Blickpunkt Schule 3/2020

lung und spiegelt eine unzureichende Personalplanung auf Landesebene wider. Das Signal an die Gymnasial- lehrkräfte (’Zwangsabordnung’) ist katastrophal. Wirth: Abordnungen, das gab es schon einmal. Ich habe diese Praxis in meinen ersten Dienstjahren von 1983 bis 1987 selbst erlebt. Es waren die Zeiten der Zwangsförderstufe, damals wurden Gymnasiallehrkräfte an die Förderstufen 5/6 abgeordnet. Erst mit der Landesregierung Wallmann kehr- ten die Jahrgangsstufen 5 und 6 im Jahr 1987 an die neusprachlichen Gymnasien zurück. ?? Vor welche Herausforderungen werden die Schulen durch das Vorhaben des Hessischen Kultus- ministers gestellt, Gymnasiallehr- kräfte an Grundschulen abzuordnen? Hartung: Zuerst sollte den Gymna- sien von den zuliefernden Grundschu- len die Bedarfe bekannt gemacht werden. Nur so kann man in der Schulleitung überlegen, wen man im Kollegium ansprechen kann. Ich per- sönlich kann mir eine Abordnung nur im Einvernehmen vorstellen! Und auch nur, wenn die Fachabdeckung in meiner Schule gesichert ist! Bis aber die Grundschulen uns diese Bedarfe sagen können, steht die Planung des neuen Schuljahres still, die jetzt ei- gentlich auf Hochtouren läuft! Und da das kommende Schuljahr aufgrund von Corona schon einige Unwägbar- keiten hat, kommt nun noch eine massive hinzu. Wir steuern auf ein chaotisches Schuljahr zu! Ganß: Diese Maßnahme stellt eine er- hebliche Belastung der Schulleitun- gen in mehrfacher Hinsicht dar. Zu- nächst mussten alle Lehrkräfte be- fragt werden, ob sie freiwillig diese Aufgabe annehmen würden. An- schließend müssen fiktive Listen er- stellt werden, ohne dass die Schullei- tungen wissen, welche Lehrkräfte und in welchem Umfang diese später be- nötigt werden. Solange dies nicht be- kannt ist, können die Schulen keinen verlässlichen Stundenplan erstellen.

Es ist wenig wertschätzend für die Ar- beit der Schulleitungen, wenn auf ei- nem der in diesem Zusammenhang durchgeführten Webinare festgestellt wurde, dass der Prozess der Rekrutie- rung bis zu den Sommerferien abge- schlossen sei und die Schulleitungen dann spätestens in der ersten Ferien- woche mit den Planungen des Stun- denplans beginnen könnten. Nicht klar war dabei, ob zu diesem Zeit- punkt überhaupt schon über Ersatz- einstellungen entschieden sein wird. Auch ist nicht klar, wer sich um diese Einstellungen kümmern wird, ob es um Einstellungen auf Planstellen oder etwa umTV-H-Verträge geht, um die sich dann die Schulleitungen wieder selbst kümmern müssten. Wirth: Diese Maßnahme erschwert etwas die Planung der Unterrichtsver- teilung für das kommende Schuljahr. ImVergleich zu den anderen von Co- rona verursachten Problemen und Unsicherheiten ist dieses Problem aber eher nachgeordnet. Als Schullei- ter möchte ich nicht, dass meine Kol- leginnen und Kollegen der Risiko- gruppen durch Präsenzunterricht ge- fährdet werden, dies wünsche ich auch nicht für die Kolleginnen und Kollegen an den Grundschulen. Die Folgen von Corona lassen sich nur so- lidarisch bewältigen, da muss jeder seinen Beitrag leisten. Aus diesem Grund scheint mir der Lösungsansatz des Hessischen Kultusministeriums plausibel und nachvollziehbar. ?? Gibt es aus Ihrer Sicht pädago- gische, organisatorische oder formale Bedenken gegen diese Abordnungen? Welche sehen Sie? Hartung: In der Regel haben Gymna- siallehrkräfte bei der Berufswahl ge- zielt die Entscheidung getroffen, dass sie ältere Kinder und Jugendliche auf ein Studium vorbereiten wollen. Man muss immer wieder daran erinnern, dass das Abitur auch die Hochschul- zugangsberechtigung ist! In den letzten Jahren haben die ge- sellschaftlichen Entwicklungen dazu geführt, dass von dieser klaren Ziel- vorgabe des Gymnasiums abgewichen

Gymnasiallehrkräfte

20 BLICKPUNKT Schule Klartext

wurde, weil oft nicht das Studium an- gestrebt wird, sondern eine Berufs- ausbildung. Dieses akzeptiere ich und nehme war, dass die Gymnasiallehr- kräfte sich dieser Herausforderung sehr engagiert annehmen. Einen Einblick in den Grundschul- alltag zu erhalten, mag bereichern. Man mag diesen auch nutzen können für den Übergang von Klasse 4 nach 5, aber dieses gegen den Willen der Lehrkraft anzuordnen, halte ich für demotivierend und am Ende wenig zielführend. Auch wird den Grund- schulkindern nach einem Jahr wieder ihre Bezugsperson genommen. Und man muss sehen, dass zukünf- tig dann unterschiedliche Besol- dungsstrukturen an den Grundschu- len vorliegen. Das führt zu der Diskus- sion: A13 für alle! Und diesem Ansin- nen kann ich nur eine Absage erteilen: längeres Studium …. Ganß: In erster Linie sehe ich pädago- gische Bedenken. Nicht umsonst ha- ben die Lehrkräfte an Grundschulen ein eigenes Lehramt inne. Gymnasial- lehrkräfte sind für die spezifischen Aufgaben der Grundschule nicht aus- gebildet. Daran wird auch eine kleine Fortbildungsmaßnahme nichts än- dern. Insofern ist es fraglich, ob Lehr- kräfte einer gänzlich anderen Schul- form ein Gewinn für die Schüler der Grundschule sein werden. Für die Lehrkräfte an Grundschulen könnte die Botschaft des Ministeriums lauten: Jeder kann Grundschule. Dies wäre eine Herabwürdigung des Lehr- amtes an Grundschulen. Die Frage der

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