Blickpunkt Schule 1/2022

Wo ein Wille ist – Elternwille und Grundschulempfehlung – der Übergang von 4 nach 5

Editorial

D ie Schulen haben in den Zei- ten viraler Bedrohung ge- lernt, mit Unsicherheiten um- zugehen. Social Distancing wurde in der Pandemie zu einer virologischen Notwendigkeit. Die Belastung der Schulen und aller am Schulbetrieb Beteiligten ist enorm, mit steigender Tendenz; die Spanne reicht von der Regelungswirrnis über Querdenker- spinnereien bis zum Aufweichen der Leistungsstandards, und sie bestimmt unsere regelmäßigen Vorstöße in den Medien sowie den politischen Gesprä- chen, immer mit demWillen, unsere Arbeit und deren Bedingungen zu op- timieren: Erfolg nur mit Willenskraft?! Mit der bekannten Redensart kom- men wir nicht immer weiter, zum Bei- spiel wenn Wege holprig werden. Der Königsweg zu einer vertieften Allge- meinbildung, die zur generellen, nicht auf bestimmte Fächer begrenzten Studierfähigkeit führt, büßt schlei- chend an Zuverlässigkeit ein. Denn die Leistungsorientierung und Leistungs- fähigkeit der Schulform Gymnasium gerät dadurch in Gefahr, dass eine be- denkliche Leistungsstreuung in den Lerngruppen weiter steigt: Wer die daraus resultierenden Probleme kleinredet, leidet an ideologiegeleite- ter Wahrnehmungsstörung. In nächster Zeit stehen wieder die persönlichen Beratungsgespräche für die Eltern an, deren Kinder am Ende der Grundschulzeit einen Bil- dungsgang der weiterführenden Schule wählen müssen. Damit tragen letztlich die Eltern die Verantwortung für die Bildungsentscheidung. Es zählt der Elternwille , die Übertritts- empfehlung der Grundschulen ist nicht bindend. Und da beginnen die Probleme, denn das Gymnasium gründet zwingend auf einer leis- tungsfähigen und leistungsbereiten Schülerschaft.

der Elternwille insofern als politische Entscheidung nachvollziehbar. Wir sollten jedoch eine verlässlichere Steuerung etablieren. Bei der Ent- scheidung in Grenzfällen könnten gymnasiale Lehrkräfte einbezogen werden. Eine Lösung wäre auch, Hauptfachnoten nicht schlechter als 3 zu fordern. Hin und wieder wird eine Probezeit ins Spiel gebracht. Fest steht, der Übergang von der Grundschule in den gymnasialen Bil- dungsgang muss besser gestaltet werden, wenn die Qualität der gym- nasialen Bildung nicht verwässert und Leistungsansprüche nicht verringert werden sollen. Permanente Forderungen sich ’pro- gressiv’ wähnender Bildungsströmun- gen nach ’Entrümpelung’ der Lehrplä- ne führen nicht weiter; sie sind so pe- netrant wie bildungsfeindlich. Allein die Wortwahl ist verräterisch. »Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht.« Mit diesem Aus- spruch eines ehemaligen Bundesprä- sidenten lässt sich trefflich kontern. Im Übrigen sind Lehrpläne keine statischen Gebilde, sie leben schon immer von Fortschreibungen und An- passungen, es geht dabei nicht um Gerümpel, nicht um ein ’Ausmisten’, sondern um sinnvolle Weiterentwick- lungen. Wir werden uns auch weiterhin ge- gen bildungsschädliche Nivellierun- gen stemmen, das betrifft nicht nur Fragen der Schulstruktur, sondern auch die schulformbezogene Lehrer- ausbildung sowie die Lehrerbesol- dung. Ideologisch grundierte Ände- rungen lehnen wir ab. Ich wünsche Ihnen ein gutes Durch- haltevermögen und natürlich eine stabile Gesundheit!

von REINHARD SCHWAB Vorsitzender des Hessischen Philologenverbandes

Die Entwicklung in den letzten Jah- ren zeigt, dass das Gymnasium einen breiten Zustrom an Schülerinnen und Schülern erfährt, die zunehmend nicht dem gymnasial-kognitiven An- forderungsprofil entsprechen. Die Fol- ge sind Frustrationen doppelter Natur: Zum einen beeinträchtigen sehr hete- rogene Lerngruppen den Unterrichts- erfolg a l l e r Schüler, denn den Indivi- dualisierungsmöglichkeiten einer Lehrkraft sind im Lernprozess Grenzen gesetzt! Zum anderen bleibt der Lern- erfolg aufgrund mangelnder Befähi- gung bei signifikant vielen Schülern aus und viele Schülerbiografien nehmen massiv Schaden bis hin zu Lernverweigerung mit entsprechend negativen Folgen für das einzelne Kind. Das Grundprinzip der Schul- und Bildungspolitik lautet: Fördern und fordern, nicht jedoch überfor- dern. Dazu braucht es möglichst ideo- logiefreie Rahmenbedingungen. Zentral ist eine gute Aufklärung der Eltern über die vielfältigen Bildungs- wege. Das Gymnasiummuss nicht von Anfang an der richtige Weg sein; die Durchlässigkeit des Schulsystems er- öffnet viele Möglichkeiten. Fehlent- scheidungen bei der Schulformwahl müssen vermieden werden. Für jeden Schüler den passenden weiterführen- den Bildungsgang zu finden, muss das Ziel sein. Dass Eltern die Entscheidung über den schulischen Werdegang ihrer Kin- der nicht ausschließlich bei den Lehr- kräften sehen wollen, ist verständlich,

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SCHULE

Mit kollegialen Grüßen Ihr Reinhard Schwab

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