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Fortbildung aktuell - Das Journal

Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 21

Dr. Kathrin Lind

Allergien haben in den letzten Jahr-

zehnten drastisch zugenommen, beson-

ders in den westlichen Industrienationen

sind sie inzwischen zu Volkskrankheiten

geworden. Aber auch in den Entwick-

lungs- und Schwellenländern steigen die

Prävalenzen der allergischen Krankheits-

bilder, wie Heuschnupfen, allergisches

Asthma oder Neurodermitis an.

1

In

Deutschland sind über 30 Prozent der Be-

völkerung von Allergien betroffen, wo-

bei Frauen deutlich häufiger unter min-

destens einer Allergie leiden als Män-

ner.

2

Unter Kindern und Jugendlichen

zählen Allergien zu den häufigsten Ge-

sundheitsproblemen. Ca. zwölf Prozent

der Kinder sind Allergiker, bei fast jedem

Fünften lassen sich Antikörper gegen All-

ergene nachweisen.

3

1906 prägte der Wiener Kinderarzt Cle­

mens v. Pirquet den Begriff Allergie und

definierte sie als lediglich „veränderte

Fähigkeit des Körpers auf eine fremde

Substanz zu reagieren“.

4

Heute versteht

man darunter eine übermäßige Reakti­

on des Immunsystems auf einen an sich

für den Organismus unschädlichen Stoff,

dem Allergen.

Warum Allergien?

Welche Faktoren für die zunehmende

Allergieneigung der Bevölkerung verant­

wortlich sind, ist nach wie vor nicht voll­

ständig erklärt. Letztlich verweist der ra­

sante Anstieg allergischer Erkrankungen

darauf, dass die Lebensbedingungen ei­

ne entscheidende Rolle spielen. Eine The­

orie geht von der zunehmenden Hygiene

als Mitverursacher aus. Der Mensch und

seine Vorfahren sei über Jahrmillionen

gewohnt in einer stärker keimbelasteten

Umgebung zu leben und auch durch die

Nahrung mehr Krankheitserreger aufzu­

nehmen, als es in den letzten Jahrzehnten

zumindest in den Industrienationen Stan­

dard ist. Das Immunsystem sei „unterfor­

dert“ und überbewerte daher eigentlich

harmlose Fremdstoffe. Dafür spricht, dass

Kinder, die auf dem Bauernhof groß wer­

den, mit Geschwistern und/oder Haus­

tieren aufwachsen oder früh in Gemein­

schaftseinrichtungen kommen, tendenzi­

ell weniger Allergien ausbilden als Stadt­

kinder und/oder Kinder mit wenig Kon­

takt zu anderen Gleichaltrigen.

5

Dem ge­

genüber treten heute allerdings viel mehr

Virusinfektionen auf als noch vor 100 Jah­

ren, und infolge von häufigeren und wei­

teren Reisen breiten sich vor allem frem­

de Virusstämme explosionsartig aus.

6

Als weitere Gründe spielen die zuneh­

mende Feinstaubbelastung, Tabakrauch

und/oder einem schlechten Lüftungsver­

halten in den Wohnräumen und verän­

derte Ernährungsgewohnheiten eine Rol­

le. Schimmel, Milben und Pollen in der

Wohnumgebung fördern ebenfalls Aller­

gien.

5

Auch der Klimawandel scheint für die

deutliche Zunahme an Pollenallergien

mit verantwortlich zu sein. Wärmere Tem­

peraturen lassen z. B. allergieauslösende

Pflanzen (z. B. Ambrosia) in Breiten, in

denen sie ursprünglich nicht vorkamen,

wachsen. Die Erwärmung der Meere und

Seen führt dazu, dass Pollen in höhere

Atmosphärenschichten gelangen und so

über weitere Strecken verbreitet werden.

Ein weiterer Faktor ist die genetische Dis­

position. Sind beide Eltern Allergiker, ha­

ben die Kinder ein 60 prozentiges Risi­

ko ebenfalls eine Allergie zu entwickeln.

Ist nur ein Elternteil allergisch veranlagt,

liegt das Risiko lediglich bei 30 Prozent.

Auch Stress kann als Co-Faktor die Aller­

gieneigung ungünstig beeinflussen.

5

Bis heute sind über 20.000 Allergene be­

kannt, die allerdings unterschiedlich stark

Allergien auslösen. Unglücklicherweise

gehören zu den potentesten Allergenen

Substanzen aus der alltäglichen Umwelt.

Am häufigsten werden Allergien durch

Pollen, Lebensmittel, Hausstaubmilben,

Schimmelpilze, Insektengifte, Nickel, La­

tex und bestimmte Inhaltsstoffe von Kos­

metika oder Haushaltschemikalien ausge­

löst.

6

Auch das Alter spielt eine Rolle: Während

Säuglinge und Kleinkinder vornehmlich

gegen tierische Nahrungsmittel allergisch

reagieren, lösen mit fortschreitendem Al­

ter eher pflanzliche Stoffe und Pollen All­

Allergien – ein Überblick

Fortbildung ktuell – Das Journal

Dr. Kathrin Lind

(Braunschweig) studierte

in Braunschweig Pharmazie und promo­

vierte an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten

in unterschiedlichen Bereichen arbeitet

sie nun in einer öffentlichen Apotheke

in Niedersachsen. Sie ist Mitglied des

Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit

der Apothekerkammer Niedersachsen

und als Fachautorin tätig.