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JURISPRUDENCE

82

forum

poenale

2/2008

Absichten oder Zwecke eines staatlichen Eingriffs erst bei

der Beurteilung der Legitimität einer existenten gesetzlichen

Eingriffsermächtigung einzubeziehen sind, von deren Schaf­

fung der Staat jedoch nicht dispensiert wird. Diese gesetzli­

che Konzeption würde unterlaufen, wenn bereits die An­

wendbarkeit der Konventionsrechte an eine auf die Rolle

von «Täter» und Opfer zugeschnittene Zurechnungsdog­

matik gebunden würde, die dem «Täter» den Schutz des

Art. 8 EMRK zugunsten allfälliger Opferinteressen systema­

tisch vorenthält. Abgesehen davon, dass diese Rollenvertei­

lung mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK

unvereinbar ist, würde die Grenze zwischen staatlichem Ein­

griff und privater Beeinträchtigung nicht mehr nach der In­

tensität der staatlichen Einflussnahme bestimmt, sondern

danach, welchem Zweck die jeweilige Handlung dient. Der

Staat wäre von den für hoheitliches Handeln geltenden Bin­

dungen durch die Qualifikation der Massnahme als «pri­

vat» a priori freigestellt, solange es «um eine gute Sache

geht» und das unmittelbare Geschehen in den Händen ei­

ner Privatperson liegt. Ein solcher Zurechnungsansatz wi­

derspricht der Systematik des Art. 8 EMRK – und er steht

darüber hinaus einer rechtsstaatswidrigen Aufgabe gesetz­

licher Eingriffsvoraussetzungen für ausgewählte Fallgestal­

tungen gleich.

Klarzustellen bleibt noch, dass der hilfsbedürftige Bür­

ger, anders als es die niederländische Regierung glauben ma­

chen will (§ 47; vgl. Sondervotum von Judge Palm zu

EGMR,

M.M. v. the Netherlands

; Sondervotum von Judge

Myjer, Ziff. 2), durch die Zurechnungsdogmatik des EGMR

mitnichten schutzlos gestellt ist. Die Haltung des EGMR

zwingt die Konventionsstaaten lediglich dazu, ihre Gesetz­

gebungsaufgaben im Interesse ihrer Bürger angemessen zu

erfüllen. Ein Eingriff in Art. 8 EMRK ist einem Staat näm­

lich keineswegs per se untersagt, er muss nur durch das er­

forderliche Medium einer verhältnismässigen gesetzlichen

Grundlage vermittelt sein (vgl. §§ 50 ff.). Wenn es also aus

staatlicher Sicht geboten erscheint, dem schutzbedürftigen

Bürger unter bestimmten Umständen staatliche Hilfe bei der

Herstellung technischer Aufzeichnungen zu leisten, so steht

der konventionskonformen Umsetzung dieses Anliegens

nicht mehr und nicht weniger im Wege als die Untätigkeit

der Legislative: Die Vertragsstaaten haben es – auch dies ver­

deutlicht dieser Entscheid – selbst in der Hand, unerträglich

erscheinende Auswirkungen der Strassburger Rechtspre­

chung durch eine den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2

EMRK gerecht werdende Erweiterung der innerstaatlichen

Eingriffskompetenzen zu beseitigen.

Assessorin iur. Gunhild Godenzi LL.M.

n

2. Strafverfahrensrecht

Procédure pénale

Nr. 17

Bundesgericht, I. öffentlich-rechtliche Abteilung,

Urteil vom 24. September 2007 i.S. X. gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg,

Kantonsgericht Freiburg – 1P.51/2007

Art. 7 Abs. 4 BÜPF, Art. 73 StPO/FR: Beweisverwertungsverbot,

GPS-Standortüberwachungen von Motorfahrzeugen.

GPS-Standortüberwachungen von Motorfahrzeugen im öffentli­

chen Raum fallen nicht unter den limitierten Geltungsbereich des

BÜPF, Art. 7 Abs. 4 BÜPF ist hier nicht anwendbar. (E.3.4 und

3.5). Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung und Be­

willigung einer solchen Überwachung durch den zuständigen Un­

tersuchungsrichter bzw. das Zwangsmassnahmengericht wären

grundsätzlich erfüllt gewesen (E.3.5.1). Die Zulassung des formell

gesetzwidrig erlangten Beweismittels bestimmt sich daher nach ei­

ner Interessenabwägung, die vorliegend zugunsten der Verwert­

barkeit des Beweismittels ausgeht (E.3.5). Allerdings werden sich

die kantonalen Ermittlungsbehörden auch bei der GPS-Überwa­

chung von Fahrzeugen hinfort an die einschlägigen prozessualen

Vorschriften halten müssen (E.3.5.6). (Regeste der Schriftlei­

tung)

Art. 7 al. 4 LSCPT, art. 73 CPP/FR: interdiction d’utiliser une preu-

ve obtenue illégalement, surveillances par GPS de la position de

véhicules à moteur.

Les surveillances par GPS de la position de véhicules à moteur

sur le domaine public ne tombent pas dans le champ d’applica­

tion limité de la LSCPT; l’art. 7 al. 4 LSCPT n’est pas applicable

(c.3.4 et 3.5). Les conditions matérielles pour ordonner et autori­

ser une telle surveillance par le juge d’instruction resp. le tribunal

des mesures de contrainte auraient été remplies quant au princi­

pe (c.3.5.1). La recevabilité du moyen de preuve obtenu illégale­

ment d’un point de vue formel se détermine donc d’après une pe­

sée des intérêts qui, en l’espèce, penche en faveur de l’exploitation

du moyen de preuve (c.3.5). Toutefois, les autorités cantonales de

poursuite devront désormais s’en tenir aux prescriptions de pro­

cédure topiques également pour la surveillance par GPS de véhi­

cules à moteur (c.3.5.6). (Résumé de la rédaction)

Art. 7 cpv. 4 LSCPT, art. 73 CPP/FR: divieto di utilizzare una pro-

va acquisita illegittimamente, monitoraggi di veicoli a motore

mediante GPS.

I monitoraggi mediante GPS dei veicoli a motore su aree pubbli­

che non ricadono nel campo d’applicazione limitato della LSCPT;

nella fattispecie, l’art. 7 cpv. 4 LSCPT non è applicabile (consid.

3.4 e 3.5). I requisiti materiali richiesti affinché il giudice istrut­

tore competente o il giudice dei provvedimenti coercitivi potesse

ordinare ed autorizzare tale monitoraggio, sarebbero stati in li­

nea di massima adempiuti (consid. 3.5.1). L’ammissibilità di mez­

zi di prova formalmente acquisiti in modo illegale si determina di

conseguenza sulla base di una ponderazione degli interessi che,