herzen für Ihre Verbundenheit und Unterstützung als Seniorenhausbewohner, Angehöriger, Patient, Mitarbeiter, Partner, Freund, Ratgeber und Begleiter in diesem so schwierigen Jahr bedanken. Ihnen und Ihren Lieben wünschen wir ein gesegnetes und gnadenreiches Weihnachtsfest, Gesundheit und alles Gute für das kommende Jahr.

Ihre

Cellitinnen zur hl. Maria Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria

WILLKOMMEN

Als wir uns in der Redaktionskonferenz intensiv mit dem Thema Heimat auseinandersetzten, stand ich unweigerlich vor der Frage: Was verbinde ich eigentlich mit Heimat? Das Elternhaus, die Stadt Troisdorf, Freunde aus der Schulzeit und der Gemeinde St. Hippolytus mit den Messdienergruppen und Jugendfreizeiten prägten meine Identität, gaben mir Halt und Sicherheit. Später hinzu kamen meine eigene Familie, mein Beruf, unsere Freunde und Willkommen

Nachbarn im Bergischen, bei denen ich mich heimisch, also wohl, sicher, verwurzelt und verstanden füh- le. Eine Heimat mit Entwicklung, aber ohne Brüche, könnte man sagen. Biografien wie meine sind heute nicht mehr selbst- verständlich. Die Gesellschaft ist mobiler geworden.

Einige der in Deutschland leben- den Menschen sind nur auf der Durch- reise, andere müssen oder mussten hier erst Wurzeln schlagen. Durch sie ist der Begriff Heimat nicht mehr nur an einen Ort gebunden, sondern beinhaltet Beziehungen zu verschiede- nen Erfahrungen, Menschen, Landschaften oder

Biografien wie meine sind heute nicht mehr selbstverständlich.

Sprachen. Das fanden wir spannend. Und so fragten wir für diese Ausgabe in Deutschland geborene oder später zu uns gekommene Mitarbeiter und Seniorenhausbewohner, was sie unter Heimat ver- stehen oder wo sie Heimat finden. Viele Christen verbinden mit Heimat in der bevorstehenden Win- terzeit das Weihnachtsfest. Sie fahren an den Festtagen zu den El- tern, Kindern und Verwandten. Allerdings wird sich in diesem Jahr für viele die Frage stellen: Zusammen feiern – oder die Familie schützen?

Wie auch immer Sie diese Frage beantworten: Ich wünsche Ihnen gesegnete und gesunde Festtage!

Herzlichst

Thomas Gäde, Geschäftsführer der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria

Foto: Melanie Zanin

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3

INHALT

Inhalt

28 20

16

Foto: Kai Fuck

F ORUM

F UNDAME N T

6 9

28 Wir werden Sie vermissen! 31 Abschied und Neubeginn 32 Legendäre Reliquie besucht Senioren 33 Wo soll die letzte Heimat sein?

Meldungen

Porträt: Bettina Frings

T H EMA

12 Heimat ist für mich ... 14 Zuhause ist es am Schönsten?! 16 Wo bin ich verwurzelt? 17 Neu vor Anker gehen 18 Im Seniorenhaus Heimat finden 19 Demenz und das Zuhause-Gefühl 20 Wuppertal – Liebe auf den zweiten Blick 22 Traditionen pflegen 24 Weihnachtlicher Dialektatlas

KOMP E T E N Z

38 „Ich kann meinen Enkeln heute vorlesen“ 40 Amputationen verhindern 41 Faszination Medizintechnik 42 Wie kommt das Essen ans Krankenbett? 44 Aneurysmabehandlung ohne Hautschnitt 46 Vielfalt und Perspektive

4

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INHALT

68

50

ME N S CH E N 62

Der Dichter im Seniorenhaus

63 64 66

Ausbildung in einer Männerdomäne

Gutes tun! Zur Weihnachtszeit

Paul Larue verabschiedet sich in den Ruhestand

48 Die Plastische Chirurgie kann Lebensqualität steigern 49 Wenn die Lunge leidet 50 Bloggen gegen Brustkrebs 51 Corona-Lockdown – Die Ruhe im Kreißsaal 52 Künstliche Intelligenz im Kampf gegen Darmkrebs 53 Schonende und effektive Hilfe für das Herz 54 Eine Abteilung ‚führt‘ sich selbst 56 Auch in der ‚neuen Heimat‘ gut aufgestellt 57 Alternative zur Zeitarbeit und neue Bewerberzielgruppen

67

Vorfahrt für Zweiräder

68

Sommerfest im Seniorenhaus St. Josef

69

„Wenn du mich anblickst, werde ich schön“ Gedenken an einen Aktivisten gegen die Armut

70

S TA NDA RD S

3

Editorial

71 72 75

Rätsel

Unsere Krankenhäuser

Unsere Seniorenhäuser

74 Impressum

58

Der Blick in die Hauszeitung

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IM FOKUS

Neuer Kaufmännischer Direktor in Wuppertal

Seit April 2020 hat Jan Köhler die Position als Kaufmännischer Di- rektor für den Klinik­ verbund St. Antonius und St. Josef inne. Der gebürtige Rheinland- Pfälzer ist bereits seit neun Jahren in ver-

Neues Gesicht im St. Franziskus Hospital

Das Kölner St. Franziskus-Hospital hat seit Juli 2020 eine neue Kaufmännische Direktorin: Eva-Janina Euteneuer rückt an der Seite von Geschäftsführerin Dagmar Okon in die Be- triebsleitung auf. Den Grundstein für ihre Karri- ere legte die 33-jährige Siegburgerin mit einem Bachelorstudium der Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Finance und Gesundheits- ökonomie, das sie von 2007 bis 2010 an der Universität zu Köln absolvierte. Es folgte 2013 der Master im Bereich Business Administration. Der berufliche Einstieg führte Euteneuer direkt zur Hospitalvereinigung St. Marien. Sie startete als Management-Trainee im Petrus-Kranken- haus in Wuppertal und wurde dann Assistentin der Geschäftsführung. Mit Kompetenz und dem untrüglichen Gespür für Zahlen und Prozesse bewährte sie sich imWuppertaler Klinikverbund St. Antonius und St. Josef. Seit 2017 war sie dort bis zu ihrem Wechsel nach Köln-Ehrenfeld als stellvertretende Kaufmännische Direktorin tätig.

schiedenen Positionen für die Wuppertaler Ein- richtungen tätig. So begann er seinen beruflichen Weg nach dem Diplom-Studium der Gesund- heitsökonomie in Köln 2011 zunächst als Assis- tent der damaligen Geschäftsführung im Kran- kenhaus St. Josef. Nur ein Jahr später übernahm er die Leitung des Kaufmännischen Controllings für den gesamten Klinikverbund und 2016 die Betriebsleitung des MVZ Medi-Wtal, zu der mitt- lerweile sieben niedergelassene Praxen gehö- ren. Im Jahr 2018 wurde diese Tätigkeit noch um die Betriebsleitung der St. Anna-Klinik erweitert. Seine Freizeit verbringt Köhler am liebsten mit Sport, vor allem im Fitnessstudio, oder mit der Schauspielerei. Er ist in zwei Theatergruppen Mitglied und die Aufführungen – von Drama bis Komödie – kann man sich in Wuppertal und Um- gebung anschauen.

Foto: A.Wascher

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IM FOKUS

Ehrung und Dank für Wilhelm Straaten

Seit dem 11. Mai 2010 ist Wilhelm Straaten Mit- glied im Aufsichtsrat der Hospitalvereinigung St. Marien. Der Aufsichtsratsvorsitzende, Dr. Klaus

Tiedeken, dankte ihm im Namen aller für sein gro- ßes Engagement in den letzten zehn Jahren und überreichte Stra- aten die silberne Cellitinnen-Na- del.

