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RECHTSPRECHUNG
2/2008
forum
poenale
f.). Für die Schweiz ist dieser Entscheid deswegen von beson
derer Relevanz, weil auch das schweizerische Recht für die
Verfolgung von Völkermord das Weltrechtsprinzip vorsieht
(Art. 264 Abs. 2 StGB) und der schweizerische Völkermord
tatbestand ebenfalls voraussetzt, dass der Täter die Absicht
hat, «eine durch ihre Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion
oder ethnische Zugehörigkeit gekennzeichnete Gruppe ganz
oder teilweise zu vernichten» (Art. 264 Abs. 1 StGB).
I. Nach Art. 264 Abs. 2 Satz 1 StGB ist das schweizeri
sche Strafrecht auf imAusland begangene Völkermordtaten
dann anwendbar, wenn sich der Täter in der Schweiz auf
hält und nicht ausgeliefert werden kann. Nach dem verun
glückten Verweis in Art. 264 Abs. 2 Satz 2 StGB, der sich
nicht auf den – gar nicht mehr existenten – Art. 6
bis
StGB
bezieht, sondern auf Art. 6 Abs. 3 StGB (Stratenwerth/
Wohlers, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommen
tar, Bern 2007, Art. 264 N 11), wird die Tat dann nicht mehr
verfolgt, wenn der Täter durch ein ausländisches Gericht
endgültig freigesprochen oder verurteilt und die Strafe voll
zogen worden ist, es sei denn diese Verurteilung ist in einem
Verfahren ergangen, mit dem in krasser Weise gegen die
Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK versto
ssen wurde. Die Inanspruchnahme des Weltrechtsprinzips
ist in der schweizerischen Literatur allgemein als zulässig
eingestuft worden (Wehrenberg, in: Niggli/Wipräch
tiger (Hrsg.), BSK StGB II, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 264
N 43 ff.; Donatsch/Wohlers, Strafrecht IV, Delikte gegen
die Allgemeinheit, 3. Aufl., Zürich 2004, 239 f.; Straten
werth, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Straf
taten gegen Gemeininteressen, 5. Aufl., Bern 2000, § 41 N
9). Dieser Standpunkt wird durch den vorstehend abge
druckten Entscheid bestätigt. Hätte der Beschwerdeführer
den Versuch unternommen, in die Schweiz einzureisen, wäre
die Schweiz nach Art. 264 Abs. 2 StGB verpflichtet gewe
sen, ihn – soweit nicht eine Auslieferung an einen anderen
Staat oder an ein internationales Gericht möglich ist – we
gen einer Straftat nach Art. 264 Abs. 1 StGB zu verfolgen.
II. Die im Völkermordtatbestand des schweizerischen
Rechts vorgesehene Absicht, eine durch bestimmte Merkma
le charakterisierte Gruppe «ganz oder teilweise zu zerstören»
entspricht der Sache nach dem Absichtsmerkmal des deut
schen Völkermordtatbestands und wird in der schweizeri
schen Lehre auch dahingehend verstanden, dass nicht nur
die Fälle erfasst sind, in denen die Mitglieder der Gruppe ins
gesamt oder in wesentlicher Anzahl physisch ausgelöscht
werden sollen, sondern auch die Fälle, in denen die Gruppe
dadurch untergeht, dass ihr Zusammenhalt vernichtet wird,
z.B. auch durch die Zerstreuung der Gruppe im Rahmen eth
nischer Säuberungen (BSK-Wehrenberg, Art. 254 N 36).
Der EGMR hat diese international gesehen umstrittene Aus
legungshypothese als vertretbar anerkannt (§§ 104 ff.) und
darüber hinaus festgehalten, dass es ausreicht, dass die Mög
lichkeit, dass dieses Straftatmerkmal entsprechend interpre
tiert wird, für den Täter – gegebenenfalls mit anwaltlicher
Unterstützung – vorhersehbar war (§ 113).
Prof. Dr. Wolfgang Wohlers
n
Nr. 16
EGMR, Third Section, Case of van Vondel
v. the Netherlands vom 25. Oktober 2007,
Application no. 38258/03
Art. 8 EMRK: Zurechnung privater Handlungen zumStaat, heim-
liche Tonbandaufnahmen.
Der Ausdruck «Privatleben» darf nicht restriktiv ausgelegt
werden. Insbesondere ist es nicht angezeigt, berufliche oder ge
schäftliche Tätigkeiten von vornherein aus dem Schutzbereich des
Art. 8 EMRK auszunehmen. Auch zwischenmenschliche Vorgän
ge, die in einem öffentlichen Kontext stehen, können
daher demMerkmal «Privatleben» unterfallen (§ 48). Die Zurech
nung privater Handlungen zum Staat setzt einen massgeblichen
Beitrag des Staates zur Ausführung der Tat voraus (§ 46). Vorlie
gend ist dem Staat die Herstellung heimlicher technischer Auf
zeichnungen durch eine Privatperson zurechenbar mit der Folge,
dass ein staatlicher Eingriff in Art. 8 EMRK gegeben ist (§ 49).
Solange das nationale Recht keine gesetzliche Eingriffsgrundlage
vorsieht, die den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK genügt,
ist dieser Eingriff unzulässig (§§ 50-54). Dies gilt auch dann, wenn
die staatliche Mitwirkungshandlung im Interesse eines schutzbe
dürfigen Bürgers liegt (§ 53). (Regeste der Schriftleitung)
Art. 8 CEDH: imputation d’agissements privés à l’Etat, enregis-
trements audios clandestins.
L’expression «vie privée» ne doit pas être interprétée de manière
restrictive. Il n’y a notamment pas lieu d’exclure d’emblée les ac
tivités professionnelles ou commerciales du champ d’application
de l’art. 8 CEDH. Les relations interpersonnelles qui s’inscrivent
dans un contexte public peuvent dès lors relever de la «vie privée»
(§ 48). L’imputation d’agissements privés à l’Etat suppose une
contribution essentielle de ce dernier à l’exécution de l’acte (§ 46).
En l’espèce, la réalisation d’enregistrements techniques clandes
tins par un particulier est imputable à l’Etat; partant, il y a une
ingérence de l’autorité publique dans l’exercice d’un droit proté
gé par l’art. 8 CEDH (§ 49). Cette ingérence est inadmissible tant
et aussi longtemps que le droit national ne prévoit pas de base lé
gale satisfaisant aux exigences de l’art. 8 al. 2 CEDH (§§ 50–54).
Cela vaut quand bien même l’Etat interviendrait dans l’intérêt
d’un citoyen nécessitant sa protection (§ 53). (Résumé de la ré
daction)
Art. 8 CEDU: imputazione di atti privati allo Stato, registrazioni
audio segrete.
L’espressione «vita privata» non dev’essere interpretata restritti
vamente. In particolare, l’esclusione a priori delle attività profes
sionali o commerciali dall’ambito protetto dell’art. 8 CEDU non
è adeguata. Anche le vicende interpersonali che stanno in un con
testo pubblico possono quindi presentare il tratto distintivo del