CellitinnenForum 4_2019_

Glauben | Leben

konfrontiert bin. Nach Feierabend komme ich wieder bei mir an, wenn ich voll Vertrauen im Gebet sage: „Du, Gott, jetzt brauche ich eine Pause und Erholung. Ich lege die ganze Schwere dieses Tages bei dir ab. Das darf ich guten Gewissens tun. Ich weiß, bei dir, Gott, ist es in guten Händen.“ Um andere Formen der Frömmigkeit, des Glaubens- lebens muss ich wissen, ebenso dass viele Menschen Spiritualität individuell und sehr persönlich für sich gestalten und leben. Das habe ich zu respektieren. Ich gehe im- mer ein Stück mit, ob das der Ro- senkranz oder das Schweigen ist (lacht) oder demnächst eine Klang- schale oder eine Meditations-App, ich gehe mit. Mein eigener Stand- punkt imGlauben hilft mir, den Aus- fallschritt in die Richtung meines Gegenübers zu machen, den an- deren in seinem Glauben und der Weise, diesen zu leben, ernst zu nehmen. Máthé: Das heißt auch, als öku- menisches Angebot dem anderen zu geben, was er braucht und an- fragt. Wenn ein katholischer Patient mich bittet, das Ave Maria für ihn zu sprechen, dann muss ich ein- gestehen, dass ich das nicht gut genug kenne. Ich kann aber anbie- ten, den katholischen Kollegen zu rufen, oder auch einladen zu einem gemeinsamen Vaterunser. Vor allem biete ich Zeit an, ein knappes Gut im Krankenhausbetrieb. Und Ruhe. Das bedeutet zwar, dass ich mit dieser Präsenz nicht alle Patienten erreichen kann. Aber dieses spür- bare Dasein, jetzt im Moment, be- deutet manchen Menschen sehr viel.

S ailer: Wir können nie alles tun, was in einem Krankenhaus notwendig wäre. So bin ich vorsichtig mit Zu- sagen, ich tue es nur, wenn ich es auch einhalten kann. Da ist eine innere Haltung von Gelassenheit, Offenheit, Redlichkeit wichtig. Máthé: Gegen so einen überzo- genen Anspruch hilft mir ein Blick in die Bibel. Da wird über Jesus erzählt: Sie brachten alle Kranken zu ihm – und er heilte viele. Sailer: Genau. Und Jesus zog sich abends zurück, um zu beten. Lasst uns rasten, sagte er, denn sie fan- den nicht mal Zeit zum Essen. Hier im Krankenhaus ist eher die Aus- dauer angesagt, die Stetigkeit, das Aushalten, nicht der Sprint. Wenn ich auf die Palliativstation gehe, kann es sein, dass ich an Grenzen komme, meine eigenen Verluster- fahrungen wie nach dem Tod mei- ner Mutter spüre, und sagen muss: Ich schicke einen Kollegen, es geht heute nicht. Spirituell heißt das, ich muss mich selbst spüren können, sensibel sein und ein Konzept dafür haben, wenn ich selbst nicht kann. Máthé: Dann kann ich mit einer Kollegin sprechen oder auch zur Supervision gehen. Und außerdem weiß ich, dass ich nach dem Dienst raus muss, am besten in die Na- tur. Da ist es gut, dass ich hier in Longerich wohne und direkt in den Park kann. Bewegen, sich spüren, die Natur erleben, das erdet mich wieder. Wo gehen Seelsorger hin, wenn sie Seelsorge brauchen? Also nicht mal eben die Welt retten?

Sailer: Ich muss etwas tun, mit den Händen und mit einem Ergebnis, also koche ich gern, arbeite imGar- ten, streiche ein Zimmer, Hauptsa- che, man sieht hinterher was. Weil wir in der Seelsorge das Ergebnis unserer Arbeit oft gar nicht sehen, die Patienten sind so schnell ent- lassen, da ist kaum Gelegenheit für ein Zweit- oder Drittgespräch. So muss ich drauf vertrauen, dass sich beim Kontakt etwas ereignet hat. Oder auch nicht. M áthé: Man muss es mit Gelassen- heit aushalten können, dass ein Gespräch mal total in die Tiefe führt, und das nächste ganz oberflächlich läuft. Trotzdem geschieht etwas, was ich vielleicht nur ahne. Des- wegen wage ich es immer neu und biete meine Präsenz an. Gerade bei depressiven, verschlossenen Men- schen kann man die Erfahrung ma- chen, dass es schon guttut, wenn jemand regelmäßig kommt, auch wenn sich erst mal kein Gespräch ergibt. Irgendwann öffnen sie sich dann vielleicht doch, weil das Sig- nal der Beständigkeit sie erreicht hat. Sailer: Das geht uns nicht nur mit Patienten so. Haben sich Mitarbei- ter erst noch gewundert, wenn wir Seelsorger einfach in die Notauf- nahme kommen, ohne Notfall, um sie zu sehen und ihnen einen gu- ten Arbeitstag zu wünschen, sehen sie das inzwischen als Zeichen von Wertschätzung und Wahrgenom- men werden: Auch wir sind im auf- merksamen Blick der Seelsorger. Wenn man da ins Gespräch geht, ist Schweigepflicht natürlich sehr wichtig.

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