CellitinnenForum 1_2019

Titel | Thema

gelegt hatte. In den 1940er Jahren starben noch 64 von 100.000 Pa- tienten an der Narkose. Erst als es nach dem Krieg allgemeine Praxis wurde, mit einem Schlauch (Tubus) die Luftröhre und damit die Atem- wege freizuhalten, besserten sich die Aussichten für die Patienten. Während die modernen Narkose- verfahren entdeckt und verfeinert wurden, entwickelten Pharmakolo- gen Mittel, die die Behandlung des Schmerzes generell revolutionieren sollten: 1804 isolierte der Apothe- ker Friedrich Sertüner aus Opium das Morphin. Das Haushalts- und Allheilmittel Aspirin synthetisierten Chemiker der Wuppertaler Bay- er-Werke 1897. Ab den 1960er Jahren entwickelte die Pharmaindustrie Narkosemit- tel, die schneller wirkten, besser zu handhaben waren und den Äther vom Markt verdrängten. Heute steht den Ärzten eine Palette von Narkosemitteln zur Verfügung, die in Kombination mit anderen Prä- paraten folgende Eigenschaften besitzen: Sie hindern die Nerven- zellen daran, Informationen aus- zutauschen und hebeln so den Schmerz aus. Außerdem setzen sie die Abwehrreflexe außer Kraft, sorgen für eine Muskelentspan- nung und, sofern es sich um eine Vollnarkose handelt, schalten sie das Bewusstsein und damit das Erinnerungsvermögen aus. Spe- zielle Fachärzte, die Anästhesisten, leiten die Narkose ein und sorgen dafür, dass es unter der Opera- tion nicht zu Komplikationen mit den Narkosemitteln kommt. Unter- stützt werden sie von der moder- nen Apparatemedizin. Die Geräte

zeigen die Vitalparameter ständig an, sodass auf Unregelmäßigkeiten sofort reagiert wird. Für noch mehr Sicherheit sorgen die Gespräche zwischen Anästhesist und Patient im Vorfeld der Operation, in dem mögliche Risiken wie besondere Krankheiten, Bluthochdruck, Dro- gen-, Nikotin- und Alkoholmiss- brauch abgefragt werden. Ab den fünfziger Jahren nahm die Entwicklung der Anästhesie Fahrt auf. 1953 wurde die Deutsche Ge- sellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) gegründet, im selben Jahr beendete der erste Facharzt für Anästhesie seine Wei- terbildung. Seither hat sich nicht nur in der Narkosemittelforschung viel getan. In jüngster Zeit rückt die allgemeine Schmerztherapie in den Fokus; sowohl die Schmerzvor- als auch die -nachsorge bei einer Ope- ration sowie die Schmerztherapie als eigenständige Disziplin. Obwohl dank Forschung und Pharmakolo- gie in den letzten 150 Jahren große Fortschritte erzielt wurden – in 0,7 Fällen sind heute laut DGAI schwe- re Komplikationen bis hin zum Tod während einer Operation auf die Narkose zurückzuführen – wird weiter nach verträglicheren Narko- semitteln sowie Arzneien und The- rapien zur Schmerzbekämpfung geforscht. Denn noch ist die imBos- toner Äther-Denkmal eingravierte Forderung „Es darf keine Schmer- zen mehr geben“ nicht in Gänze erfüllt. Wobei unseren Vorfahren der heutige Zustand sicherlich geradezu paradiesisch vorgekommen wäre. Anästhesie und Schmerztherapie heute

Operieren im 16. Jahrhundert …

… am Beginn des 20. Jahrhundert …

… und im 21. Jahrhundert

7

CellitinnenForum 1/2019

Made with FlippingBook Online newsletter