Aktionswoche ‚Glanz statt Hetze‘

Das Seniorenhaus Heilige Drei Könige unter- stützt die Aktion ‚Glanz statt Hetze‘, zu der die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im August aufrief. Bewohner und Mitarbeiter reinig- ten die Stolpersteine rund um die Einrichtung. Die Gedenksteine aus Messing erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus und sind vor deren letztem frei gewählten Wohnhaus verlegt. Begleitet wurden die Putzaktionen durch Ge- sprächsrunden mit den Zeitzeugen. Gerade die Ehrenfelder Senioren berichteten immer wieder über die Verbrechen, die vor der Haustüre statt- fanden. Eine Bewohnerin erinnerte sich, wie ihre Freundin und deren Familie ‚abgeholt‘ wurde. Sie sahen sich nie wieder.

Angebote in Köln erweitert

Dr. Lijo Mannil, Chefarzt der Klinik für Plasti- sche und Ästhetische Chirurgie am St. Vinzenz- Hospital, muss nun des Öfteren mal eine Runde um den Block drehen: Im August ist er mit seiner Privatärztlichen Chefarztambulanz PALMKLINIK ® in das Gebäude Weseler Straße 2, dem Kranken- haus gegenüber, gezogen. In den modernen und stilvoll eingerichteten Räumlichkeiten finden nun seine Sprechstunden für Privatpatienten statt. Über Leistungsspektrum, Sprechstundenangebot und Team der ‚Außenstelle‘ kann man sich auch auf der Homepage www.palmklinik.de informieren. Im selben Haus befindet sich mit der Kardiologi- schen Praxis von Dr. Stefan Winter seit Juli auch ein Teil des MVZ St. Marien. In den ebenfalls kom- plett modernisierten Räumen bietet der Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie ein umfassen- des kardiologisches Leistungsspektrum mit dem Schwerpunkt Herzschrittmachertherapie und Herzinsuffizienz an. In seiner Doppelfunktion als Oberarzt im St. Vinzenz-Hospital und niedergelas- sener Kardiologe steht die sektorenübergreifende Betreuung im Fokus seiner Tätigkeit. Die Praxis erreichen Sie unter Tel 0221 13010330.

Dr. Lijo Mannil und das Team der Palmklinik.

Foto: A.Wascher

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FORUM

Bischöfliche Visitation

Feierliche Segnung

Mit Gottes Segen hat im Juli 2020 die neue Station D1 des St. Marien-Hospitals Köln den Betrieb aufgenom- men. Die kernsanierte Sta- tion wurde feierlich eröffnet und eingesegnet. Bereits am 1. Juli hatten ein Teil des Teams der Klinik für Neu- rologische und Fachüber- greifende Frührehabilitation von Chefärztin Dr. Pantea

Pape und Stationsleiterin Simone Lamers sowie die auf der Station eingesetzten Therapeuten ihre neue Wir- kungsstätte bezogen. Bis zu 36 Patienten sind in hellen und großzügig geschnitte- nen Zimmern untergebracht, die zum Teil einen Blick auf Domspitzen oder die be- nachbarte Kirche St. Kuni- bert gewähren.

Visitation in Zeiten von Corona.

Im September visitierteWeihbischof Rolf Steinhäuser turnusgemäß die Pfarrei St. Dionysius in Köln- Longerich. Auf dem Gebiet der Ge- meinde liegen auch das Kloster der Cellitinnen zur hl. Maria und das Heilig Geist-Krankenhaus. Er feier- te mit den Ordensschwestern die hl. Messe in der Mutterhauskapelle und blieb auch zum Mittagessen. Mit den Verantwortlichen der Klinik führte er Gespräche über die be- sonderen Herausforderungen der Pandemie. Im Oktober hat Prof. Dr. Daniel Thomas die Chefarzt-Position der Klinik fur Diagnostische und Inter- ventionelle Radiologie am St. Vin- zenz-Hospital ubernommen. Der 48-jahrige Facharzt fur Diagnosti- sche Radiologie kommt vom Ask- lepios-Klinikum Hamburg-Harburg. Er war dort Chefarzt der Klinik für Diagnostische und Interventionel-

Aufgrund der Corona-Auflagen fanden die Feierlichkeiten bei bestemWetter auf der Dachterrasse statt.

Neuer Chefarzt für die Radiologie

le Radiologie sowie Neuroradiolo- ge. Nach seinem Medizin-Studium in Koln und Rostock sowie einem Forschungsaufenthalt in den USA war Thomas fast 15 Jahre in der Radiologie der Bonner Universi- tätsklinik tätig, zuletzt sechs Jahre als Leitender Oberarzt und kom- missarischer Direktor der Klinik.

Prof. Dr. Daniel Thomas

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P O R T R Ä T

Bettina Frings Wahlleistungsassistentin im St. Marien-Hospital

Frau Frings, was macht eine Wahlleis- tungsassistentin im Krankenhaus? Ich arbeite seit 2013 im Auftrag der ProKlin Service GmbH. Wir bieten an 365 Tagen im Jahr einen Service mit Hotelcharakter für unsere Wahlleis- tungspatienten im Kölner St. Marien- Hospital sowie in weiteren Verbund- krankenhäusern an. Unsere – hier im St. Marien-Hospital – vorwiegend ger- iatrischen Patienten erhalten täglich eine Tageszeitung, frische Handtücher sowie Erfrischungsgetränke und Kaf- feespezialitäten nach Wunsch. Zum Nachmittagskaffee servieren wir zu- dem Kuchen, Obst und Snacks in die Patientenzimmer. Zu meinen Aufga- ben gehören außerdem das Verteilen der Begrüßungsmappe und des Be- grüßungsgeschenks, die Wäscherei- nigung, Besorgungen des alltäglichen Bedarfs, An- und Abmeldung der Tele- fonkarten und vieles mehr. Unsere Patienten und deren Angehöri- ge können unseren Getränke-, Kaffee- und Kuchenservice selbstverständlich auch in unserer Wahlleistungslounge in Anspruch nehmen.

gedanken verinnerlicht haben und kommunikativ sein. Denn wir sind für manche Patienten Vertrauensperson und manchmal auch Kummerkasten. Da ist es von Vorteil, dass ich fast 30 Jahre lang als Vorstandsfrisörin für die Manager bei FORD gearbeitet habe. Einige Mitarbeiter aus dieser Zeit habe ich hier auch schon wiedergetroffen. Lässt die Arbeit Zeit für ein Hobby? Nicht viel, aber wann immer es geht, mache ich Vintage. Das heißt ich ar- beite alte Möbel – zumeist kleine Ti- sche oder Stühle – auf, schleife sie ab, streiche sie mit Kreidefarbe und ver- schenke vieles davon an Freunde und Bekannte.

Was muss man für diese Aufgabe mitbringen?

Auf jeden Fall muss man gerne im Service arbeiten, den Dienstleistungs-

Bettina Frings verteilt Snacks auf der Station.

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Thema Heimat

Foto: GettyImages/RomoloTavani

TITELTHEMA

Heimat

68% verorten ihre Heimat dort, wo ihre Freunde und Bekannten sind.

ist für mich ...

Salvatore Conigliello & Placido Grigoli, Küchenleiter am Kölner Heilig Geist-Krankenhaus

Ein Teller leckerer Spaghetti, dazu ein guter Wein sind für Sizilianer das wahre Paradies. In unserer Heimat kann man nicht an etwas Gutes denken, gut schlafen oder Gutes lieben, wenn man nicht vorher gut gegessen hat.

