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RECHTSPRECHUNG

2/2008

forum

poenale

der Einsatz des GPS-Gerätes zu Ermittlungszwecken war

nicht geregelt. Die kantonalen Behörden behalfen sich da­

mit, dass sie Art. 134 aStPO/FR (Überwachungsmassnah­

men) analog anwendeten. Doch auch diese Regelung wur­

de nicht eingehalten: Weder wurde die Massnahme durch

einen Untersuchungsrichter angeordnet noch wurde sie

durch das Zwangsmassnahmengericht bewilligt. Indem das

Bundesgericht diese Verfehlungen lediglich als «formelle

Mängel» bezeichnet, bagatellisiert es die Schwere der Ge­

setzesverstösse durch die Untersuchungsbehörden.

Die Frage, ob ein Gesetzesverstoss zur Unverwertbarkeit

des so erbrachten Beweises führen soll, kann nicht ohne ei­

nen Blick auf die Grundsätze des Grundrechtsschutzes be­

antwortet werden. Gemäss Art. 36 BV bedarf jeder Grund­

rechtseingriff einer hinreichend klaren und bestimmten

Grundlage in einem Rechtssatz. Die Norm muss so präzise

formuliert sein, dass die Rechtsunterworfenen ihr Verhalten

danach richten bzw. die Folgen eines bestimmten Verhaltens

vorhersehen können; die wesentlichen Wertungen müssen

sich der Norm selber entnehmen lassen (Kiener/Kälin,

Grundrechte, Bern 2007, 87). Schwere Eingriffe müssen in

einem Gesetz im formellen Sinn geregelt sein. Überwa­

chungsmassnahmen wie heimliches Belauschen, optisches

Auskundschaften privater Räumlichkeiten oder Telefon­

überwachungen stellen schwere Eingriffe in Art. 10 und 13

BV dar (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz,

Bern 1999, 128, 135 f.)

Auch Art. 8 Abs. 2 EMRK sieht ausdrücklich vor, dass

Eingriffe in das Recht auf Achtung des Privat- und Fami­

lienlebens nur zulässig sind, soweit der Eingriff gesetzlich

vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft not­

wendig ist, etwa für die Gewährleistung der nationalen oder

öffentlichen Sicherheit. Die Rechtsprechung des Europäi­

schen Gerichtshofes für Menschenrechte stellt strenge An­

forderungen an die gesetzliche Grundlage und verbietet Ana­

logieschlüsse; jede Massnahme muss separat und konkret

geregelt sein (vgl. statt vieler EGMR v. 24.4.1990,

Kruslin v.

France,

Series A Nr. 176-A, § 34; EGMR v. 30.7.1998,

Va-

lenzuela Contreras v. Spain,

Reports 1998-V, § 57). Die An­

ordnung durch einen Untersuchungsrichter bzw. die Geneh­

migung durch ein Zwangsmassnahmengericht gewährleistet

im rechtsstaatlich überaus heiklen Bereich der geheimen

Überwachungsmassnahmen eine Überprüfung durch einen

unabhängigen Richter. Solche Massnahmen verhindern, dass

die Behörden willkürlich handeln und nehmen somit einen

wichtigen Stellenwert im Rahmen des Grundrechtsschutzes

ein (vgl. EGMR v. 25.3.1998,

Kopp v. Switzerland

, Reports

1998-II., § 72; EGMR,

Kruslin v. France,

§ 20, EGMR v.

