Blickpunkt Schule 5 2025

haben dürfen bzw. verbucht haben müssen, sodass selbige Teil des Gedächtnisses werden und für die weitere akademische und berufliche Biographie von überzeitlicher Bedeu tung sind? Welchen Umgang mit schulischen Misserfolgen durften Schülerinnen und Schülern während der Schulzeit erfahren? Welche ge meinsamen und gemeinschaftlichen Herausforderungen und Freuden wur den geteilt? Hat Schule den Inhalt des nicht selten genutzten Ausspruchs »Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir« eingehalten oder kehrt sich der Inhalt der These viel mehr in ihre originäre Bedeutung um und bringt mit der Feststellung »Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir« eine bereits vor über 2000 Jahren formulierte Kritik zum Ausdruck? Rekurrierend auf das eingangs skiz zierte Bild und das damit verbundene Narrativ einer akademischen Abitur feier auf der einen und dem Titel ‘Gymnasium der Zukunft’ des aktuellen Heftes der Zeitschrift Blickpunkt Schule auf der anderen Seite, folgt dieser Beitrag dem Versuch, exem plarisch Gegebenheiten, die in der Zukunft auf unsere Schülerinnen und Schüler warten werden und der Frage, was diese wiederum für das ‘Gym- nasium der Zukunft’ bedeuten, nach zuspüren. Dabei können und sollen nachfolgende Überlegungen keine primär Theorie geleitete Abhandlung mit dem Anspruch auf Vollständigkeit darstellen. Vielmehr stützen sich die folgenden beiden Gedankenabschnitte auf der mir als Leiterin einer Schule des Bildungsgangs Gymnasium täg lich begegnenden schulischen Praxis, erweitert und ergänzt durch die Mit- und Zusammenarbeit im ‘Schulleiter beirat Sekundarstufe’ des Hessischen Ministeriums für Kultus, Bildung und Chancen (siehe INFOBOX). Vorangestellt sei dabei in jedem Fall, dass sich Bezugspunkte und Überlegungen dieses Beitrags sicher lich auch auf andere Schulformen und Bildungsgänge übertragen lassen. Gleichzeitig obliegt dem Beitrag der Anspruch, das, was die Schulform

bzw. den Bildungsgang Gymnasium charakterisiert und von anderen Bil dungsgängen unterscheidet, bewusst zu berücksichtigen. Selbstredend ist außerdem, dass sich nachfolgende Überlegungen sicherlich bereits an Schulen zeigen. Entsprechend obliegt dem Beitrag in keiner Weise der An spruch gänzlich Neues bzw. noch niemals Gedachtes und Umgesetztes abzubilden. Vielmehr geht es um die Skizze von zwei sich ergänzende Überlegungen, die im besten Fall den mit dem vorliegenden Heft einge schlagenen und ungemein wichtigen Diskurs um das ‘Gymnasium der Zukunft’ anregen. Gedankengang EINS Vorläufigkeiten und Unvorhersehbar keiten – rasante technologische Sprünge und Veränderungen, die aus heutiger Sicht schier unvorhersehbare Türen öffnen, bislang geöffnete Türen für immer schließen – early adopter und neue Player – uneingeschränkte Verfügbarkeit von Informationen bei gleichzeitigen Informationskrisen in postfaktischen Zeiten – Geschwin digkeitsunterschiede zwischen neuen und klassischen Entscheidungsstruk turen – das Neue, das Andere und der Wandel als immerwährende Beglei tungen und neue Stetigkeiten – wachsende Ungewissheiten und Un vorhersehbarkeiten – schier unüber schaubare Vielfalten – stetig wach sende Komplexitäten, eingebettet in dem Wunsch nach einfachen Antwor ten – auf diese und ähnliche Thesen, Begrifflichkeiten und Beschreibungen stößt man beim Blick in aktuelle Bei träge aus der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Zukunfts forschung 2 . Und auch wenn es in der Natur der Sache liegt, dass Zukunft nur eingeschränkt vorherzusehen und vorherzusagen ist, so stimmen die für den Beitrag herangezogenen Quellen dennoch in Folgendem überein: Die vor uns liegende Zukunft ist unvorhersehbarer, unplanbarer und komplexer denn je und dabei im gesellschaftlich geteilten Zeit- und Zukunftsverständnis eher mit großen

Unsicherheiten verbunden als geprägt von Offenheit für das Kom mende erwarteten Möglichkeits räumen (vgl. unter anderem Bie lang 2023; didacta 2025, 38; DIE ZEIT 16. November 2024; Kollhoff 2024, 9). Gleichzeitig scheint diese Zukunft nicht mehr ausschließlich »vorne zu liegen, dort wo wir sie vermutet hatten, sondern irgendwie auch um uns herum – verstreut und zersplittert in Fragmenten und Ein zelteilen« (vgl. Horx et al. 2024, 11) 3 . Stellt man zuvor skizziertem Zukunfts bild den in der Bildungstheorie und der Pädagogik durchaus geteilten Ansatz gegenüber, dass »der Zukunft in der Bildung und der Pädagogik das Versprechen auf etwas Besseres inne wohnt« (vgl. Milojevic, 2005 in: Koll hoff 2024, 10), so ergibt sich unter anderem folgende Fragestellung bzw. folgender Diskussionsansatz: Was be deutet es für das ‘Gymnasium der Zukunft’, dass das, was die Zukunft einmal auszeichnen wird (oder eben auch nicht auszeichnen wird), auf der einen Seite immer unvorhersehbarer und dabei stark von Unsicherheiten flankiert ist, auf der anderen Seite Versatzstücke dieser Zukunft bereits im Hier und Jetzt unserer Schülerin nen und Schüler sowie von Schule an gekommen sind, selbige mitbestim men und wie selbstverständlich Teil der jeweils eigenen und geteilten Gegenwarten sind? Dass die zuvor aufgeworfene Frage an dieser Stelle nicht beantwortet werden kann, sondern es hierfür viel mehr einen breit aufgestellten Diskurs benötigt, versteht sich von selbst. Ei ne These möchte ich dennoch in den Raum stellen: Wenn zuvor skizzierte Zukunft stimmt, dann brauchen junge Menschen, so meine These, mehr denn je etwas Unverlierbares, dem sie bereits während der Schulzeit be gegnet sind und auf das sie sich un abhängig von Zeit, Ort und den jewei ligen Rahmenbedingungen verlassen und vertrauensvoll darauf bauen können. Doch was könnte dieses Unverlier bare sein, das einem inneren Anker punkt gleich für Schülerinnen und

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