Mein Mann und ich sind beide in Polen geboren. Manche sagen, dort, wo man geboren ist, ist die Heimat. Als Kinder sind wir nach Deutschland ausgewandert. Er wuchs im Ruhrgebiet und ich im Oberbergischen auf. Manche sagen, dort wo du aufgewachsen bist, das ist Heimat. Und dann sind wir frisch von der Uni nach Köln gezogen, da wussten wir es: Das ist Heimat. Die Höhner hätten es nicht besser besingen können: „Kölle, do bes e Jeföhl!“ Heimat ist da, wo dein Herz schlägt … und unser Herz schlägt für Köln. Annette Krzon, Chefsekretärin im St. Franziskus-Hospital

Für

64% ist Heimat der Ort, an dem sie groß geworden sind.

Quirin Sailer, Krankenhausseelsorger im Kölner St. Vinzenz-Hospital

Ich bin Oberfranke, aus Kulmbach, eine Stadt mit vielen Kirchen und Brauereien. Dort führen, am Ende einer Wallfahrt nach Hollfeld, Marienweiher oder nach einer Prozession, „a Seidla Bier und a boor Broatwörscht“ Anstrengung und Muße zusammen. Da erdet sich die Rede von Gott, dort wurzelt mein Glaube. Hier entstand meine Auffassung von Leib- und Seelsorge. Hierher komme ich gerne: „Wall do is mei Heimat, do bin iech derham.“

Grafik: GettyImages/JellyFishMad

12 CellitinnenForum 04 | 2020

TITELTHEMA

88% verbinden mit „Heimat“ Geborgensein.

Schwester M. Nicola, Cellitin zur hl. Maria

Heimat ist für mich ein Ort, wo ich weiß: Hier steht mir immer eine Tür offen. Seit mehr als 50 Jahren lebe ich im Kloster der Cellitinnen zur hl. Maria. Kirche und Kloster sind für mich Heimat geworden. Egal, wo ich bin und was auch passiert: Hier gehöre ich hin und gehe meinen Weg, bis zur letzten Heimat.

57% sprechen Heimat ein bestimmtes Gefühl, einen Geruch oder Geschmack zu.

Was der FC bedeutet, ist schwer in Worte zu fas- sen: Man fährt mit einer großen Vorfreude dort- hin. Spätestens wenn man das Stadion betritt und die Hymne ertönt, kommt die Gänsehaut und man kann für neun- zig Minuten, manchmal auch länger, alle Sorgen vergessen. Heimat ist aber nicht nur der Fuß- ball. Heimat ist da, wo deine Familie und deine Freunde sind. Für mich ist es das Größte, wenn meine Kinder auf mich zugelaufen kommen und sich freuen, dass ich wieder da bin. Christoph Feucht, Haustechniker im Seniorenhaus St. Ritastift

Michael Dohmann, Geschäftsführer der ProServ Management GmbH Der Verbund der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria ist bereits seit über 25 Jahren

meine berufliche Heimat. Hier habe ich die verschie- densten Positionen über- nommen und bin nun seit Anfang 2020 Geschäfts- führer der ProServ. In der langen Zeit habe ich vor allem die Kollegen schätzen gelernt, mit denen ich jeden Tag zusammenarbeiten durfte.

Christoph Malaka, Mitarbeiter IT der Seniorenhaus GmbH

Mit meiner Heimat Polen verbinde ich große ausgelassene Familienfeiern mit leckerem Essen, und da darf auch der gute polnische Wodka nicht fehlen.

Grafik: GettyImages/JellyFishMad

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TITELTHEMA

Melek Kancog

Sr. Anitha

Danka Jankovic

14 CellitinnenForum 04 | 2020

TITELTHEMA

Zu Hause ist es am Schönsten?!

Zahlreiche Mitarbeiter sind aus dem Ausland gekommen, um in den Seniorenhäusern zu arbeiten. Wie haben sie die Ankunft erlebt? Was prägt sie aus der alten Heimat? Was war hilfreich, um ein neues Heimatgefühl zu schaffen? Drei Mitarbeiterinnen aus dem Seniorenhaus St. Josef in Meckenheim erzählen ihre Erfahrungen.

U nsere erste Interviewpart- nerin wurde 1981 in Indien geboren und begann im Jahr 2016 ihre Arbeit im Seniorenhaus. Für Sr. Anitha ist Heimat gleich Ge- burtsort, jedoch fühlt sie sich hier heimisch, bezeichnet Deutschland als ihre zweite Heimat. Trotzdem denkt sie regelmäßig an ihre Fami- lie. Der Abschied war sehr schwer. Sie hatte viele Ängste. Diese Sor- gen bestätigten sich jedoch nicht, nur das Wetter könne besser sein. Besonders hebt Sr. Anitha hervor, dass sie sich nie als Fremde gefühlt habe. Um gut mit anderen Men- schen auszukommen, brauche es keine gemeinsame Sprache, son- dern Herzenswärme. „Egal welche Hautfarbe, Kultur oder welches Al- ter man hat, was uns verbindet, ist Liebe“, sagt sie. Das Leben in der neuen Heimat beschreibt sie mit den Worten des hl. Franz von Sa- les: „Blühe, wo du gepflanzt bist.“

Melek Kancog , 1970 in der Türkei geboren, ist 1994 nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten. Sie definiert den Begriff Heimat für sich wie folgt: „Heimat ist für mich Familie, Meer und Märkte.“ Nun ist ihre Hei- mat hier. Sie hat nur gute Erfahrungen mit den Menschen und der deutschen Kultur gemacht, hat viele liebe Men- schen getroffen. Der Abschied aus der Türkei fiel ihr nicht schwer. Die 1986 in Serbien geborene Dan- ka Jankovic lebt und arbeitet seit anderthalb Jahren in Meckenheim. Probleme bereitete ihr vor allem das Zurücklassen ihrer zwei Kinder, das Erlernen der neuen Sprache sowie die fremde Kultur. Heimat ist für sie der Ort, wo sie geboren wurde, ihre Eltern leben und ihre besten Freun- de zu Hause sind. Positiv hebt sie die Kollegialität ihrer Kollegen her- vor, die sie in jeder Lebenslage un- terstützen. (M.J.)

CellitinnenForum 04 | 2020 15

TITELTHEMA

Wo bin ich verwurzelt? Eine nicht leicht zu beantwortende Frage für jemanden, der in Marokko aufgewachsen ist, aber seit 19 Jahren in Deutschland lebt.

gen trieb die Bewohner in die Städte, so wie auch meine Familie. Wenn ich nach Marokko reise, be­ suche ich den Ort und das, was noch davon übriggeblieben ist. Aber meine Erinnerungen kann mir niemand wegnehmen. Das war Heimat. Und heute? Die Liebe trieb mich mit 27 Jahren nach Deutschland zu meiner Frau. Sie ist Tochter eines marokkanischen Gastar­ beiters und in Deutschland auf­ gewachsen. Nach meinem Stu­ dium verließ ich also Marokko und erhoffte neue Perspektiven. In Deutschland hatte ich die Chance, eine Ausbildung als MTRA zu absolvieren, seit 2011 arbeite ich im Institut für Radio­ logie am St. Franziskus-Hospital. Ich fühlte mich in Deutschland schnell heimisch. Unsere Kinder profitieren von einem guten Bil­ dungssystem, es gibt keine Kor­ ruption und alles ist gut organisiert und wenig bürokratisch. Allerdings ist das Leben hier auch schnell- lebiger, arbeits- und karrieregetrie­ bener. Manche Nachbarn kennen sich nicht einmal. Besonders das Leben älterer Menschen ist oft einsam, anonym. Doch in beiden Ländern entdecke ich viele Schät­ ze. Und so geht es mir wie einem Zugvogel, der sich in zwei Hei­ maten zu Hause fühlt. (M.S.)

Mahmoud Saoudi mit seiner in traditioneller Berbertracht gekleideten Großmutter.

