GÖTZ SCHMIEDEHAUSEN
Seit 2011 Mitarbeiter bei
GOLF TIME. Sieht die Entwicklung
im Profigolf, die Tiger Woods
ausgelöst hat, als Segen für
den Sport, jedoch als Fluch
für den Vater des Erfolges.
GÖTZ
ZITAT
O
utet man sich im Verlauf einer
Golfrunde unvorsichtigerweise als
Golfjournalist, ist es nur eine Frage
der Zeit, bis die neugeschlossene
Vier-Stunden-Bekanntschaft die eine Frage
stellt, mit der man die Mitglieder meiner Zunft
seit Jahren unablässig quält: „Wird Tiger je
wieder ein erfolgreiches Comeback gelingen?“
Eine kurz und bündig abschließende Antwort
wäre: „Lass mich mal eben überlegen … nein!“
Doch meist bleibt man höflich und spult das
Standard-Referat ab.
Denn auch wenn man nicht mit Tigers ellen-
langer Krankenakte vertraut ist oder all seine
inneren Dämonen mit Vornamen kennt, kann
man sich an den Restfingern eines minder-
begabten Holzfällers ausrechnen, dass die eins-
tige Lichtgestalt des Golfsports nie wieder ein
bedeutendes Turnier gewinnen wird. Im Grunde
genügt schon ein Besuch beim Jugendtraining
im lokalen Golfclub.
Da sieht man reihenweise Grundschüler, de-
ren Schwung schon jetzt mehr Eleganz aus-
strahlt, als diese auf dem Reißbrett entstandene
Aneinanderreihung zahlloser Schmerzvermei-
dungsbewegungen, die Tiger Woods’ aktuellen
Golfschwung ausmachen. So ungezwungen,
natürlich und vor allemmit so vielen frei beweg-
lichen Wirbelkörpern und Knochengelenken
hat Woods zuletzt in einer Zeit geschwungen, in
der George W. Bush gerade noch das Interieur
des Weißen Hauses nach seinen Vorstellungen
umgestalten ließ.
Nicht zuletzt aus Respekt vor Spielern wie
Bobby Jones, Jack Nicklaus oder eben Tiger
Woods verbietet sich eigentlich die logische
Folgefrage, nämlich, ob es früher einfacher war,
als überragender Spieler eine ganze Ära zu prä-
gen. Seit Tiger nach seinemU.S.-Open-Sieg 2008
in den Sonnenuntergang gehumpelt ist, konnte
sich jedenfalls kein weiterer „Dominator“ mehr
etablieren.
Doch ist nicht Tiger selbst der Grund dafür,
dass es im modernen Golfsport keinen einsa-
men Überflieger mehr geben kann? Durch sein
Erscheinen wurde das Nischenprodukt Profi-
golf zum Mainstream-Phänomen. Dank Tiger
verdient heute jeder Spieler mit einer PGA Tour-
Karte automatisch Millionen und weiß, dass er
selbst nach einer durchschnittlichen Karriere
finanziell ausgesorgt haben sollte. Diese goldene
Perspektive lässt natürlich weltweit Begehrlich-
keiten entstehen, was gleichbedeutend ist mit
einem deutlich härteren Wettbewerb um die rar
gesäten Futterplätze.
In Asien bspw. schießen seit Jahren professi-
onelle Nachwuchszentren wie Pilze aus dem
Boden, in denen unzählige Heranwachsende
systematisch gesichtet, gesiebt und schließlich
wie Hochleistungssportler trainiert werden. In
Südkorea wurde der Golfboom vornehmlich
durch die Erfolge von Se Ri Pak auf der LPGA
Tour Ende der Neunzigerjahre ausgelöst. Heute
kommen 40 der besten 100 Spielerinnen der
Welt aus Südkorea. Über die PGA Tour wird
diese Flut, wenn auch mit etwas Zeitverzöge-
rung, ebenfalls unweigerlich hereinbrechen.
Dank Tiger Woods’ Inspiration kamen weltweit
unzählige Talente mit Golf in Berührung, die
sonst vielleicht nie ein Fairway betreten hätten –
darunter sicherlich auch so mancher Dustin,
Jordan, Jason oder Rory. Diese Dynamik kennt
man von jeder Sportart, die zum „Big Business“
mutiert ist. Tiger war zudem der erste echte
Athlet im Golfzirkus und ist verantwortlich
dafür, dass moderne Golfprofis kein Sixpack
mehr trinken, sondern unter dem Golfshirt
spazieren tragen.
Aber wie so viele Pioniere muss Woods einen
hohen Preis zahlen, denn seine Art zu Spielen
taugt nicht für die Ewigkeit. Eine erfolgreiche
Ü50-Karriere wie die von Jack Nicklaus, Arnold
Palmer oder Bernhard Langer lässt sein Körper
nicht mehr zu. Trotzdem freue ich mich auf
Tiger Woods’ nächstes „Comeback“, das zwei-
felsohne vornehmlich dem Bankkonto zuliebe
stattfinden wird. Weniger jedoch auf die Frage,
die es unweigerlich exhumiert. Die Antwort
lautet: „Nein!“
GT
»Danke der
Nachfrage – Nein!«
»Man kann sich an
den Restfingern eines
minderbegabten
Holzfällers ausrechnen,
dass die einstige
Lichtgestalt des
Golfsports nie wieder
ein bedeutendes
Turnier gewinnen
wird«
74
GOLF TIME
|
6-2017
www.golftime.de