2.11.2006,

Volokhy v. Ukraine,

Nr. 23543/02, § 53; Mül­

ler, 136). Konsequent sieht jetzt das BÜPF in Art. 7 Abs. 4

auch vor, dass sämtliche Ergebnisse vernichtet werden müs­

sen, wenn eine Bewilligung nicht eingeholt oder verweigert

wurde. Dass dieselbe Regelung nicht auf alle geheimen Über­

wachungsmassnahmen angewendet werden soll, erscheint

nicht sachgemäss: Es führt zur willkürlichen Ungleichbe­

handlung von eidgenössisch und kantonal geregelten Über­

wachungsmassnahmen, die für den Bürger nicht verständ­

lich ist. Im Übrigen kennt auch das BVE eine entsprechende

Regelung, Art. 18 Abs. 5 BVE. Art. 280 Abs. 4 Eidg. StPO

sieht nun die analoge Anwendung mindestens für alle tech­

nischen Überwachungen vor. Es wäre wünschenswert gewe­

sen, dass das oberste Gericht dieses neue Rechtsverständnis

bezüglich der Bedeutung der gerichtlichen Genehmigung im

Sinne einer «Vorwirkung» der Eidg. StPO übernommen und

ein absolutes Beweisverwertungsverbot ausgesprochen hät­

te. Diese Lösung wäre auch besser mit dem anwendbaren

kantonalen Recht vereinbar gewesen, das vorsieht, dass kei­

ne Beweise verwendet werden dürfen, die die menschliche

Würde oder Grundprinzipien des Rechts (wozu gemäss Ma­

terialien auch die persönliche Freiheit gehört) verletzen (Art.

73 StPO/FR). Die Tatsache, dass ein Eingriff ohne gesetzli­

che Grundlage erfolgte bzw. die richterliche Genehmigung

nicht eingeholt wurde, stellt für sich alleine bereits einen

schweren Eingriff in die verfassungsmässigen Rechte dar,

ohne dass die Schwere und die Umstände des Eingriffs be­

rücksichtigt werden müssen. Eine Abwägung im Sinne der

Verhältnismässigkeit nach Art. 36 Abs. 3 BV muss nicht mehr

erfolgen, da die Einschränkung bereits aufgrund eines Ver­

stosses gegen Art. 36 Abs. 1 BV unzulässig war.

II. In der Rechtsprechung findet sich wiederholt der Hin­

weis, ein Beweismittel sei nicht von vornherein illegal, wenn

es auch auf rechtmässigemWeg hätte beschafft werden kön­

nen. Die Konsequenz ist, dass das betreffende Beweismittel

der Abwägung zugänglich ist und verwertet werden darf,

wenn das öffentliche Interesse überwiegt. Auch im vorliegen­

den Fall findet sich dieser Hinweis (E. 3.5.1.). Doch gerade

hier zeigt sich, dass dieses Argument ein Urteilsbaustein ohne

dogmatischen Wert ist, der vom Bundesgericht jeweils auto­

matisch übernommen wird. Denn die GPS-Überwachung war

durchaus von vornherein illegal: Es bestand keine gesetzliche

Grundlage und aufgrund des Analogieverbotes, das der

EGMR für Einschränkungen von Art. 8 EMRK statuiert hat,

wäre die Massnahme auch nicht legal gewesen, wenn die rich­

terliche Genehmigung eingeholt worden wäre. Problematisch

ist das Argument aber auch, weil damit über den Gesetzes­

verstoss der Behörden hinweggesehen wird. Entscheidend aus

grundrechtlicher Sicht ist nicht, dass eine Bewilligung hätte

eingeholt werden können, sondern dass sie im vorliegenden

Fall nicht eingeholt wurde (vgl. auch Fornito, Beweisverbo­

te im schweizerischen Strafprozess, St. Gallen 2000, 273).

Ein weiteres Argument für die Normierung absoluter Be­

weisverwertungsverbote etwa bei nicht erfolgter richterlicher

Genehmigung, findet sich in der Abwägungslehre selber: Sie

ist teilweise geradezu willkürlich (so sogar das Bundesgericht

im Urteil v. 30.4.2007, 6A.113/2006, E. 6.2.4). Praktisch im­

mer fällt die Interessenabwägung zugunsten der Strafverfol­

gung und zulasten des Beschuldigten aus (eine Ausnahme bil­

det BGE 130 I 126, wo aber sowohl die Begründung als auch