S pontan steigt mir der Ge­ ruch in die Nase, wenn nach dem Regen die trockene Erde Marokkos ihren frischen, würzigen Duft abgibt. Oder ich denke an unser Dorf, in dem ich die ersten sieben Jahre meines Lebens verbrachte. Um­ sorgt von meiner Mutter – mein Vater arbeitete damals in Deutsch­ land – und meiner Großfamilie, geborgen in einer damals noch intakten Dorfgemeinschaft. Das Dorf ist heute sehr wenig be­ siedelt. Die Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingun-

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TITELTHEMA

Neu vor Anker gehen Im Gespräch mit Michael Falkner, Bereichsleitung Pflege im Seniorenhaus St. Anna, Köln

Wo ist für Sie Heimat? Dort, wo man sich wohlfühlt! Was man dazu benö- tigt, definiert jeder anders. Ich fühle mich wohl, weil es meinen Kindern gut geht, meine Frau einen gu- ten Arbeitsplatz hat, weil ich in einer guten Nachbar- schaft wohne und schnell draußen in der Natur sein kann. Wovon lebt das Heimatgefühl, beim Bund oder im Seniorenhaus? Da sind Faktoren wie Verbundenheit, auf gleicher Welle liegen, gegenseitiger Respekt und Akzeptanz wichtig. Ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben, an einem Strang ziehen.  Sich auf ein Team, jeden Einzelnen, verlassen können, Wertschätzung spü- ren. Was haben Sie bei den Cellitinnen als neu empfun- den? Im Seniorenhaus St. Anna wird Gemeinschaft spür- bar gelebt, das Wohlbefinden aller steht an oberster Stelle.Mit einem Lächeln oder freundlichenWort wird manchmal Unmögliches möglich gemacht. (M.A).

Der 47-jährige gebürtige Mannheimer ist im Be- rufsleben weit herumgekommen: Bei der Deut- schen Marine erlebte er sieben Standortwech- sel innerhalb Deutschlands und 40 Einsatzorte zur See weltweit.  Herr Falkner, wie schafft man es, an jedem neuen Hafen anzukommen, innerlich wie äu- ßerlich? Vom Elternhaus her war ich das Umziehen gewohnt, so dass es nichts gänzlich Neues für mich war. Ich stehe neuen Herausforde- rungen offen, aufgeschlossen und mit Neu- gier gegenüber. Ich beobachte, analysiere, lasse das Neue auf mich wirken. Der erste Eindruck bewahrheitet sich nicht immer. Wenn man einmal ‚an Bord‘ ist, was hilft? Da gibt es klare Spielregeln, an die man sich zu halten hat, ansonsten funktioniert die Ge- meinschaft nicht. Um das Ankommen zu er- leichtern, kann ich fragen: Was bin ich bereit aufzugeben, welche Kompromisse gehe ich ein? Was kann oder muss ich ändern, wie begegne ich meinem Umfeld, damit ich mich wohlfühle? Ihre Eltern waren in der Gastronomie zu Hau- se.Wie wirkt sich das Essen auf dasWohlbe- finden der Menschen aus? Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme und Notwendigkeit, sondern gibt Lebensqualität, ist „Nahrung für die Sinne“, wenn alles stim- mig ist und die guten Erinnerungen ins Ge- dächtnis kommen.

Von der Marine zur Pflege: Michael Falkner

CellitinnenForum 04 | 2020 17

TITELTHEMA

Im Seniorenhaus Heimat finden Es ist nicht einfach, die private Wohnung gegen eine Senioreneinrichtung zu tauschen. Was gibt Menschen dort Heimat?

Was ist das Wichtigste in Ihrem Zimmer? Daum: Mein Fotoalbum. Wollen Sie mal sehen? Ich habe viel gearbeitet in meinem Leben. Ich fühle mich gut umsorgt hier. Ich bin zufrieden. Wenn der ‚Fastelovend‘ im Haus ist, bin ich dabei. Der Rhein ist ganz nah. Jetzt tun mir die Füße zu weh, um spazieren zu gehen. Aber ich sehe ihn von oben.Da kommt mein Nachbar! Gerhard Sahl ist über

Zwei des Seniorenhauses St. Angela in Hersel erzählen, wie ihnen der Umzug in das Seniorenhaus gelungen ist. Margarete Daum, Jahr- gang 1937, ist eine der ersten Bewohnerinnen des Bornheimer Seni- orenhauses. Sie lebt schon fast zwölf Jahre in St. Angela. Was hat die gebürtige Kölnerin ans Herseler Rheinufer ver- schlagen? Bewohner

Gerhard Sahl

Margarete Daum

Daum: Ich komme aus Köln, und lebte mit meinem Mann im zweiten Stock eines Mietshauses.Dann ist er gestorben, und ich blieb zurück. Mein Sohn hat mir den Platz hier organisiert. Noch beim Umzug war ich ihm böse, ich wäre gern in Köln geblieben. Inzwischen ist mir das Haus hier Heimat geworden. Was macht es für Sie heimatlich? Daum: Dass ich mein Zimmer für mich habe. Dass niemand anders als ich über meine Belange zu be- stimmen hat. Einmal wollte jemand mein Bett an die andere Wand stellen. Der habe ich aber Bescheid gesagt! Selbstbestimmt leben ist wichtig. Was noch ? Daum: Meine Möbel habe ich fast alle in Köln gelassen. Nur den gemütlichen großen Sessel und den Fernseher habe ich mitgenommen. Mein Sohn ist Schreiner. Er hat mir einen Kühlschrank eingebaut.

90 Jahre alt und war in seinem Leben viel sportlich un- terwegs. Er ist kürzlich aus dem Servicewohnen in die vollstationäre Pflege gezogen und fühlt sich hier wohl. Sahl: Man muss entscheiden, dass es irgendwann nicht mehr alleine geht. Ich bin früher viel im Park gelaufen. Das kann ich jetzt nicht mehr, aber er ist ja da. Ich sehe das ganze Grün. Das tut mir gut. Sahl: Die Frau Nachbarin hier. Wir beide, wir ver- stehen uns gut, und das reicht mir. Ich war 54 Jahre verheiratet, bin jetzt allein. Da weiß man gute Be- ziehungen zu schätzen. Ich bin ein kleiner Mann, gerade 1,41 Meter groß. Schon beim Militär passte keine Uniform. Als Kaufmann konnte ich kaum über die Theke gucken. Die Mitarbeiter hier im Haus ha- ben mich gern und nehmen mich so, wie ich bin. Das mag ich! (M.A.) Was hat Sie unterstützt, im Seniorenhaus gut an- zukommen?

18 CellitinnenForum 04 | 2020

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Demenz und das Zuhause-Gefühl

Zu Hause bleiben oder in eine Senioren- einrichtung umziehen – das ist für Menschen mit Demenz und ihre Familien eine schwere Entscheidung. F rau M. lebte bis gestern noch in ihrem Haus in ei- nem Bonner Stadtteil. Sie hat eine Demenz, die sich seit drei Monaten deutlich verschlim- mert. Trotz der Unterstützung ei- nes ambulanten Pflegedienstes verbringt sie viel Zeit alleine, kann sich nicht mehr selbst beschäfti- gen, trinkt und isst zu wenig. Mit ih- rem Sohn Max entschied sie, dass sie nicht mehr Zuhause leben kann. Heute ist Frau M. in ein Senioren- haus eingezogen. Sie ist aufgeregt und bewegt sich unsicher in ihrem neuen Zimmer. Für demenzbetrof- fene Menschen gleicht ein Umzug aus ihrer gewohnten Umgebung einer ‚Entwurzelung‘. Oft hat sich der Bewegungsradius aufgrund der Demenz deutlich verkleinert, so dass nur die direkte Umgebung, das Haus oder der Garten genutzt werden konnten. Aufgrund der kognitiven Einbußen wiegt ein Umzug umso mehr – es ist das Verlassen der persönlichen Hei-

mat. Drei Monate später: Frau M. fühlt sich wohl in ihrem Zimmer, das mit persönlichen Gegenstän- den und Bildern eingerichtet ist. Sie sitzt in ihrem Ohrensessel und schaut Fotos im Familienalbum an. Das Erinnern von schönen Erlebnis- sen sorgt für Sicherheit. Mit Hilfe der Fotos kommt sie leicht in eine gute Stimmung. Eine überschaubare Gruppe von zehn Mitbewohnern und der gemütliche Raum haben ihr das Ankommen erleichtert. Aufgabe der Mitarbeiter ist es, eine positive Atmosphäre und Kontaktmomente zu schaffen, die dem Menschen vermitteln, angenommen zu sein.

