CellitinnenForum_04_20

FUNDAMENT

Unsere Friedhöfe vermitteln nach meiner Einschätzung auch ein Ge- fühl von Heimat: Der Ort, in dem man aufwächst, ist eng verbun- den mit den Erinnerungen an die Kindheit, an das Wohnen in der Geborgenheit von Familie und na- hen Bezugspersonen überhaupt. Dazu gehören Kindergarten- und Grundschulzeit, das Vertraut- Werden mit Häusern, Straßen und Wegen, sicher auch die mehr und mehr gelernte und verstehbare Erfahrung, dass es Friedhöfe gibt, auf denen Familienangehörige be- stattet sind. Ich erinnere mich gut, dass es normal und üblich war, dass Spaziergänge am Sonntag- nachmittag regelmäßig auch den Besuch der Familiengräber einbe- zogen. In meiner Kindheit in der Großstadt konnte ich übrigens nur

auf den Friedhöfen Eichhörnchen in freier Natur bewundern. Diese Freude von damals habe ich noch lebhaft vor Augen. Der Friedhof mit den Gräbern von Familienangehörigen bleibt oft die einzige oder sogar letzte Verbin- dung zum Heimatort. „Ich habe da nur noch ein Grab“ – für man- che mag das eine abschließende Tatsache und Feststellung sein, andere finden gerade darin einen Anlass, dieses Grab aufzusuchen. Für mich wird dies vor allem sicht- bar an einem Tag des Jahres. Zum Totengedenken am Nachmittag des Allerheiligen-Festes, verbun- den mit einem Wortgottesdienst und der sich anschließenden Grä- bersegnung, kommen Menschen,

die längst nicht mehr am Ort des Friedhofs wohnen, denen aber dieses besondere Gedenken im Jahr wichtig ist. Dies erlebe ich als Diakon bei dieser liturgischen Fei- er immer wieder. Auf den eher kleinen Friedhöfen in unseren Gemeinden begeben sich die meisten Teilnehmer nach dem Gebet und der allgemeinen Seg- nung an zentraler Stelle zu den Grä- bern ihrer Lieben. Geduldig warten sie dort auf den Geistlichen, der zu ihnen kommt und verbunden mit einem kurzen Gebet das jeweilige Grab nochmals mit Weihwasser besprengt. Ich begegne dann oft Menschen mit Tränen in den Au- gen, spüre aber zugleich, wie sehr die verstorbenen Eltern, Ehepartner oder Anverwandten einen festen Platz in den Herzen der Hinterblie- benen haben. Wie viel Beziehung und Nähe zu den Toten wird also gerade am Ort ihrer Bestattung empfunden, ja auch Trost und Hoffnung, dass die Verstorbenen in Gottes guten Händen geborgen sind und bei ihm ihre Heimat haben. Der Apo- stel Paulus vergleicht im Zweiten Korintherbrief das irdische Leben mit einem Zelt, das mit dem Tod abgebrochen wird. Sein Glau- be lässt ihn von einer beständi- gen Heimat überzeugt sein, denn „dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschen- hand errichtetes ewiges Haus im Himmel“ (2 Kor 5,1). (W.A.)

Immer mehr Freiflächen fallen auf den Friedhöfen auf.

CellitinnenForum 04 | 2020 35

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