Oft weiß man nicht, in welchen Gedanken oder Gefühlen sich der Mensch gerade befindet, beson- ders dann, wenn es um krisenhafte Situationen geht. Dann ist es wich- tig, Anknüpfungspunkte zu nutzen, um über Musik, Sprichwörter und vor allem Humor einen Kontaktmo- ment zu initiieren. Es sind tatsäch- lich oft ‚nur‘ die einfachen Dinge, wie ein freundlicher Blick, die dem Demenzbetroffenen das Gefühl des Angenommenseins vermitteln. Wenn es Menschen gibt, die über ihre Präsenz und kreative Ideen für Beschäftigung sorgen, kann sich ein Zuhause-Gefühl entwickeln. (T.N.)

CellitinnenForum 04 | 2020 19

TITELTHEMA

Wuppertal – Liebe auf den zweiten Blick

Wenn die Heimatstadt mit Vorurteilen belegt ist, müssen Einheimische schon mal Überzeugungsarbeit leisten. V orstellungsrunde: Und woher kommst Du? – Aus Wup- pertal. Es folgt: betretenes

Schweigen. „Da regnet es doch so viel und die ganzen Staumeldungen und dieses Schmuddelimage ...“ Lange Zeit war es nicht einfach, Wuppertal als Heimatstadt zu ha- ben. Aber die Dinge ändern sich. Wer heute sagt, er kommt aus Wup- pertal, klingt nur noch selten ver- schämt, sondern stolz und selbst- bewusst. So wie Nicole Gaidel, Assistenzärztin der Unfallchirurgie am Petrus-Krankenhaus. „Wupper- tal hat so viel zu bieten, wenn man erstmal die Pendler-Perspektive von der A46 hinter sich lässt. Ich find‘s hier einfach schön“, sagt die gebür- tige Wuppertalerin so überzeugt, dass auch ihre pendelnden Kolle- gen aus den umliegenden Städten neugierig wurden. Nach einem kri- tischen Kommentar über ihre Hei- matstadt hielt sie ihnen einen 15-mi- nütigen Monolog über die positiven Seiten von Wuppertal – und sorgte für erstaunte Gesichter „Viele wa- ren überrascht, also haben wir eine gemeinsame Tour durch Wupper- tal geplant, in der ich die Rolle der Stadtführerin übernehme“, erzählt sie. Zwar machte das Corona-Virus

Foto: GettyImages/JHRS

20 CellitinnenForum 04 | 2020

TITELTHEMA

diese Pläne vorerst zunichte, aber aufgeschoben soll nicht aufgehoben sein. Ihre Tour durch Wuppertal würde natürlich mit einer Schwebebahn- fahrt beginnen. Das ist im Moment zwar nur am Wochenende möglich, aber wer die Stadt kennenlernen und verstehen will, kann darauf nicht verzichten. Bei der Fahrt durch das enge Tal wird Wuppertals Vergan- genheit als Wiege der Industrialisie- rung, vor allem der Textilindustrie, sichtbar. Am Fluss lagen die Fabri- ken und Betriebe, in unmittelbarer Nähe lebten die Arbeiter mit ihren Familien und etwas erhöht an den Hängen entstanden prächtige Vil- lenviertel. Auch dort würde Gaidels Tour entlangführen. Weiter ginge es Richtung Elberfeld ins Luisenviertel. „Ich mag diesen Mix aus individuel- len Läden und vielen unterschiedli- chen gastronomischen Angeboten.“ Von dort aus spazierte sie über das ‚Tippen-Tappen-Tönchen‘ – Wup- pertals wohl berühmteste Treppe – hinauf auf den Ölberg. Ursprüng- lich ein typisches Arbeiterviertel mit vielen Mehrfamilienhäusern aus der Gründerzeit, heute ein absolutes Szene-Viertel, das sich Studenten, Familien und Künstler teilen.

turm. „Die Aussicht vom Toelleturm ist super.Von dort aus sieht man gut, wie grün Wuppertal ist.“ Tatsächlich zählt Wuppertal zu den grünsten Großstädten Deutschlands. Rund 60 Prozent des Stadtgebietes sind Wald-, Frei- und Grünflächen, oder werden landwirtschaftlich genutzt. Und noch so eine Besonderheit: Wuppertal wurde 1929 aus meh- reren Städten zusammengefügt, die unterschiedlichen ehemaligen Stadtzentren bestehen bis heute. Ein Muss auf ihrer Tour ist auch der Besuch des Skulpturenparks mit Fi- guren des Künstlers Tony Cragg. Je länger die Wuppertalerin über ihre Heimatstadt spricht, desto mehr Ziele fallen ihr ein. „Bisher konnte ich meine Besucher und Freunde immer von Wuppertal überzeugen.“ Vermutlich gelingt ihr das auch bald bei ihren Kolle- gen. (A.S.)

Egal, wo man sich in der Stadt befindet, man ist in wenigen Minuten in der Natur.

Wuppertals Topografie ist, gelinde gesagt, abwechslungsreich. Das führt dazu, dass Fahrradfahrer durchaus sportlich ambitioniert sein müssen. Apropos Fahrradfahrer: Mit ihnen würde Gaidel die Nordbahn- oder die Sambatrasse besuchen. Stillgelegte Bahnstrecken mitten durchs Stadtgebiet, die für Fußgän- ger und Fahrradfahrer hergerichtet wurden und deren Bahnhöfe, wie etwa der Mirker Bahnhof, sich zu kulturellen Hotspots entwickelt ha- ben. Über Brücken und durchTunnel führen die Trassen ganz entspannt von einem Stadtteil zum nächsten. Wuppertal muss man sich über ver- schiedene Wege erarbeiten. Einer davon führt für Gaidel nach Barmen, zum Vorwerkpark und zum Toelle-

‚Stadtführerin‘ Nicole Gaidel

Wuppertal gilt mittlerweile als urbaner Geheimtipp. NRW-Tourismus preist etwa das historische Luisenviertel als absolut sehenswert an, der amerika- nische Fernsehsender CNN empfahl Wuppertal als besonderes Reiseziel für das Jahr 2020 und die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ rühmte die „ganz neuen Aus- sichten“ der Stadt. https://www.nrw-tourismus.de/geheimtipps-staedtetrips https://www.zeit.de/2015/48/wuppertal-sehenswuerdigkeiten-stadtrundgang https://edition.cnn.com/travel/article/places-to-visit-2020/index.html

Foto: GettyImages/JHRS

CellitinnenForum 04 | 2020 21

TITELTHEMA

Tänzer und Musiker mit schwarz angemalten Gesichtern sorgen in den Bazaren an Nowruz für gute Stimmung.

Traditionen pflegen

Nowruz , das persische Neujahrsfest, wird vor allem im Iran und in den kurdischen Gebieten der Türkei und des Nordirak gefeiert. Aber auch auf dem Balkan, rund um das Schwarze Meer, im Kaukasus und Zentralasien wird Nowruz begangen.

anfang zusammen, der zugleich der Beginn des iranischen Kalenderjah- res ist. Die Ursprünge des Festes liegen im Zoroastrismus, einer mehr als 2.500 Jahre alten Religion aus dem iranischen Kulturraum. Über- setzt bedeutet Nowruz oder auch Nouruz „Neuer Tag.“ Die Vorbereitungen für Nowruz beginnen bereits Wochen vorher mit einem gründlichen Frühjahrs- putz, bei dem die ganze Familie mitarbeitet. Schließlich soll der

I n der Nacht vom 20. auf den 21. März beginnt, von Millionen Menschen gefeiert, eines der ältesten Feste der Welt – das per- sische Neujahrsfest Nowruz. Es fällt mit dem astronomischen Frühlings-

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Frühling in einer blitzsauberen und duftenden Unterkunft begrüßt wer- den. Dann bricht die ganze Fami- lie zum Nowruz-Einkauf auf. Alle werden neu eingekleidet, Vorräte an Früchten, Nüssen, Konfekt und Kerzen besorgt, denn während der dreizehn Festtage wollen Familie, Freunde und Nachbarn gut ver- pflegt sein. DIE SCHÖNSTE ZEIT DES JAHRES Dr. Afshin Roshan ist Oberarzt mit persischen Wurzeln an der Klinik für Allgemein- und Visceralchir- urgie, Koloproktologie des Wup- pertaler Krankenhauses St. Josef. Für den seit 2003 in Deutschland lebenden Teheraner hat das Fest einen ganz besonderen Stellen- wert: „Obwohl ich seit Jahrzehn- ten außerhalb meines Heimatlan- des lebe, ist Nowruz weiterhin die wichtigste und schönste Zeit für mich. Dabei leben regelmäßig vie- le schöne Erinnerungen aus der Heimat auf.“ Zentraler Bestandteil des Festes ist das Schmücken eines Tisches mit sieben Dingen, die mit dem persi- schen Buchstaben ‚S‘ beginnen und die Fruchtbarkeit, Wachstum und Prosperität symbolisieren. Ähnlich dem christlichen Weihnachtsfest werden auch Geschenke ausge- tauscht, wobei in erster Linie die älteren die jüngeren Familienmitglie- der beschenken. Sachgeschenke gibt es dabei zwar auch, aber ver- schenkt werden zumeist Geldschei- ne, die unbedingt druckfrisch sein müssen!

Dr. Roshan skizziert den weiteren Verlauf des Festes: „Mit dem Neu- jahrsbeginn startet eine zwölf­ tägige Zeit der Neujahrsbesuche bei Verwandten und Bekannten, deren Reihenfolge nach dem Prin- zip der Seniorität ablaufen. Mit ei- nem einmaligen Zusammentreffen ist es dabei allerdings nicht getan, denn ein Besuch muss stets durch einen Gegenbesuch erwidert wer- den. Und natürlich ist beinahe je- der Besuch mit einem Festmahl verbunden.“ FESTAUSKLANG UND PICKNICK IM GRÜNEN Mit demdreizehntenTag – persisch ‚Sizdah-Bedar‘ – endet das Fest. Man verbringt den Tag gemein- sam bei einem Ausflug im Park oder Wald und picknickt. Junge Mädchen im heiratsfähigen Alter knoten Gras- oder Weizenhalme

verbunden mit dem Wunsch, im kommenden Jahr verheiratet zu sein und eine Familie zu haben. Man nimmt die ‚Sabze‘ (Weizen- gras) von dem geschmückten Tisch mit und wirft sie möglichst in einen Fluss, damit sie all das Böse und Unheil mit sich nimmt, das der dreizehnte Tag mit sich bringen könnte. Dr. Roshan fasst seine Eindrücke abschließend so zusammen: „Für mich ist Nowruz vor allem des- halb ein so schönes Fest, weil alle Perser, egal welcher Religion und welchen Glaubens, daran teilneh- men. Auch hier in Deutschland wird das persische Neujahrfest mit Familie und Freunden groß gefeiert. Deshalb ist der 21. März der wichtigste Termin in meinem Kalender und nach Möglichkeit werde ich an diesem Tag immer Urlaub haben!“ (C.N.)

Ein zum Nowruz-Fest geschmückter Tisch mit Weizensprossen, Obst, Gewürzen und Süßem.

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Weihnachtlicher Dialektatlas

Warum Mundart auch heute noch so wichtig ist? Die Antwort liegt auf der Hand, schließlich gehört sie für viele Menschen zu ihrem normalen Alltag. Sie verbinden mit ihr Feierabend und Familie, Vertrautheit und Verwurzelung. Kurz: Dialekt, das bedeutet für sie Heimat. Hier ein paar (vor-)weihnachtliche Kostproben aus Wuppertal und Köln.

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24 CellitinnenForum 01 | 2020

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KÖLN

Surbroode

Christelovend zesamme! Hillijeovend Tanneboum

Kreppeäsel

Chrestkruun

Weihnachtsjeld

Chressdaach

Chrissboumkujele

Jeschenke

Jänsebroode

Chressnaach

Verchromte Suurekappes

Hans Muff

Dä Boom es am riere

De hilije Mann

Zimmermanns Jupp Däm Zimmermanns Jupp singe Sohn

Feßdachsbrode

Jupp & Marie

Kreppespell

Nöss unMandel kän

Atzventzkrantzkäätz

WUPPERTAL

Klosbesök

Chreßgeheemnes

Piepenmann

Nötespell

Zuckertüg

Fröhleche Chreßdach

Wengterowend 

Mäten

Ketzkes

Mätenssengen

Klooskääl

Weihnachtsmatt

Jesus-King inne Fuderkripp

Chrestagstied

Plätzkes

Klosöwerraschong

Chrestekenk

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CellitinnenForum 04 | 2020 25

Fundament

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FUNDAMENT

Wir werden Sie vermissen! Nach 152 Jahren geht in Köln-Ehrenfeld eine Ära zu Ende.

D ie Armen-Schwestern vom hl. Franziskus, die das St. Franziskus-Hospital gegrün- det und über viele Jahrzehnte se- gensreich getragen haben, lösen ih- ren Konvent aus Altersgründen auf. So nachvollziehbar und gut über- legt dieser Schritt auch ist: Für die

Über 55 Jahre wirkte Sr. M. Coelestin im St. Franziskus-Hospital. Viele Jahre davon war sie mit ihrer zupackenden und herzlichen Art die gute Seele vom Empfang. Unvergessen auch das all- jährliche Schmücken des Weihnachtsbaumes. Ihrem aufmerksamen Blick ent- ging nichts und der Baum war jedes Mal eine Augenweide!

Über 60 Jahre gehört Sr. M. Notburgia den Armen-Schwestern zum hl. Franziskus an. Sie hat sich über viele Jahre in der Küche und im Speisesaal um das leibliche Wohl ihrer Mitschwestern gekümmert. Noch in den 90er-Jahren waren das in Köln-Ehrenfeld 75 Schwestern.

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Sr. Katharina Maria bekleidete über viele Jahre verschiedene Leitungspositionen. Zwölf Jahre, von 2004 bis 2016, führte sie die Ordensgemeinschaft als Generaloberin. Ans St. Fran- ziskus-Hospital wurde sie 2017 berufen. Die 69-Jährige steht nun dem Konvent St. Elisabeth in Frechen-Königsdorf vor.

Ordensschwestern und für die Mit- arbeiter ist es ein tiefer Einschnitt, der weh tut. Die herzliche Verbun- denheit mit den Armen-Schwestern zum hl. Franziskus war auch beim offiziellen Abschied am 7. Oktober 2020 spürbar.  Nach einem Pontifikalamt in St. Peter in Köln-Ehrenfeld, zelebriert von Weihbischof Dr. Dominikus Schwaderlapp, schloss sich in der Kirche ein Festakt an. Viele Mitar- beiter, Weggefährten und Nach- barn hätten sich gerne persönlich verabschiedet. Die Covid-19-Pan- demie setzte dem leider Gren- zen. Bewegende Momente gab es dennoch: Geschäftsführerin Dag- mar Okon begrüßte die General- oberin der Armen-Schwestern vom hl. Franziskus, Schwester Martha, und ebenso die Generaloberin der Cellitinnen zur hl. Maria, Schwes- ter Bernharda. Für die Stadt Köln sprach Bezirksbürgermeister Jo- sef Wirges. Für die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria, seit 2002 Trägerin des Krankenhauses, dankte der Vorstandsvorsitzende

Sr. M. Leandra war viele Jahre mit Leib und Seele in der Pflege tätig. 1961 schloss sie eine Ausbildung als Kinder- krankenschwester ab, trat 1966 dem Orden bei und arbeitete seitdem uner- müdlich für Kranke und Pflegebedürftige. Im St. Franziskus-Hospital ist sie seit 1981, war Stations- leitung der Chirurgie und packte noch bis 2019 in der Pflege mit an.

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Sr. M. Aloysia bestand 1956 ihr Pflegeexamen im St. Franziskus- Hospital, bevor sie 1964 ihr Ewiges Gelübde ablegte. Viele Jahre hat sie sich als Ausbildungsleiterin der Hauswirtschafterinnen und als Pflegedienstleiterin verdient ge- macht. Von 1993 an arbeitete sie im häuslichen Bereich und im Garten, wo sie bis zuletzt die Grotte mit der Gottesmutter in Ordnung hielt.

Nach 1945 lebte Sr. M. Brigittina zunächst in der damaligen DDR. Dem Orden schloss sie sich nach ihrer Übersiedlung nach Frankfurt a. M. 1960 an. Seit 1993 kümmer- te sie sich in Köln um arme und obdachlo- se Menschen. Im St. Franziskus-Hospital war sie von 2008 bis zur Corona-Pandemie im Sozialdienst tätig.  

Hans Mauel den Franziskanerin- nen für ihr segensreiches Wirken in der Klinik. Die Geschichte des Ehrenfelder Krankenhauses wür- digte Dr. Marion Reimer. Für die Kontinuität im christlichen Geist ist bereits gesorgt: Ordensschwes- tern der Teresian Carmelites CTC übernehmen im St. Franziskus- Hospital den Auftrag der Franzis- kanerinnen. Zum Schluss verabschiedeten sich Sr. Katharina Maria und ihre Mitschwestern mit einem herzli- chen Winken. Mit stehenden Ova- tionen beantworteten die Gäste diese rührende Geste: Ein herz- liches Dankeschön für 152 Jahre segensreichen Wirkens. Wir wer- den die Schwestern sehr vermis- sen! (I.G.)

Sr. M. Dorothee legte 1976 im St. Franziskus-Hospital ihr Pflegeexa- men ab, war zwischenzeitlich in ande- ren Häusern tätig und kehrte 2002 nach Ehrenfeld zurück. Neben ihrer Arbeit in der Pflege kümmerte sie sich um den ehrenamtlichen Besuchsdienst und um die Krankenhauskapelle.

Fotos: Kai Funck

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Abschied und Neubeginn Stabwechsel in der Katholischen Krankenhaus-Seelsorge.

I n einer auch unter den aktuellen Pandemie-Bedingungen wür- dig-stimmungsvollen Heiligen Messe in der Mutterhauskapelle galt es am 6. Oktober, Kranken- hauspfarrer Hans Georg Redder lieben Dank und ‚Lebewohl‘ zu sagen. Der 65-jährige Geistliche nahm damit Abschied als Leiter des Katholischen Krankenhaus- Seelsorgeteams der Kölner Celli- tinnen-Häuser. Dies war zugleich die beste Gelegenheit, seinen Nachfolger, Msgr. Ulrich Hen- nes, auch in diesem Rahmen zu begrüßen und ebenso ein wei- teres neues Teammitglied, Ge- meindereferentin Beate Schultes (s. CellitinnenForum 03/2020), herzlich willkommen zu heißen. Seine besondere Neigung zum Dienst an den Kranken war Pfar- rer Redder schon in jungen Jah- ren deutlich und stets vor Augen. Nach vorausgehender Tätigkeit in der Pflege blieb ihm zwar die Aus- bildung zum examinierten Kran- kenpfleger aus gesundheitlichen Gründen verwehrt. Seine pries- terliche Berufung führte ihn dann aber schon wenige Jahre nach seiner Weihe 1986 in die Kranken- haus-Seelsorge. Nach der Aus- bildung in Bonn war er Pfarrer an der dortigen Uniklinik, wirkte dann zehn Jahre am Marien- und am Evangelischen Krankenhaus in Bergisch-Gladbach und anschlie-

Pfarrer Hans-Georg Redder (re) mit seinem Nachfolger Msrg. Ulrich Hennes in der Mutterhauskapelle.

Vielen Dank, dass Sie sich stets für ein gutes Miteinan- der der evangelischen und der katholischen Kranken- hausseelsorge eingesetzt und den Austausch gesucht haben.

ßend im Frechener St. Katharinen- Hospital. Ab dem 1. Januar 2008 war er dann fast zwölf Jahre in den Kölner Cellitinnen-Krankenhäu- sern mit seiner großen pastoralen Erfahrung sowie der ihn auszeich- nenden Liebenswürdigkeit tätig. Hans Georg Redder selbst ist vor allem für das ihm stets entgegen- gebrachte Vertrauen von Seiten der Patienten, Angehörigen und Mitarbeiter sehr dankbar. Das habe er durchgängig und nachhal- tig erfahren dürfen. (W.A.)

Stefan Dombert, Geschäftsführer der Hospitalvereinigung St. Marien GmbH

Fotos: Kai Funck

CellitinnenForum 04 | 2020 31

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Legendäre Reliquie besucht Senioren

Im Rahmen der Festoktav der Stadt Düren wurde die weltberühmte Reliquie zu den Bewohnern der Seniorenhäuser gebracht. E nde Juli in Düren schlagen die Herzen der Wallfahrer und Kirmesliebhaber höher:

Dann wird die Festoktav der heiligen Anna gefeiert und die Annakirmes eröffnet. Hunderte Menschen kommen täglich, um das Annahaupt zu verehren und sich auf der weitläufigen Kirmes ausgelassen zu amüsieren. Die Bewohner und Mitarbeiter der Seniorenhäuser planen regelmä- ßig einen Tag dafür ein. Kirmes in Coronazeiten? Dieses Jahr nicht. „Wenn die Menschen nicht zum Annahaupt kommen können“, so der Dürener Pastor Hans-Otto von Danwitz, „kommt das Annahaupt zu ihnen.“ Im Mariensaal des Seniorenhauses Marienkloster in Niederau hatten sich die Bewoh- ner erwartungsvoll versammelt, sicher im Corona-Abstand. Pastor von Danwitz brachte auch eine Drehorgel mit, um etwas Kir- mesflair zu verbreiten. Ganz nahe konnten die Bewohner die kost- bar gearbeitete Büste betrachten, erst recht, als der Pfarrer dem Annahaupt die Krone abhob: ein Loch in der Oberfläche des Reli- quiars ermöglichte den Blick auf

Pfr. Hans-Otto von Dan- witz zeigt die Reliquie der Hl. Anna im Seniorenhaus Marienkloster

das handtellergroße Stück Schä- deldecke, das die Büste birgt.

Bei dem ‚Annahaupt‘ handelt es sich um ein handtellergro- ßes Stück einer menschlichen Hirnschale, das der hl. Anna, der Mutter Mariens, zugespro- chen wird. Dieses Schädelfrag- ment, die eigentliche Reliquie, wird in einer wertvollen Büste, dem Reliquiar, in der Dürener St. Annakirche aufbewahrt. Seit dem 16. Jahrhundert wird das ‚Annahaupt‘ in Düren verehrt.

Nach dem Singen des Annalieds segnete der Pastor Bewohner und Mitarbeiter mit der Reliquie, schenkte allen ein Pilgerabzei- chen (aus virenfreiem Kunststoff) sowie als Ersatz für das traditio- nelle Pilgerfrühstück einen ver- packten Annakeks. Eins war beim Schluss-Segen klar: „Nächstes Jahr gehen wir wieder zu ihr in die Kirche!“ (M.A.)

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Wo soll die letzte Heimat sein? Bestattungskultur imWandel – Noch nie in der Geschichte hat sich die Bestattungskultur in so kurzer Zeit so drastisch verändert wie in den letzten 30 Jahren. U nsere Friedhöfe verändern sich. Damit meine ich nicht unbedingt das allgemeine

Auf diesen ausgedehnten Flächen, die über ihre besondere Widmung als Bestattungsort hinaus als ‚grüne Lungen‘ in stark bebauten Großstädten dienen, fallen die Veränderungen weniger auf, dafür umso mehr an den kleinen Stadt- teil- oder Dorffriedhöfen an den Ortsrändern. Früher belegte Ein- zelgrabfelder mit Sargbestattun­ gen sind ‚stillgelegt‘ oder zu Urnen- grabfeldern, ‚Bestattungsgärten‘ oder Rasengrabflächen mit bo- denbündigen Grabsteinplatten umgewandelt. In den Sektoren mit Familiengrabstätten gibt es zwi-

schen den einzelnen Grabstellen überall freie Flächen in einer Grö- ßenordnung, an die man sich noch gewöhnen muss. Ich kenne Fried- höfe mit angeschlossenen, noch ungenutzten Erweiterungsflächen, die wahrscheinlich gar nicht mehr gebraucht werden. Die Ursachen für diese Verän- derungen sind bekannt: Der ge- sellschaftlich-kulturelle Wandel, nicht zuletzt finanzielle Gründe spielen eine Rolle. Gräber sollen heute ‚pflegeleicht‘ sein, auch aufwändig gestaltete Grabsteine

Erscheinungsbild, wie es sich in un- seren Breiten seit etwa 200 Jahren herausgebildet hat. Damals wur- de die Verbindung von Kirche und Friedhof in Form des ‚Kirchhofs‘ weniger in Dörfern, vor allem aber in den immer größer werdenden Städ- ten aufgegeben. Dort entstanden neue, nach gartenarchitektonischen Prinzipien gestaltete Friedhöfe, orts- oder stadtteilbezogen bis hin zu großen überbezirklichen Wald- oder Parkfriedhöfen.

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Urnengrabstele

So ist zu wünschen, dass unse- re Friedhöfe Orte liebenden Ge- denkens bleiben sowie Ausdruck der Hoffnung auf die Wiederbe- gegnung mit den Verstorbenen. Sie sind Stätten, die sichtbar machen, dass wir in geschicht- lichen Zusammenhängen leben, in einer Folge von Generationen. Angemessen gestaltete Friedhö- fe ehren die Verdienste der dort Bestatteten für die Grundlagen des Lebens heute und mahnen an die Opfer von Krieg, Ver- folgung und Gewaltherrschaft. Ganz allgemein sind sie doch auch ein Hinweis für jeden Men- schen, sich der Endlichkeit sei- ner irdischen Existenz bewusst zu werden.

werden seltener. Bei den Grab- denkmalen findet man weniger christliche Symbolik und Inschrif- ten, dafür immer mehr individuel- le Formen. Bei aller Vielfalt der Anlagen soll- te jedoch eine wesentliche Ein- sicht nicht außer Acht geraten: Die Würde des Menschen endet nicht mit seinem Tod. Im Umgang mit den Verstorbenen ‚spiegeln‘ sich die gesellschaftlichen Grundwer- te. „Denn alle Kultur beruht ... im buchstäblichen Sinn auf dem Kult der Toten; ohne Achtung der Toten keine Achtung des Menschen.“ So hat diesen Zusammenhang der be- kannte Kunsthistoriker Hans Sedl- mayr einmal treffend formuliert.

Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod

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Unsere Friedhöfe vermitteln nach meiner Einschätzung auch ein Ge- fühl von Heimat: Der Ort, in dem man aufwächst, ist eng verbun- den mit den Erinnerungen an die Kindheit, an das Wohnen in der Geborgenheit von Familie und na- hen Bezugspersonen überhaupt. Dazu gehören Kindergarten- und Grundschulzeit, das Vertraut- Werden mit Häusern, Straßen und Wegen, sicher auch die mehr und mehr gelernte und verstehbare Erfahrung, dass es Friedhöfe gibt, auf denen Familienangehörige be- stattet sind. Ich erinnere mich gut, dass es normal und üblich war, dass Spaziergänge am Sonntag- nachmittag regelmäßig auch den Besuch der Familiengräber einbe- zogen. In meiner Kindheit in der Großstadt konnte ich übrigens nur

auf den Friedhöfen Eichhörnchen in freier Natur bewundern. Diese Freude von damals habe ich noch lebhaft vor Augen. Der Friedhof mit den Gräbern von Familienangehörigen bleibt oft die einzige oder sogar letzte Verbin- dung zum Heimatort. „Ich habe da nur noch ein Grab“ – für man- che mag das eine abschließende Tatsache und Feststellung sein, andere finden gerade darin einen Anlass, dieses Grab aufzusuchen. Für mich wird dies vor allem sicht- bar an einem Tag des Jahres. Zum Totengedenken am Nachmittag des Allerheiligen-Festes, verbun- den mit einem Wortgottesdienst und der sich anschließenden Grä- bersegnung, kommen Menschen,

die längst nicht mehr am Ort des Friedhofs wohnen, denen aber dieses besondere Gedenken im Jahr wichtig ist. Dies erlebe ich als Diakon bei dieser liturgischen Fei- er immer wieder. Auf den eher kleinen Friedhöfen in unseren Gemeinden begeben sich die meisten Teilnehmer nach dem Gebet und der allgemeinen Seg- nung an zentraler Stelle zu den Grä- bern ihrer Lieben. Geduldig warten sie dort auf den Geistlichen, der zu ihnen kommt und verbunden mit einem kurzen Gebet das jeweilige Grab nochmals mit Weihwasser besprengt. Ich begegne dann oft Menschen mit Tränen in den Au- gen, spüre aber zugleich, wie sehr die verstorbenen Eltern, Ehepartner oder Anverwandten einen festen Platz in den Herzen der Hinterblie- benen haben. Wie viel Beziehung und Nähe zu den Toten wird also gerade am Ort ihrer Bestattung empfunden, ja auch Trost und Hoffnung, dass die Verstorbenen in Gottes guten Händen geborgen sind und bei ihm ihre Heimat haben. Der Apo- stel Paulus vergleicht im Zweiten Korintherbrief das irdische Leben mit einem Zelt, das mit dem Tod abgebrochen wird. Sein Glau- be lässt ihn von einer beständi- gen Heimat überzeugt sein, denn „dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschen- hand errichtetes ewiges Haus im Himmel“ (2 Kor 5,1). (W.A.)

Immer mehr Freiflächen fallen auf den Friedhöfen auf.

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